#12 - Saison 23/24

Der FC Nürnberg fordert jetzt in einem öffentlichen Statement, dass künftig auch (wieder) Männer in den ersten beiden Ligen pfeifen dürfen und sollen:

„Wir sind an einem Punkt, in der die jetzige Situation im Schiedsrichterinnen-Bereich der Google Pixel Frauen-Bundesliga nicht mehr hinzunehmen ist und an dem wir auch bewusst öffentlich auf qualitative Missstände und strukturelle Defizite beim DFB hinweisen müssen und möchten. Wir sprechen hier von einer vereinsübergreifenden, ligaweiten Problematik. Mir ist wichtig zu betonen, dass nicht wir als 1. FC Nürnberg alleine unter der Situation leiden, sondern sämtliche Vereine in der Liga betroffen sind. Unabhängig von Abstiegs- oder Meisterschaftskampf.
Immer wieder beeinflussen Schiedsrichterinnen durch offensichtliche und nicht nachvollziehbare Fehlentscheidungen das Spielgeschehen. Alarmierend empfinden wir dabei sowohl die Qualität als auch die Quantität der Fehler, unter der in unseren Augen nicht nur der Wettkampf, sondern auch die Attraktivität der Google Pixel Frauen-Bundesliga massiv leidet.
Bei der Entwicklung eines nachhaltigen und optimierten Ausbildungskonzeptes zur Förderung der Schiedsrichterinnen unterstützen wir gerne, wenngleich dies bestenfalls nur mittelfristig Abhilfe leisten kann. Eine kurzfristige, akute Lösung sehen wir nur in der Abschaffung der bisherigen Linie, die Spiele der 1. und 2. Frauen-Bundesliga ausschließlich von weiblichen Unparteiischen leiten zu lassen und den Fokus bei den Ansetzungen geschlechterübergreifend auf Qualität und Kompetenz aller DFB-Schiedsrichter*innen zu legen.“

Ich kann den Frust gut verstehen. Die Schiedsrichterleistungen sind gerade in dieser Saison nicht sehr gut. Dass dann der (vermutlich - ich habe leider nur Kameraeinstellungen aus dem Rücken der Spielerin gesehen) falsche Strafstoß für Werder dann das Fass zum Überlaufen bringt, kann ich auch nachvollziehen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das Statement weit genug gedacht ist. Ich habe den Verdacht, dass darin mitschwingt, dass die Bundesliga-Schiedsrichter der Männer jetzt auch im Fußball der Frauen pfeifen sollen. Dass also ein Aytekin oder ein Ittrich die Spiele leiten werden und dann schon alles gut wird. Das sehe ich aber nicht passieren - also weder das eine noch das andere:
Ich glaube kaum, dass (abgesehen vielleicht von Bayern-Wolfsburg oder ein abstiegsentscheidendes Spiel am letzten Spieltag wie heuer evtl. Nürnberg - Duisburg) wir einen gestandenen Erstliga-Schiedsrichter in der Frauen-Bundesliga sehen werden. Das hat verschiedene Gründe:

