(Deutsche) Fußballphilosophen

In der letzten (oder einer der letzten) Liga Touren habt ihr in Frage gestellt ob es deutsche Fußballphilosophen gibt und es so dargestellt als wären wir da völlig hinten dran.

Das war mal wieder einer dieser Momente aus dem Rasenfunk, die mich länger beschäftigt habe - wahrscheinlich länger als sie sollten.

Am Ende bin ich aber zu dem Schluß gekommen, dass wir absolut Philosophen hatten und aktuell auch haben.
Als erstes muss muss man die Frage stellen, was denn ein Fußballphilosoph ist bzw. wie man ihn definiert.
Ein Philosoph an sich wird laut Wikipedia wie folgt definiert:

Ein Philosoph (wie lateinisch philosophus von griechisch φιλόσοφος philósophos „Freund der Weisheit; Gelehrter“) oder sinngemäß Denker ist ein Mensch, der danach strebt, Antworten auf grundlegende (Sinn-)Fragen über die Welt, über den Menschen und dessen Verhältnis zu seiner Umwelt zu finden. Ferner wird damit jemand mit praktischer Lebensklugheit bezeichnet…

Wir suchen also nach Personen, die sich mit Fußball in einer gewissen Art und Weise befassen, versuchen Antworten zu finden und diese natürlich auch aufzeigen, bzw. teilen. Vielleicht haben sie in der Geschichte des Fußballs mit besonderen Leistungen, „Antworten“ oder Stilen beigetragen.

Wer fällt uns dazu also ein?

Ich denke mit Sprüchen wie „Ein Spiel dauert 90 Minuten…“, die immerhin einen weltweiten Ruf haben, hatten wir mit Sepp Herberger schon früh einen Trainer, der immerhin im Ansatz ein Philosoph war und immerhin ein Legendenstatus hat.

Über die Jahre kamen da sicher einige dazu und viele mehr waren sicher mehr eine Randnotiz.

Vielleicht nicht der Größte auf der folgenden Liste aber immerhin jemand mit einer speziellen Methode des Umschaltspiels ist Mirko Slomka mit seinem 10-Sekunden-Ansatz.

Zur gleichen Zeit hatten hat Jürgen Klopp angefangen seinen „Heavy Metal Fußball“ bei Dortmund zu prägen und hat ihn bei Liverpool weiter ausgeprägt.

Jemand, der auch mehr als Taktiker gilt und nicht als Menschenfänger ist Thomas Tuchel der ja schon mit Guardiola mit Salz- und Pfefferstreuern über Fußball fachgesimpelt haben soll. So zumindest die Legende.

Sicher fällt Christian Streich vielleicht öfter als Fußballromantiker auf aber seine Erklärungen, die Art und Weise wie er Fußball spielen lässt und sein gesamter Ansatz darüber zu sinieren weißt ihn in meinen Augen ganz klar als Philosophen aus.

Auch wenn man nicht immer einer Meinung sein ist sicher Ralf Ragnick ein Fußballphilosoph. Seine Art und Weise wie er Fußball spielen hat lassen, wie er bei Hoffenheim und auch Leipzig darüber hinaus auch verschiedene Ausrichtungen des Spiels aber auch bei der Einkaufspolitk prägend war und auch über Grundfragen wie die Größe des Tors seine eigenen Meinungen geteilt hat, machen ihn sicher zu einem der aktuell größten Fußballphilosophen aus Deutschland. Es muss ja nicht Jeder seine Meinungen teilen oder ihn als Person gut finden.

Mir fallen da noch ein paar andere Trainer ein wie Jupp Heynckes, der sich nicht nur bei Bayern bewiesen hat oder ein Franz Beckenbauer wobei ich mir bei beiden nicht so ganz sicher bin ob sie die Kriterien so ganz erfüllen.

Natürlich müssen Philosophen nicht zwangsweise Trainer sein. Auch Funktionäre, Journalisten oder andere Personen aus dem Bereich könnten in die Rubrik passen.

