FCA-B04
Bosz hat es nach den drei, zum Teil unglücklichen, Niederlagen in Folge wieder geschafft, die Defensive zu stabilisieren. Dass er in der Offensive sein System anpassen musste, geschah bereits beim ersten Ausfall von Karim Bellarabi gegen Düsseldorf. Mittlerweile agiert die Mannschaft im Ballbesitz in einem 3-6-1 System, wobei hinten Tah, Bender und Wendell (der eines seiner besseren Spiele gemacht hat) verbleiben, während Weiser die rechte Seite allein beackert. Auf der anderen Seite spielte diesmal Kevin Volland, der aufgrund der Bailey-Verletzung von der Mittelstürmer abgezogen worden ist und in diesem Spiel seine Sache äußerst gut machte. Havertz zieht es wiederum nach innen, sodass das System sehr zentrumslastig ist. Lediglich im Pressing ist es wieder das typische 4-3-3 von Bosz. Das Opfer dieses Systems ist Lars Bender. Bosz traut dem Kapitän offenbar nicht zu, die rechte Seite offensiv und defensiv auf hohem Niveau zu bespielen. Somit hat Weiser wohl bis zum Saisonende einen Vorsprung. Auch auf der 6er Position, die ja zu Beginn der Rückrunde noch von Charles Aranguiz besetzt worden ist, setzt Bosz nicht auf Bender. Dort ist mittlerweile Julian Baumgartlinger gesetzt. Er macht seine Sache unaufgeregt und konzentriert sich auf seine Defensivaufgaben. Die Aufgaben des Strategen übernimmt weiterhin Aranguiz, das Gehirn der Mannschaft.
Momentan wird bei den Fans noch kritisiert, dass Bosz wenig und spät wechselt und somit auch Paulinho keine wirkliche Chance gibt. Zu Beginn der Saison mit dem Rucksack von knapp 18 Millionen Euro Ablöse gekommen, bestand sein längster Bundesligaeinsatz aus den 45 Minuten der Zweiten Halbzeit gegen Bremen. Dies dürfte mit seinem Verteidigungsverhalten zutun haben. Paulinho scheint das Pressing noch nicht verinnerlicht zu haben. Offensiv kann er durchaus Schwung hineinbringen und dürfte in der kommenden Saison eine ernsthaftere Option sein. Lukas Hradecky hat gegenüber dem kicker auch gesagt, dass Paulinho durchaus bereit ist, aber Peter Bosz sieht das anders. Ohnehin hat man den Eindruck, dass Spieler, die erstmal außen vor waren, nur durch eine Verletzung eines anderen Spielers von Bosz wieder in die Startelf gebracht werden. Gute Trainingsleistungen bringen einen bei Bosz nur selten in die erste Elf. Die späten Wechsel dürften damit zu tun haben, dass der Kader in der zweiten Reihe nicht zum Fußball des Trainers passt, weshalb diese auch wenig berücksichtigt werden. Hier dürfte Sommer der ein oder andere Spieler den Verein verlassen.
Zum Spiel:
Augsburg war die ersten 15min besser in der Partie, während Leverkusen Startschwierigkeiten hatte. Folgerichtig gingen die Fuggerstädter durch Kevin Danso in Führung. Das Verteidigen von Standards ist seit Roger Schmidt immer ein Kritikpunkt bei den Fans. Heiko Herrlich konnte es zeitweise beheben und man war selbst noch gefährlich. Momentan ist defensiv aber wieder der Schlendrian drin, offensiv ist das aber ganz gut, wenn man die Ecken ausklammert (da sind einige komische Varianten dabei, die gar nicht zu Toren führen können). Mit dem Gegentor ist Leverkusen dann so richtig ausgewacht. Havertz presste Torschütze Danzo in der 15. Minute sehr gut und sehr früh auf Höhe der 5-Linie an der linken Strafraumkante und sorgte so für einen unpräzisen hohen Ball, der von Sven Bender abgefangen und von Julian Brandt kontrolliert werden konnte. Charles Aranguiz sorgte dann mit einem sehenswerten Pass auf Volland dafür, dass dieser recht frei und wuchtig ins Tor treffen konnte.
Nur wenige Minuten später spielte Sven Bender (ich wusste gar nicht, dass er zu solche einem Ball in der Lage ist; im Team würde ich das am ehesten Dragovic zutrauen) einen herrlichen langen Ball auf Mitchell Weiser der auf Lucas Alario querlegte, der einnetzte. Leider war Weiser Zentimeter im Abseits. Die kalibrierte Linie des VAR sorgte dafür, dass der Treffer aberkannt worden ist. Der hohe Ball von Bender hätte es verdient gehabt, mit einem Tor belohnt zu werden. In dem Spiel streute die Mannschaft immer wieder lange Bälle ein und verließ sich damit nicht nur auf das Kurzpassspiel. Weiser konnte dadurch mehr als einmal in eine günstige Position gelangen.