  1. Die Schiedsrichter im Profibereich der Männer sind mit Spielen schon stark ausgelastet, erst recht, wenn sie auch noch international unterwegs sind. Belastungssteuerung ist da auch ein wichtiger Aspekt - es ist kein Zufall, dass es in den letzten fünf bis zehn Jahren bei den Schiedsrichtern einen Anstieg der Muskelverletzungen gab. Und die wenigen Wochenenden, an denen man dann keinen Einsatz hat (weder auf dem Platz noch im Keller), sind dann im Zweifel für die Familie reserviert. Wenn die Frauen-Bundesliga-Spiele also (auch) von Schiedsrichtern der Männer-Bundesligen geleitet werden sollen, müssen dort die Spielzahlen wiederum reduziert werden. Das heißt, man braucht mehr Schiris im Kader - was wiederum bedeutet, dass die durchschnittliche Qualität sinkt, da die aufsteigenden Schiris sicherlich (erstmal) schwächer sein werden als ein Durchschnitts-Bundesliga-SR. Und dass der DFB Einbußen der Spielleitungsqualität bei den Männern zugunsten der Frauen-Bundesligen in Kauf nimmt, kann ich mir kaum vorstellen, erst recht, wenn man sich anschaut, dass bei den Männern auch nicht gerade alles rosig läuft.
  2. Darüber hinaus glaube ich auch nicht, dass viele SR der Männer-Bundesligen Lust auf die Frauen-Bundesligen haben. Zumindest sind Frauen-Spiele bei den meisten SR generell unbeliebt. Dahinter würde ich auch keine allgemeine Abneigung gegenüber dem Fußball der Frauen sehen, sondern schlichte Unterforderung mit Blick auf Spieltempo und Herausforderungen im Umgang mit den Spielerinnen. Einer der Aspekte, die den Fußball der Frauen so attraktiv gegenüber dem Fußball der Männer machen, ist ja gerade die größere Fairness. Das führt aber auch dazu, dass die Spielleitung langweiliger ist; und wenn dann auch noch der Testosteron-Push durch die Kulisse fehlt (im Vergleich zu dem, was die SR aus der Männer-Bundesliga gewohnt sind), macht das diese Ansetzungen auch nicht unbedingt attraktiver. Das heißt, man dürfte dann wahrscheinlich (stark überspitzt) gelangweilte, unmotivierte männliche SR auf dem Platz herumschlurfen sehen. Das meine ich auch nicht als eigene Bewertung, sondern als Vermutung, wie es passieren wird, und ich hoffe, dass ich mich irre. Umgekehrt ist es dann natürlich auch Aufgabe der SR-Kommission, das zu verhindern.
    Doch selbst wenn ihr das gelingt: Dass es dann zu einer Reduzierung der Fehler kommt, ist zumindest kein Gesetz; auch bei besten Intentionen führt Unterforderung dazu, dass die letzte Spannung und die letzte Konzentration fehlt, und dann passieren ganz schnell Falschwahrnehmungen.
  3. Das bringt mich dann auch schon zum meinem dritten Punkt: Selbst wenn Bundesliga-Schiedsrichter der Männer in den Frauen-Bundesligen zum Einsatz kommen, wird dann nicht alles gut. Denn Einzelszenen können ihnen genauso durchrutschen wie den aktuellen Schiedsrichterinnen. Die Schiedsrichter im Männer-Profibereich sind nicht (nur) wegen der Einzelentscheidungen da oben, sondern wegen verschiedenen Qualitäten, insbesondere Spielmanagement, Persönlichkeit und solche Dinge. Da sehe ich aber aktuell kein Problem in den Frauen-Bundesligen. Es ist ja nicht so, dass die Schiedsrichterinnen reihenweise von den Spielen überfordert wären, sondern es geht um Einzelszenen. Und vor solchen Fehlern sind die Schiedsrichter im Männerbereich genausowenig gefeit wie im Frauenbereich. Es kann bei beiden Geschlechtern eine Spielerin unglücklich durchs Bild laufen, Schiris schlechte Blickwinkel haben oder sich auf den falschen Teil des Zweikampfs (Oberkörper- oder Fußbereich?) fokussieren. Sicherlich wird die Einzelentscheidungs-Qualität dann steigen, aber ich sehe da jetzt schon (wie beim VAR bei den Männern) völlig überzogene Erwartungen zukommen. Hinzu kommt, dass viel Entscheidungsqualität im Männer-Bereich von der Spielvorbereitung der Schiedsrichter herrührt - die Schiedsrichter scouten die Teams ja auch auf ihre Weise (und haben da auch professionelle Unterstützung beim DFB). Das ist im Herrenbereich aber aufgrund der Vielzahl an Mehrinformationen aber auch einfacher möglich.