Was meint ihr? Speziell du, @GNetzer? Liege ich da komplett daneben?
Was macht die Trainer in Spanien aus, dass sie Philosophen sind aber unsere Trainer nicht? Nur weil es „ernste“ und „biedere“ Deutsche sind?
Habe ich vielleicht noch jemanden vergessen?

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Ist Dragoslav Stepanovic mit „Lebbe geht weiter“ nicht der Ur-Philosoph der Bundesliga? :wink:

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Deine Überlegung finde ich gut. Dass es hier Unterschiede zwischen den Nationen gibt, glaube ich auch nicht.

Aber…

Ich sehe ehrlich gesagt keine ernsthafte Verbindung zwischen Philosophie und Fußball. Wortakrobaten wie Lucas Vogelsang oder auch Wolfram Eilenberger geben dem Fußball m.M.n. eine Pseudo-Tiefe, die sich bei näherer Betrachtung oftmals als verschwurbelter Nonsense herausstellt (Sorry, Lucas, ich mag Fußball MML sehr).

Insofern ist der Terminus „Fußballphilosoph“ aus meiner Perspektive ein Oxymoron.

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Puh, ich glaube man muss das alles im Kosmos Fußball betrachten und kann es nicht zu 100% mit „echter“ Philosophie vergleichen.

Es geht mehr um die Tiefe in der Materie Fußball anstatt dem Fußball eine zu hohe Allgemeinbedeutung zu geben.

Und da meine ich doch schon, dass Personen wie Guardiola, damals Cryff, etc. sicherlich eine prägende Idee vom Fußball hatten und diese auch Vereine wie Barca und Ajax, bzw. das 4-3-3 ja ein nationales Phänomen der Niederlande war/ist, eine Spielidee(-philosophie) und Identität gegeben haben.

Das hat schon bisschen mehr Tiefe als „geht einfach mal raus und tretet gegen den Ball“. Wobei das auch eine Philosophie sein kann. :slight_smile:

Spannende Frage, auf der habe ich auch eine Weile herumgekaut; dann fiel mir ein Apfel auf den Kopf und ich hatte andere Sorgen, aber lassen wir das…

Ich würde zwischen Taktikern und Philosophen unterscheiden. (Spaltung! Erste Aufgabe beim philisophieren.)
Slomkas 10sek-Ansatz ist eher taktisch als philosophisch zu werten, finde ich. - Ausser ihr seht die „Hektiker“ als philosophische Schule. (alle auf Umschalmomente fokussierte Trainer sind dann Schüler dieser Richtung)
Cruyff war Fussball-Philosoph, weil er Dinge sagte wie: „Jeder Vorteil trägt seinen Nachteil in sich.“ (Angesprochen auf die offensive SpielPHILOSOPHIE der Niederlande; die eben eher zu 4:3-Siegen führt als zu 3:1-Siegen…)
Ich halte Rehagel für einen Fussballphilosophen, da er den Sport ausserhalb des Spielfeldes und der darauf geschehenden Abläufe zu verstehen, erklären und entwickeln versuchte. (hier treffendes zitat einfügen)
Auch Klinsmann könnte so gesehen ein Fussballphilosoph sein (buddah winkt) - vielleicht aus der Schule der Half-Baked-working-snobs oder so. (Achtung! Wortspiel mit Kiffer-Filmtitel und Bäcker und naja, hahohe, euer Haselthorsten)

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Fussnoten:

https://www.medimops.de/martin-gessmann-philosophie-des-fussballs-warum-die-hollaender-den-modernsten-fussball-spielen-die-englaender-im-grunde-immer-noch-rugby-und-die-deutschen-den-libero-und-die-deutschen-den-libero-erfinden-mussten

https://www.amazon.de/Das-Leben-90-Minuten-Philosophie

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Ah, wunderbar! Rehakles ist natürlich auch vom Namen her ein Philosoph!

