Euer Input für die Saisonvorschau 22/23

Martin Hinteregger

„…den haben sie in die rechte Ecke gestellt und so vertrieben…“

Du kannst einem Menschen nur bis zur Stirn sehen, aber bei „unserm Hinti“ wussten zuletzt so einige mit Entschlossenheit ganz genau wie er dahinter so tickt.
Es ist die Tragik eines Spielers, welcher sich eigentlich dem modernen social-media Game und den Medienrummel entziehen wollte, dass genau dies seine Karriere und insbesondere seine letzten Profitage so prägten. Der Presserummel war vermutlich auch in längerer Entwicklung einer der entscheidenden Gründe für sein Aufhören. Wer dabei aber jetzt nur an den Trubel um das Hinti Fest denkt oder denken will, der ignoriert das Abgeben der Kapitänsbinde im Winter, den etwas später folgenden „ohne euch bin ich nur ein halber Hinti“ Post oder sein Thematisieren von Depression.
Zum Abschied hat Martin Hinteregger aber mehr verdient. Zumindest einen näheren Blick.

Außensicht

Ich glaube es ist nicht nur der Blick durch die Frankfurter Brille, wenn man sagt, dass von Hinteregger eine gewisse Faszination ausging. Er wirkte wie eine Anachronismus. Aus der Zeit gefallen und mit Anpassungsschwierigkeiten an ein Profitum sauber gepflegter Instagram-Abziehbildchen mit kalkulierten Karriereplänen.
Er wirkte eher wie der Kumpeltyp, ein Kärntener Lausbub, welcher es mit einer Kreisklassenmentalität irgendwie zum Profi geschafft hat.
Der Spruch „Du bekommst Martin Hinteregger aus einem Bierzelt, aber nicht das Bierzelt aus Martin Hinteregger.“ steht wohl sinnbildlich dafür.
Zu dieser menschlichen Nahbarkeit gesellte sich aber auch seine Leistung auf dem Platz. Er war der Typ Spieler, den du in deiner Manschaft für seine Grätschen feierst, aber als Gegner für sein Schubsen am Rande der Legalität hasst. Der neben all seiner Körperlichkeit, dann auch noch richtig steht, präzise Bälle im Aufbau spielt und zur Not auch vorne Mal den Kopf hinhält.
Im Gesamtpaket liest er sich, unter den richtigen Umständen, wie die Fertigbackmischung zum Publikumsliebling.
Und in Frankfurt waren die Umstände schon fast kitschig passend.
Er stößt als suspendierter Spieler, welcher bisher nirgends so richtig den Durchbruch geschafft hat, in der Büffelherden-Europapokalsaison zum Team und ergänzt das damalige Offensivspektakel noch entscheidend mit Defensivstärke. Es dauert nicht lange, dann werden Lieder auf ihn gesungen, er wird in Chelsea zum tragischen, aber gefeierten Helden und im Anschluss und nach einer gefühlt monatelangen Odyssee von #freehinti Fanaktion und eigenes Beharren wurd er endlich fest verpflichtet. Oben drauf kommen noch Sympathiepunkt für sein Veto zu einem Wechsel zu Rasenballsport und wie er mit einem „Support your local fight club“ Shirt bei Oma sitzt und Kasnudeln isst. It was a match.

Ich glaube all dies hat Martin Hinteregger natürlich auch für die Presse so interessant gemacht. Da ist quasi der Archetyp des 80er Jahre Kickers, der sich eine gewisse Fallhöhe erarbeitet hat, der so nahbar ist, dass man mit ihm auch gut Geschichten erzählen kann und der mit seinem unangepassten Verhalten eine gewisse Spannung erzeugt. Eine Spannung zwischen moderner Fußballwelt und dessen traditionellen Ursprüngen und auch eine Spannung, wie lange das gut geht.

Oder anders formuliert: Hinter dem Schutzschild einer weichgespülten Öffentlichkeitsarbeit hätte es Hinteregger deutlich einfacher gehabt.

