Es ist sehr schwierig, diese Saison irgendwie einzuordnen und ich bin froh, dass ich dir nicht Rede und Antwort stehen muss. Hier mal meine Beobachtungen:
Saisonverlauf/ Stimmung
Wie zu befürchten war, haben bereits die ersten beiden Partien gegen Hannover und Stuttgart die Saison in eine gewisse Richtung gelenkt. Nachdem man gegen die Aufsteiger jeweils unglücklich mit 0:1 verlor, kam bereits erste Skepsis bezüglich des neuen Spielstils (mit z.B. deutlich höheren Ballbesitzquoten gegenüber der Vorsaison) und dessen Effektivität auf.
Gerade angesichts der anstehenden Partien gegen Leverkusen, München und Hoffenheim stand ein totaler Fehlstart im Raum. Obwohl zumindest gegen Bayer ein Sieg gelang, standen bereits vier Niederlagen nach fünf Spielen auf dem Tableau. Ich hatte das Gefühl, dass die Stimmung schon an diesem Zeitpunkt entscheidend gekippt ist.
Die Erklärung hierfür liegt meiner Meinung nach darin, dass der Verein seit dem Wiederaufstieg 2009 oft überperformt hat, nie direkt am Abstiegskampf beteiligt war und auch in einer mittelmäßigen Saison (z.B. 2011/12 oder 2014/15) stets frühzeitig den Klassenerhalt perfekt machte. So ist es schwer, die Erwartungen neuerer Fans dorthin zu steuern, wo Mainz 05 sich finanziell eigentlich in der Liga positioniert. Hinzu kommt das Image, dass man sich im Zuge der Engagements von Jürgen Klopp und Thomas Tuchel aufgebaut hat. Während man sich immer über einen starken Offensivdrang, Innovationen in Taktik und Aufstellung, innere Geschlossenheit sowie die besondere Gastfreundschaft der Fans definiert hat, gingen all diese Faktoren nun schon über einen längeren Zeitraum schleichend verloren.
Die vor der Saison formulierten spielerischen Ambitionen wurden bereits im September über Bord geworfen und dafür ein vorsichtiger Spielstil mit Fünferkette implementiert, der einerseits die Offensive lähmte und andererseits nicht die erwartete defensive Stabilität erbrachte. Darüber hinaus rückten die Querelen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat auch öffentlich den Verein in ein derart schlechtes Licht, wie man es seit etwa zwanzig Jahren nicht mehr erlebt hat. Die vakante Rolle des Meinungsführers innerhalb des Vereins nach dem Abgang von Christian Heidel führte auch nach der Etablierung der neuen Vereinsstruktur noch zu Machtkämpfen. Ich schätze, dass man es es hier zuvor verpasst hat, die eigentlich jedem klare Vereinsphilosophie so in den unterschiedlichen Vereinsebenen zu verankern, dass eine solche Situation gar nicht erst hätte entstehen können. So hatte ich aus der Ferne den Eindruck, dass Vereinsoffizielle untereinander und auch im Umgang mit den Fans oft aneinander vorbeiredeten, obwohl die Ziele sich ähnlich gestalteten. Zumindest kehrte durch die Ablösung der Streitfigur Johannes Kaluza durch Stefan Hofmann als neuen Präsidenten (Stichpunkt "Stallgeruch“) und der Komplettierung des Vorstandes im Februar in der Führungsebene etwas Ruhe ein bzw. verlagerten sich die Diskussionen wieder hinter geschlossene Türen.
Sportlich ging es durchwachsen weiter. Man gewann zwar die entscheidenden Heimspiele gegen Hertha, HSV und Köln, bot allerdings dabei sehr schwere Kost. Die mäßige offensive Durchschlagskraft änderte sich auch im nun häufiger verwendeten 4-1-4-1 nicht. Nach Niederlagen gegen Freiburg und Augsburg rutschte man dann wieder unten rein und blieb vor der Winterpause in fünf Ligaspielen ohne Sieg (Platz 15). Das daraus resultierende Murren wurde durch das Erreichen des Viertelfinales im DFB-Pokal zumindest ein wenig gestillt. Als bemerkenswert zum Ende des Jahres empfand ich die große Rotation im Offensivbereich, wobei sich anstelle des üblichen Stammpersonals auf einmal vorher wenig berücksichtigte Spieler wie Robin Quaison, Gerrit Holtmann und Rekonvaleszent Emil Berggreen hervortaten.