Wie würdest du denn zu den anderen stehen? Klopp und Tuchel sind meines Erachtens nicht nur Taktiker sondern versuchen da schon „eigene“ Philosophien auf den Platz zu bringen. Sicher kann man sich nun streiten ob da einer wirklich was erfunden hat (im Zweifel immer die Schweizer) aber darum geht es ja nicht zwangsweise.

Tuchel sehe ich da schon ganz vorne auch wenn ich jetzt nicht sagen könnte, dass es diesen einen „Tuchelschen Spielstil“ gibt, den sonst kein anderer spielen lässt. Aber die Art und Weise wie er sich mit Fußball beschäftigt, wie sehr er sich versucht das Spiel zu sezieren und seine Mannschaften auch sichtlich weiter bringt - den Fußball lebt und denkt - das macht ihn für mich zu seinem Philosophen.
Auch seine generelle Art, menschlich aneckend, die Askese bei der Ernährung, etc. passen für mich da sehr dazu.

Wenn es um existientielle Fragen oder um Willensfreiheit geht, dann macht so schnell niemand dem Titan etwas vor. Mit seiner Interpretation von Rilkes Panther hat Oliver Kahn immerhin dafür gesorgt, dass man den Text nur mehr als Torwart-Gedicht lesen kann: „so müd geworden, daß er nichts mehr hält.“

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Dennoch kann es ja sinnig sein, über Fußball philosophisch nachzudenken. Allein schon weil er ein Phänomen ist, dass seeeehr viele Menschen bewegt, oder? Das Eillenberger mit Sicherheit eher ein Negativbeispiel mit akademischen Meriten ist, schließt es ja nicht aus, dass man das auch sinnvoll betreiben kann.

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Allerdings gibt es ja einige mehr oder weniger institutionalisierte Geisteswissenschaftler:innen, die sich, wenn man so will, wissenschaftlich inspiriert Gedanken über Fußball gemacht haben. Am klassischsten in der Philosophie angesiedelt ist dabei Martin Gessmann, der oben ja schon verlinkt wurde, und der sich in zwei Büchern Gedanken zu Entsprechungen von philosophischen bzw. politischen Theorien und Fußballstilen bzw. Trainerpersönlichkeiten gemacht hat. Eher humoristisch, auf die zugespitzte These zielend, mit Anekdoten gespickt; man lernt weniger über Fußball, aber einiges über Philosophie. Und über Heideggers Faszination für Franz Beckenbauer.

Der Klassiker ist sicherlich Klaus Theweleits Buch Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell (2004) über den niederländischen Fußball als Utopie für die offene Gesellschaft. Theweleit lesen lohnt sich immer.

Unter den Erscheinungen aus jüngerer Zeit kann man vielleicht Lob des Fussballs (2018) von FAZ-Feuilleton-Chef Jürgen Kaube erwähnen. Als Luhmannianer weiß er am Fußball natürlich seine „Unwahrscheinlichkeit“ zu loben.

Edit: Honorable Mention: Norbert Seitz: Kohl & Maradona. Politik und Fußball im Doppelpass (1990)

Das vielleicht nur als einige Hinweise pars pro toto, dass man anders als Eilenberger selbst als Akademiker:in einigermaßen gelungen über Fußball schreiben kann.

Nachgerade ein Skandal, dass „Fußball-Professor“ Dettmar Cramer in der Auflistung fehlt: „Der springende Punkt ist der Ball.“

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Da jetzt doch ein paar auf meinen kurzen Text reagiert haben, möchte ich das noch kurz erwiedern: Ich hoffte, ich hatte es klar gekennzeichnet: „Insofern ist der Terminus „Fußballphilosoph“ aus meiner Perspektive ein Oxymoron.“

Das war natürlich auch genauso gemeint: aus meiner Perspektive. Mein Kulturwissenschaftenstudium ist schon eine Weile her. Aber an die philosophischen Themen dort kann ich mich noch ganz gut erinnern. Wenn etwas tiefer über Fußball nachgedacht wird, empfinde ich das einfach nicht als philosophisch. Wahrscheinlich weicht meine innere Definition von Philosophie von eurer ab oder aber ich kenne einfach tatsächlich keine Fußballphilosophen.