Innensicht

Aber Martin Hinteregger hatte sich für einen anderen Weg entschieden und ging mit seinem Buch „Innensicht“ sogar in die Offensive.
Hängen geblieben ist davon aber in der breiten Öffentlichkeit wohl vor allem die Überschriften Spielsucht, Alkoholprobleme und Depression.
Ich möchte gar nicht so tief ins Detail gehen, aber für mich ergaben sich einige wirklich interessante Einblicke, welche auch die Punkte meiner Aussensicht auf ihn verändert haben.
Eine Kernaussage, welche Hinteregger über sich selbst trifft, ist der Vergleich mit Michel aus Löneberga. Er meint es ja gut, ist aber ein Tollpatsch. Und wenn man Anekdoten liest, wie dass er aus Versehen seinen Jagdrucksack mit scharfer Munition in den Privatflieger mitgenommen hat oder er sich in einer heißen Sommernacht im Aufzug seines Aufzugs schlafen gelegt und dann das Training verpasst hat, weil er die Beine einzog, sich dann die Tür schloss, aber sein Wecker vor dem Aufzug stand, dann könnte der Eintracht Rucksack beim Augsburger Training wirklich, wie von ihm beschrieben, ein Missgeschick und keine Absicht gewesen sein. Auch das Interview zu seinem Ex-Trainer Baum, welches dann zu seiner Suspendierung führte, liest sich bei ihm nachvollziehbar tollpatschig. „Ich kann nichts Positives über ihn sagen - und werde auch nichts Negatives sagen“ war demnach der eigentlich leise Teil, welcher dann (vmtl) wirklich versehentlich laut ausgesprochen wurde. Und nehmen wir mal die Perspektive des noch voll unter Strom stehenden Spielers kurz nach dem Spiel ein, welcher sich fest vornimmt, wenn man schon nichts nettes zu sagen hat, lieber gar nichts zu sagen. Das einem diese Weisheit einfach paraphrasiert herausrutscht, für mich nachvollziehbar.
Zum Thema Wegstreiken: Allgemein schildert er das Geschehen so, als habe er sich nicht wegstreiken wollen. Andererseits war wohl aber auch allen klar, dass das Tischtuch zerschnitten und ein Transfer von Augsburg weg, sowieso beschlossene Sache war. Im Transferpoker konnte Augsburg dies natürlich nicht so kommunizieren.
Aber das Narrativ stand und seiner Meinung nach hat man dann bei ihm nach Geschichten gesucht, welche dazu passten. Er fühlte sich also von der Presse ungerecht behandelt und falsch charakterisiert. Dies spielte nun zuletzt wohl auch in seine Medienkritik mit hinein.

Depression und Sucht: Interessanterweise beschreibt er sich zwar jeweils als gefährdet und berichtet von entsprechenden Phasen (wobei Suchtverhalten oft psychische Probleme kompensieren sollt), weist aber eine echte Betroffenheit von sich. Er habe zwar eine lange Zeit sehr intensiv im Casino verbracht, konnte aber aufhören, weil er es sich vorgenommen hatte. Er habe zwar als er in Gladbach scheiterte, regelmäßig sehr viel Alkohol getrunken, konnte aber aufhören, weil er es sich vorgenommen hatte. Er habe eine Zeitlang zu viel an seinem Smartphone gehangen? Er kauft sich ein Klapphandy, welches nur telefonieren und Snake kann.
Bei seinen psychischen Problemen verweist er darauf, dass er ja nie so gefährdet war wie andere, welche seine Probleme nicht so gut überstanden hätten.
Auf mich als Leser wirkte es so, als würde da jemand etwas herunterspielen wollen. Vielleicht nicht unbedingt vor dem Leser, sondern eher vor sich selbst?

Zu dem öffentlichen Bild des Martin Hinteregger passte wohl auch nicht, dass er sehr diszipliniert und professionell sein konnte. Weil es 2016(!) in Augsburg keine Athletiktrainer gab, begann er privat mit dem Athletiktrainer Tim Lobinger zusammenzuarbeiten, welcher ihm noch aus RB Zeiten bekannt war. Zudem holte er sich eine Ernährungsberaterin in sein Team, den ehemaligen Sporttherapeuten von Marcel Hirscher, Josef Precht-Iurlov, sowie die Sportpsychologin Veronika Mayerhofer.