Nach der Winterpause gab es dann bloß more of the same. Wieder gingen vier der ersten fünf Spiele verloren. Nach dem miserablem Auftritt im DFB-Pokal in Frankfurt (0:3) und der darauffolgenden Niederlage in Hoffenheim kam es dann zum zwischenzeitlichen Bruch von Mannschaft und Fans. Es gab dort ein Paradebeispiel für die schlechte Kommunikation zwischen beiden Seiten: die Fans begegneten dem Spiel in der 2. Halbzeit nur noch mit Ironie (an Fastnacht wohlgemerkt), die Mannschaft fühlte sich verschaukelt usw…Offene Briefe von beiden Parteien machten das Ganze nicht einfacher. Der Präsident war zudem noch relativ frisch im Amt und wollte es sich wohl mit beiden Seiten nicht verscherzen - er hielt sich also im Hintergrund. Der Ton wurde immer rauer.
Die Mannschaft zeigte in der nächsten Woche eine Reaktion und gewann ungefährdet in Berlin. Inzwischen war man auf dem Relegationsplatz angekommen und die nächsten Gegner waren die direkten Konkurrenten Wolfsburg und Hamburg. Es folgten zwei gelinde gesagt schlechte Spiele, bei denen man aber immerhin jeweils remis spielte. Auch Sandro Schwarz konnte die Auftritte nicht nachvollziehen und verzweifelte meines Erachtens etwas an der Mentalität seiner Mannschaft. Nach einem unglücklichen 0:1 gegen Schalke und einem weiteren desaströsen 0:3 in Frankfurt wurde dann sehr laut und breit die Trainerfrage gestellt. Das war an diesem Zeitpunkt auch legitim: kaum spielerische Entwicklung war zu sehen und die Punktausbeute war auch nicht mehr gut. Beachtenswert war jedoch die ganze Saison über, dass die Mannschaft sich stets (weitestgehend) geschlossen vor den Trainer gestellt hat und insbesondere in Person von Stefan Bell Selbstkritik geäußert hat. Man bringe einfach nicht das Konzept des Trainers auf den Platz.
Tatsächlich kam das Team nach der unruhigen Länderspielpause dann deutlich verändert zurück. Die gelegentlichen Unsicherheiten und individuellen Fehler, die die ganze Saison das Spiel durchzehrten, waren zwar weiterhin noch vorhanden, jedoch stimmte die kämpferische Leistung und mannschaftliche Geschlossenheit wieder. Auch lief das Angriffsspiel im nun stringent angewendeten 4-3-3 mit verstärkt eingebundenen Außenverteidigern wieder runder. Nach zwei Unentschieden gab es den ersten Befreiungsschlag gegen Freiburg, ehe man in Augsburg in alte Muster zurück verfiel.
Die letzten beiden Auftritte waren dann schlicht Mainz 05 in Reinform. Etwas Spielglück gehörte natürlich auch dazu, aber nichtsdestotrotz waren die Siege gegen Leipzig und Dortmund am Ende verdient. Besonders erfreulich ist natürlich das grandiose Debüt von Ridle Baku. Das vergrößert auch die Gruppe der selbst ausgebildeten Spieler im Profikader.
Alles in allem lässt sich nach der Saison also ein gemischtes Fazit ziehen. Ich hoffe, dass das Trainerteam die richtigen Schlüsse aus der Saison zieht und das spielerische Konzept im Sommer sicherer innerhalb der Mannschaft gefestigt werden kann, auch wenn es eine große Fluktuation im Kader geben wird.
Transfers/ Kader
Vor der Saison vermittelte dieser Kader bei mir das Motto „Viel kann, nichts muss“, sprich viel Breite, aber wenig herausragende Qualität in der Spitze. Da man über lange Strecken der Saison als Mannschaft nicht wirklich funktionierte, waren die Ergebnisse an sich nicht überraschend.
Da Rouven Schröder den Verein wohl gen HSV verlässt, kann man ja kurz ein Fazit zu seiner Arbeit ziehen. Allgemein kann man vielleicht festhalten, dass Schröders Verpflichtungen besonders in den Fällen von Gbamin und Diallo aufgegangen sind, die auch vorher schon als sichere „Geldanlage“ galten. Ihre jeweils etwas höhere Einkaufssumme werden sie nun um einiges vervielfachen und damit die Grundlage für einen Neustart bieten, wie Schröder ihn genannt hat.
