Ich hab nach den Wahlergebnissen von gestern Abend überlegt, ob ich dazu hier im Forum etwas schreibe, wollte aber auch nicht zwingend derjenige sein, der hier Büchse der Pandora aufmacht. [Und falls ich das mit diesem Betrag getan haben sollte, wovon ich ausgehe, kann ich gut damit leben, wenn der sonst wo hin verschoben oder anderweitig moderiert wird.] Ich fand es angemessen, den politischen Bezug zu Beginn der Folge herzustellen, zum mal im Rasenfunk.
Für mich persönlich steht hier eher nicht so sehr der Bezug zum Sommermärchen '06 im Vordergrund. Um mal ganz stream-of-consciousness-mäßig ein paar Stichworte zu nennen:
- Egal, welche Mannschaft das Turnier gewinnt: Die Chancen stehen sehr gut, dass die Siegerehrung dank der Anwesenheit der RepräsentantInnen des jeweiligen Landes sehr sehr awkward wird. Ein paar Namen: Macron und Scholz; Meloni und Wilders (Ungarn würde ich nicht zu den Titelkandidaten zählen …). Mir geht es nicht darum, diese Personen gleichzusetzen, oder hier parteipolitische Debatten aufzumachen. Aber Scholz und Macron haben gestern beide attestiert bekommen (indirekt, aber doch hinreichend deutlich), dass sie die längste Zeit Inhaber ihres jeweiligen Amtes waren. Und die Vorstellung, einer der diversen rechtspopulistischen bis rechtsextremen Führungsfiguren dabei zusehen zu müssen, wie sie auf dem Siegerpodium breit grinsend einem Spieler nach dem anderen aus ihrer unter rassistischen Gesichtspunkten eher inhomogenen Nationalmannschaft einen feuchten Händedruck verpasst, lässt mich schaudern …
- Um diesen Gedanken noch etwas weiter zu spinnen: Es mangelt aus der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts nicht an sportlichen Großereignissen, die in besonderem Maße politisiert oder für politische Zwecke missbraucht wurden. Es liegt hier im Nachhinein oft nahe, von den beteiligten Sportlern Mut, Rückgrat, Zivilcourage, etc. einzufordern. Es würde mich nicht wundern, wenn sich diesbzgl. rückblickend unsere Sicht auf die Dinge nochmal verschieben würde. Am Ende kann sich der Sport der Politisierung nur bedingt entziehen. Was waren wir alle angeekelt und haben uns moralisch und kulturell überlegen gefühlt, als der Emir (?) von Katar Lionel Messi diesem Umhang samt Krummsäbel verpasst hat. Hochmut kommt vor dem Fall. Diese Aktion war vermutlich eher der Anfang, als das Ende der Fahnenstange …
- Während des Trainingslagers haben Thomas Müller und Chris Führich an einem Tag bei der Tafel in Blankenhain Essen mit ausgegeben. Ich fand diese Aktion des DFB eher cringe und unauthentisch. Andererseits: Die Nationalmannschaft ist eines der letzten Institutionen, die einigermaßen erfolgreich, wenn auch auf sehr unvollkommene Weise, diese Gesellschaft (um mal das Wort Nation zu vermeiden) und ihren Zusammenhalt symbolisiert. Und sie kann hier als Projektionsfläche am Ende nur scheitern. Insofern ist z.B. diese Aktion des DFB auch nur ein Symptom eines wesentlich größeren Problems.
- Was den Turniersieg angeht, würde ich mein Geld aktuell nur bedingt auf Deutschland setzen. That being said: Mal angenommen, „wir“ gewinnen das Ding. Möchte man dann abseits gut beleuchteter Straßen in größeren Städten in die Nähe feiernder Fan-Massen geraten? Woran erkennt man im Fall der Fälle die Leute, die einfach nur entspannt ein Fußballfest feiern wollen, und woran die, die mit diesem Land etwas ganz anderes vorhaben? Und wie verdammt nochmal erklärt man das alles kleinen Kindern?