Fußball aus systemischer Sicht a’la Luhmann anzuschauen, oder kapitalismuskritische, marx’sche Kritik zu üben: kann man natürlich machen. Aber: das ist eher der Blick von außen, von Philosophen bzw. eher Soziologen auf den Fußball. Und da fällt es mir schwer, den Begriff „Fußballphilosoph“ zu verwenden.

Also nochmal: ich finde die Diskussion spannend, kann nur selbst nicht viel damit anfangen und wollte diese Meinung mit euch teilen, nicht euch überzeugen.

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Finde ich halt persönlich eine schwierige Einstellung, Philosophie anhand von Theoretikern zu definieren. Leute können mit einem philosophischen Ansatz über Dinge nachdenken, ohne iwelche Theorien von Luhmann gelesen zu haben. Sonst wäre es ja quasi unmöglich, dass Philosophie überhaupt existiert, weil am Anfang gab es ja noch gar keine Schriften, auf die man sich überhaupt beziehen könnte. Dementsprechend würde ich zwar selbst auch „taktisch denken“ nicht per se als philosophischen Ansatz verstehen. Einen Jürgen Klopp oder Christian Streich aber, der viel über die Funktion fußballerischer Aktionen auf dem Platz und deren Ziel nachdenkt und bei dem deshalb immer klar ist, worin er den Sinn seiner Entscheidungen sieht, und der zudem viel über die Rolle des Fußballs in der Welt reflektiert, würde ich aber schon dazuzählen

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Fußballphilosoph ist hier ja ein spielerisch gebrauchter Als-Ob-Begriff. Kein wissenschaftlich oder persönlich klar definierter, also aus- oder umgrenzender Begriff. Besinnen wir uns auf den Ausgangspunkt der Frage, war wohl eher gemeint: denkt tiefegehend über die Prinzipien nach, das Wesen an sich, darüber, was Fußball im Kern ausmacht.

Weiters: Um Philosoph zu sein muss man Mensch sein. Mehr nicht. Jeder Mensch philosophiert. Weil es ein Grundbedürfnis ist. Kein bewusst gesteuerter, vom alltäglichen Leben abgesonderter Prozess. Die Seele philosophiert, wie das Herz schlägt und die Lunge atmet. Sie tut es einfach, weil sie keine Alternative hat.

Insofern gebe ich dir recht, die Frage ist irreführend. Deutschland hat Fußballphilosophen und zwar sehr viele und wahrscheinlich mehr als gut ist. Wir alle hier in diesem Forum sind, schon wenn wir über die Frage nachdenken, zu Philosophen geworden, weil wir zu philosophieren beginnen, uns über die alltäglichen Schemata hinausbewegen. Ein paar Minuten später sind wir wieder Menschen des Alltags geworden.

Andere, vielleicht zielführendere Frage: Hat Deutschland große Fußballphilosophen? Also solche, deren Ideen bahnbrechend sind, die bis dahin Geglaubtes auf den Kopf stellen, welche die Deutungshoheit gewinnen und dadurch neue Perspektive und Wahrnehmung ermöglichen? Ich finde ja.

Wenn Klopp sagt: wir wollen den Ball möglichst weit vorne erobern, weil der Weg zum Tor dann kürzer ist – oder sagt: Gegenpressing ist der beste Spielmacher – dann macht er uns auf eine simple Gleichung aufmerksam, die bis dahin aber übersehen wurde, aus irgendeinem banalen Grund. Diese Aussagen beinhalten etwas Revolutionäres, weil sie längst existierendes sichtbar und in weiterer Folge kontrollierbar machen.

Weitere Namen, die ich nennen möchte: Wolfgang Frank, Ralf Rangnick, Julian Nagelsmann