Köln doing Köln things
Die typischen Geschichten, mit denen der Verein mir sonst immer so auf die Nerven gegangen sind, sind weitgehend ausgeblieben. Baumgart hat den Europa-Hype rechtzeitig aufgenommen, um glaubwürdig zu bleiben und die Sehnsüchte der Fans am Ende sogar befriedigt. Trotzdem bleibt der 1. FC Köln natürlich glorreich (was ich explizit sarkastisch verstanden möchte) so wird mir in der Betrachtung der Saison zu oft beschönigt, wie doof wir aus dem Pokal geflogen sind und dass man zum ersten Mal zweimal hintereinander verliert, wenn man im Saisonendspurt noch alles daran setzen könnte, noch den etwas besseren europäischen Wettbewerb zu erreichen, finde ich persönlich bezeichnend. Bezeichnend wofür? Dafür, dass man in Köln manchmal doch etwas zu sehr mit den Gedanken voraus galoppiert und die Gegenwart dabei vergeigt.
Kurz: Köln doing Köln things ist diese Saison seltener geworden, aber dann wenn es wirklich um etwas ging, ist man in alte Muster zurückgefallen. Wenn das wieder häufiger passiert, wird es auf den Trainer zurückfallen, mE zu Unrecht, aber das wird man Baumgart vorwerfen.
Baumgart
Wichtigster Mann, ohne Frage. Seine größte Stärke ist die Menschenführung und dass er es schafft, die einzelnen Spieler alle etwas zu verbessern, indem er an fußballerischen Kleinigkeiten arbeitet. Diese Kleinigkeiten summieren sich dann aber doch zu einem insgesamt wesentlich verbesserten Auftritt mit einem Kader, der im Vergleich zur Vorsaison vielleicht sogar leicht verschlechtert war.
Allerdings ist auch Baumgart kein Wunderheiler, Köln ist immer noch Köln, s.o., und das bedeutet auch, dass die Erwartungen oft übertrieben durch die Decke gehen. Dass es wahrscheinlich ist, dass wir in den Play-Offs zur ECL rausfliegen, habe ich noch niemand laut sagen hören, weder in den Podcasts, noch unter den FC-Fans, die ich persönlich kenne. Ich befürchte, dass da der erste Bruch im Verhältnis zum Trainer kommen könnte. Wie Baumgart dann reagiert, ist schwer abzuschätzen, aber ich halte es zumindest für möglich, dass er auf Konfrontation geht und den Rückhalt der Fans verliert. Genug Munition, um ihn plötzlich blöd zu finden, hat die Saison schon gebracht, wenn man zB mal an das Insta-Video denkt, wo er mit Schiebermütze vor dem Fernseher sitzt. Niemand ist fehlerfrei, aber das sind so die winzigen Haarrisse, die Baumgart im Lauf der Saison zugelassen hat und die ihm noch auf die Füße fallen könnten, jedenfalls dann, wenn man nicht aufpasst.
Transfers
Ich werde jetzt nicht nach vorn blicken, auch wenn es mir schwerfällt. Aber zu der Saison gehört auch, dass Marvin Schwäbe geholt worden ist und tatsächlich Timo Horn ablösen durfte. Dazu gehört auch der Umbau der Innenverteidigung am lebenden Patienten. Letzte Saison haben wir noch mit Bornauw, Czichos, Meré und Sörensen in der Innenverteidigung gespielt. Davon sind zwei im Sommer und zwei im Winter gegangen, es gab trotzdem keinen merklichen Bruch durch die neuen Spieler. Zwar war die Innenverteidigung nie das Prunkstück, aber sie war solide. Dass sie solide geblieben ist, finde ich schon bemerkenswert.
Insgesamt hat eiegntlich jeder Spieler auf der Zugangsseite funktioniert, jedenfalls im Rahmen der Erwartungen. Dass ein Chabot nur Notstopfen in der IV ist, finde ich OK. Kilian nund Hübers machen einen guten Job und sind neu dazugekommen. Uth war vor allem am Ende der Saison wertvoll. Ljubicic hat schon relativ schnell gezeigt, wie wichtig er noch werden dürfte.
Vernunft
Alles in allem sehe ich eine Saison in der wir sehr vernünftig agiert haben. Wir hatten einen Trainer, der sehr gut mit Medien und Fans umgegangen ist und der außerdem die Mannschaft einen gigantischen Schritt weiter gebracht hat. Indem er klare, vernünftige Anweisungen gegeben hat und die Mannschaft auf ein vernünftigerweise einfaches, aber Erfolg versprechendes System eingeschworen hat.
Auf dem Transfermarkt haben wir den unheimlich nötigen Überschuss erwirtschaftet und mit Keller einen neuen Verantwortlichen, der ebenfalls eher vernünftig wirkt. Ich bin zuversichtlich, dass wir da weiter mit Hirn agieren werden, statt mit Herz. (Stichwort Özcan als Identifikationsfigur und Gesicht des Vereins vs. Özcan nach Dortmund)
Diese Vernunft soll aber nicht heißen, dass wir leidenschaftslos geworden wären. Aber die Leidenschaft in vernünftige Bahnen zu lenken, gelingt Baumgart ganz hervorragend. Leidenschaft auf dem Spielfeld muss sich ja nicht widersprechen mit Vernunft neben dem Spielfeld. Ja, klingt platt, muss man in Köln aber immer wieder betonen.
Ich frage mich, wie Baumgart über die Saison hinweg das Spiel weiter entwickelt hat. Leider sehe ich den FC zu selten. Das letzte Spiel, das ich gesehen habe, war im Stadion gegen Mainz. Der Flankenfokus, den ihr im Mainzer Keller so schön herausgearbeitet hatte, schien mir da nicht mehr so extrem zu sein. Was aber auffiel, war die Lust daran, in den Strafraum zu gehen. In der schlechten ersten Hälfte ist das gar nicht gelungen, Modeste wich nach außen auf und dann waren vor dem Tor keine Abnehmer mehr da. Später wurde das geändert und mit vielen Spielern im gegnerischen Strafraum bekam man dann auch irgendwie den Ball dorthin. Die Position des 10ers, gegen Mainz von Uth ausgefüllt, ist gefühlt in der zweiten Saisonhälfte viel wichtiger geworden. Wie seht ihr das, wird Baumgart irgendwann ein flexibles Offensivspiel etabliert haben, oder wird es dabei bleiben, dass man einfache, auch repetitive Muster findet, die erst dann verändert werden, wenn die Gegner sich darauf einstellen und man etwas Neues benötigt?
Viel Spaß bei der Aufnahme!