Es war interessant zu sehen, dass Leverkusen sich von dem aberkannten Tor nicht aus der Fassung bringen ließ. Sie machten einfach weiter. In der ersten Hälfte sind aber nur noch wenige zwingende Chancen erspielt worden, Alario setzte noch einen gut herausgespielten Ball an die Latte. Interessant war noch die Chancen von Brandt und Havertz im Sechzehner, wobei keiner von beiden Schießen wollte. Dies ist auch in den vorherigen Spielen aufgefallen, nicht nur bei den beiden Spielern, sondern unter anderem auch bei Leon Bailey: Die Spieler wollen den Ball ins Tor tragen und scheuen sich davor, außerhalb des Sechzehners oder mit dem falschen Fuß zu schießen. Lieber wird noch einmal quergepasst, was die Situation meistens zunichte macht. Leverkusen sorgte aber mit Ballbesitz und sicherem Kurzpassspiel dafür, dass sich auch Augsburg dem Tor nicht mehr gefährlich nähern konnte.
Zu Beginn der zweiten Hälfte wollte Augsburg Druck erzeugen, nur schaffte es Leverkusen, den Ball schnell im Tor unterzubringen. Havertz hat in der 48. Minute den Ball mit dem rechten Außenrist sehenswert ins Tor gelupft, wobei man ihm da eher keine Absicht unterstellen sollte, da die Flanke von Volland sehr scharf hineingeschossen worden war. Von da an war Augsburg kaum noch präsent, auch weil Leverkusen den Ball sehr gut in den eigenen Reihen halten konnte. Diese Spielweise war auch gegen Düsseldorf und Freiburg effektiv. Auch diese Mannschaften wollten aus einer gut gestaffelten Defensive kontern, aber da sie den Ball fast gar nicht bekamen und Leverkusen eine gute Konterabsicherung hatte, konnten sie sich auch nur wenige Chancen erspielen. Auch nachdem ein weiteres Tor vom VAR aberkannt worden ist (Bereits der vierte Treffer, der in dieser Saison aberkannt worden ist, Ligahöchstwert; Danso hätte ein Eigentor erzielt, doch war sein Gegenspieler Tah wieder knapp im Abseits und griff in die Situation ein), machte Leverkusen unbeirrt weiter. Ein von Kobel abgeklatschter Freistoß Brandts wurde nun von Tah selbst verwertet, der das 3:1 erzielte. Tah, der trotz 1,94m ungemein kopfballschwach ist, erzielte eines seiner seltenen Tore mit dem Fuß. Für ihn war es ein toller Tahg. Von Augsburg kam nicht mehr viel. Das 4:1 erzielte schließlich Brandt (zu dem Zeitpunkt Mittelstürmer, da Alario für Kohr ausgewechselt worden ist) nach einem Konter, weil Dominik Kohr, der Ex-Augsburger, den Ball nicht richtig traf.
Unterm Strich war der Sieg hochverdient und man hat nach langer Zeit mal wieder eine rundum überzeugende Leistung der Werkself sehen können. Leverkusen hat sich mit jedem Sieg in der Leistung gesteigert: Während der Sieg gegen Stuttgart noch aus einem Elfer resultierte und sonst eher wenig Chancen kreiert worden sind, agierte man gegen Nürnberg deutlich besser und schlug sie auch verdient. Gegen Augsburg, die auch mit einem gesunden Selbstbewusstsein infolge der beiden Siege gegen Frankfurt und Stuttgart angetreten sind, konnte man die Leistung wiederum nochmals steigern.
Leverkusen brachte laut Opta 867 Pässe an den Mann, was der vierthöchste Saisonwert war (der höchste dürfte Leverkusens Spiel gegen Düsseldorf gewesen sein, indem man knapp 1000 Pässe spielt). Das entspricht einer Passgenauigkeit von 91% bei einem Ballbesitz von 75%. bundesliga.de hingegen sagt, es waren lediglich 70% Ballbesitz, was natürlich immer noch ausgesprochen hoch ist. Aber auch in diesem Spiel, in dem man durch den Ballbesitz eigentlich kräfteschonender agieren könnte, ist Leverkusen wieder ca. 119km gelaufen. Dies ist zwar weniger als in anderen derart dominanten Spielen, doch die Mannschaft zeigt auch diesmal, dass diese Weisheit nicht für jede Ballbesitzmannschaft gilt.
Dieses Spiel war aber wieder ein typisches Leverkusen-Spiel gegen die Mannschaften der unteren Tabellenhälfte. Leverkusen hat unter Bosz bislang gegen jedes Team ab Platz 10 abwärts gewonnen. Die fünf Niederlagen resultierten allesamt aus den Spielen gegen die Kontrahenten um Europa (Dortmund, Leipzig, Gladbach, Hoffenheim, Bremen). Die Pflicht eines Topteams beherrscht Leverkusen also, nur kriegt man die Kür nicht hin (außer gegen Bayern und Wolfsburg). Leverkusen dürfte der Gewinner des Spieltags sein. Nächste Woche wird die Partie gegen Frankfurt aufgrund der für Leverkusen überaus günstigen Ergebnisse dieses Spieltags zu einem Schlüsselspiel. Dort kann die Mannschaft ein letztes Mal zeigen, dass sie ihr Spiel auch gegen Teams der oberen Tabellenhälfte aufziehen kann. Ein Vorteil für Leverkusen dürfte die Europacupbelastung Frankfurts sein.