Ansonsten haben sich seine Verpflichtungen in dieser Saison kaum hervorgetan. René Adler wurde zwar zur erwarteten Führungsperson, machte durch seine Verletzungen aber nicht mal die Hälfte aller Spiele. Viktor Fischer und Alexandru Maxim spielten in Mainz so wechselhaft wie bei ihren vorherigen Stationen. Kenan Kodro kam mit der Empfehlung von einer guten Rückrunde in La Liga und ließ ausgerechnet im Torabschluss viele Wünsche übrig. Die Winterneuzugänge Nigel de Jong und Anthony Ujah waren auch eher unauffällig.
Es bleibt also bezüglich Schröder die Frage, ob seine Erwerbungen in den letzten zwei Jahren nur nicht die gewünschte (und mögliche?) Leistung erreichten oder ob sein Gespür ihm einen Streich gespielt hat. Gerade bei den misslungenen Transfers zu dieser Saison kann man meist sagen „told you so“. Ich bin mir also nicht sicher, ob man bei der Schaffung eines ausgeglichenen Kaders nicht dessen Qualität etwas verwässert hat.
Die internen Verstärkungen könnten dagegen in der kommenden Saison schon eine größere Rolle spielen. Suat Serdar ist endgültig im Profibereich angekommen, Florian Müller und Bote Baku könnten in ein paar Jahren zu wichtigen Stützen der Mannschaft heranreifen. Mit Aaron Seydel kommt zudem aus Kiel eine vielseitige Verstärkung für die Offensive zurück.
Zukunft
Nach dieser turbulenten Saison auf und neben dem Platz steht nun angesichts der kommenden Transfers wieder die gewohnte Frühsommerdepression an. Zahlreiche verdiente Spieler und Leistungsträger werden uns voraussichtlich verlassen. Dazu zählen einerseits mit Jean-Philippe Gbamin und Abdou Diallo (Vertrag je bis 2022) die herausragenden Akteure dieser Spielzeit und andererseits Publikumslieblinge wie Pablo de Blasis und Yoshinori Muto (Vertrag endet jeweils 2019). Auch Leon Balogun (Vertrag endet) zieht es wohl in die Premier League bzw. hat er durch seinen Stammplatz in Nigerias Nationalmannschaft bei der WM die Chance, sich ins Rampenlicht zu spielen.
Angesichts dieses großen Umbruchs kann ich mir vorstellen, dass Nigel de Jong noch ein Jahr bleibt. Als Führungsfigur wurde er sofort in der Mannschaft akzeptiert und scheint sich in der Rolle als verlängerter Arm des Trainerteams auch wohlzufühlen. Gerade als Mentor für Suat Serdar und Bote Baku kann er auch wichtig sein, selbst wenn er eine limitierte Rolle bezüglich der Einsatzzeit innehaben sollte.
Ansonsten freue ich mich, dass Sandro Schwarz aller Voraussicht nach auch nächste Saison Trainer bei Mainz 05 ist. Ich denke weiterhin, dass er großes Potenzial hat, obwohl er in seiner Debütsaison in der Bundesliga viel Lehrgeld zahlen musste. Er verbindet für mich aber genau das, was man als Trainer des Vereins braucht: Expertise und einen guten Schuss Emotionalität. Mit dem Ergebnisdruck in der Bundesliga muss man erstmal zurechtkommen. Gerade in seinem Umgang mit den Medien hätte ich vor der Saison mehr Konfliktpotenzial gesehen, meist präsentierte er sich auch in den schwächeren Phasen wesentlich souveräner als seine erfahreneren Kollegen in Freiburg oder Hamburg.
Insgesamt wünsche ich mir, dass Mainz 05 nächstes Jahr unabhängig von den Resultaten wieder ein ganzheitliches Bild mit klarer Strategie auf und neben dem Spielfeld abgibt, wobei alle an einem Strang ziehen.
Edit: Ist ja gerade in puncto (Nicht-)Transfers schon wieder einiges passiert, seit ich den Beitrag geschrieben habe. Lasse das Ganze aber trotzdem so stehen.
Mir ist zumindest noch eine Parallele zu TV-Serien eingefallen: Mainz 05 ist der viel umjubelte Gastdarsteller, der aber in jeder Staffel nur für einen kurzen Handlungsstrang auftaucht.