Gerade die Punkte 1) und 2) lassen mich skeptisch sein, dass die Schiris aus den ersten beiden Männer-Bundesligen auch eine nennenswerte Zahl an Spiele der Frauen-Bundesligen pfeifen werden. Das wäre dann eher etwas für Drittliga- oder vielleicht sogar Jugend-Bundesliga-SR. Damit wäre dann aber mit Blick auf die Entscheidungsqualität nicht viel gewonnen, evtl. sogar verloren. Man merkt schon einen deutlichen Abfall der Schiedsrichterqualität zwischen 2. Bundesliga und 3. Liga der Männer und die SR der Jugend-Bundesligen sind noch einmal qualitativ drunter. Darüber hinaus ist die Altersstruktur in diesen Ligen auch besonders, da die Ligen als Durchgangs- bzw. Filterligen wahrgenommen werden: Man pfeift in der Regel zwei oder drei Jahre in den Ligen und dann muss man aufgestiegen sein oder man ist wieder raus. Zur Verdeutlichung: Die SR der 3. Liga sind zwischen 25 und 30 Jahre jung; Ausnahmen sind hier nur Riem Hussein (für die die geforderte Änderung ohnehin nicht bewirken würde) und Patrick Kessel, bei dem mir die Hintergründe seiner langen Zeit in der 3. Liga auch nicht so ganz klar sind. Wenn diese Schiris zum Einsatz kommen, dann würde das wahrscheinlich zu anderen Problemen führen, gerade im Auftreten vor Ort - die jüngeren SR können gar nicht so souverän wie gestandene SR agieren und müssen deshalb einen Schutzwall um sich herum aufbauen, der sehr schnell arrogant wirkt - und tendenziell sind jüngere Menschen auch im Auftreten wirklich arroganter als ältere Menschen (ohne dass das jetzt für jede/n gelten würde). Dazu kommt noch, dass man im Fußball der Männer einen agressiveren Umgangston gewohnt ist und dementsprechend auch anders reagiert, als er im Fußball der Frauen angebracht wäre (der berühmte Spruch mit dem Wald und dem Hineinrufen). Das würde dann wiederum zu neuen Problemen führen.
Außerdem sind diese SR dann unbekannt und kommen auch nur seltener (vielleicht ein-, zweimal) zu den Mannschaften, dabei ist es für alle Seiten besser, wenn man sich häufiger sieht, weil man sich dann gegenseitig besser einschätzen kann und Konflikte reduziert werden. Gerade das ist ja das Erfolgsrezept der erfahrenen Schiris, auch im Herrenbereich: Die sind schon so bekannt, dass sie sich kein Standing mehr erarbeiten können, sondern gewisse Dinge anders und angenehmer regeln können als junge Schiris, bei denen sich die Spieler*innen noch mehr rausnehmen, um Grenzen auszuloten.

Ich glaube deshalb, dass kurzfristig höchstens eine Spielleitung durch SR der 3. Liga realistisch möglich ist und dass das dann kaum Verbesserung in der Entscheidungsqualität nach sich zieht, dafür aber andere Probleme aufwirft. Mittelfristig wäre es aber sinnvoll, auch Männern den Weg in die Frauen-Spielklassen zu ermöglichen (mit einer gewissen Ähnlichkeit zur Spezialisierung der SRA im Profibereich). Da hätte man dann kein Motivationsproblem, weil die das dann freiwillig machen, und diese Schiedsrichter würden dann auch entsprechende Erfahrungen im Frauenbereich sammeln, sodass der Punkt mit dem Auftreten auch kein Faktor mehr ist. Davon abgesehen braucht es einfach wieder mehr Schiedsrichter schon im Amateurbereich. Denn je größer der Pool zur Auswahl ist, umso besser sind auch die ausgewählten Schiris. Das hilft aber nicht in der Akutphase. Wenn man jetzt etwas änder will, wäre für den Rest der Saison also vielleicht ein „Augen zu und durch“ mit den SRn der Profi-Ligen (evtl. auch die jüngeren Ex-SR wie WInkmann oder Schmidt, soweit sie noch fit genug sind) tatsächlich das Mittel der Wahl. Für die nächste Saison wäre dann ein VAR-light-System eine Möglichkeit - damit könnte man zumindest die gröbsten Schnitzer aussortieren, darf aber auch hier keine überzogenen Erwartungen haben (erst Recht mit Blick auf die wenigen Kameras in der Frauen-Bundesliga; von der 2. Liga ganz zu schweigen sowie die fehlende Erfahrung der VARs) und muss dann mit den Nachteilen leben, insbesondere mit Blick auf Spielunterbrechungen etc. Ob das gewollt ist oder nicht, müssten letztendlich die Vereine diskutieren und entscheiden.

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