Allgemein versucht Hinteregger sich differenziert darzustellen. Ja, es gibt den Hinti der gerne feiert und lieber im Spiel statt im Training 110% gibt, aber auch den Hinteregger, welche Yoga und mentale Techniken nutzt, um das beste aus sich herauszuholen. Er thematisiert, dass er für Spiele auch im Kopf gewinnen muss und welche Anstrengungen er dafür aufbringen muss.

Aus dem 2021 erschienen Buch wurden zudem noch einige in der Diskussion rund um den Hinti Cup wichtige Punkte deutlich. Seine Heimat ist für ihn ein wichtiger Rückzugspunkt von dem Profifußball. Zudem hat er in der Eintracht eine Heimat und Familie far away from home gefunden. Deshalb hatte er schon in Augsburger Zeit bessere Angebote abgelehnt. Er wollte und brauchte das, was er mit der Eintracht gefunden hatte.

Sehr interessant: Für ihn würde es keinen Rassismus geben, wenn alle, so wie er, die Internationalität einer Mannschaft wie Eintracht Frankfurt am eigenen Leib erfahren könnten. Vielleicht betrachtet er hier das Thema Rechtsextremismus etwas naiv, aber es ist am Ende ja auch eher sein Job die Frankfurter Schule auf dem Platz in Form von Bambule zu zeigen, als die Strukturen der Neuen Rechten mit der kritischen Theorie der Frankfurter Schule auseinander zu nehmen.

Der Hinti Cup

Ich glaube dieses Spaßturnier hat Hinteregger sehr viel bedeutet. Es war in der Kalkulation wohl auch klar, dass es ein Minusgeschäft für Hinteregger würde. Aber er wollte wohl seinen Fans einfach einen ausgeben und seine beiden Herzensangelegenheiten zusammenführen, welche er zuvor sehr immer bewusst getrennt halten wollte. Dementsprechend schlimm muss es für ihn gewesen sein, dass plötzlich alles diese Entwicklung genommen hat.

Was war passiert:
Der Journalist Michael Bonvalot deckte kurz vor dem Turnier auf, dass eine Person aus der extra für den Hinti Cup gegründeten GmbH bekannter Rechtsextremist ist.
Heinrich Sickl ist, wie seine Mutter, welche sogar Ministerin war, Mitglied der rechtspopulistischen FPÖ (welche in Österreich vielleicht etablierter ist als die AFD, aber nicht weniger problematisch). Aber er war auch, und das lassen viele derer weg, welche den Hinti Cup gerne bagatellisieren, Teil der Identitäten Bewegung und angagierte sich auch als Veranstalter für das Institut für Staatspolitik von Götz Kubitschek. Wohl eine der wichtigsten Denkfabrik der extremen Rechten. Über diese stolpert man beim Thema Rechtsextremismus auch immer wieder (wenn man sich z.B. fragt, was aus dem Verlag des indizierten Buchs „Die Auschwitz-Lüge“ geworden ist etc.).
Es mag vieles in der Kommunikation unglücklich gelaufen sein, aber wer Sickls Rechtsextremismus relativiert, der muss das wollen, naiv oder ahnungslos sein. Und man hofft einfach auf eine Erklärung, dass letzteres Zutrifft.
Bei der anschließenden Diskussion/Shitstorm, ob Hinti nun ein Rechter sei, sei erwähnt, dass der Journalist diesen Vorwurf nicht erhoben hat.
Aber, wer statt nur Räumlichkeiten zu mieten gleich eine GmbH gründet, und zwar mit einem Mitglied einer in Hintereggers 300 Seelen Heimatdorf verwurzelten Familie, der sollte sich meiner Meinung nach zu Recht erklären, wie es dazu kommen konnte.

Es folgte jedoch ein Kommunikationsdisaster, so fatal, dass sehr ernst darüber gestritten wurde, inwiefern Hinteregger vor sich selbst geschützt werden müsste.

Kurzform: Die Presse hat was gegen mich, der Sickl ist ein total Netter und wenn da die Konzerte sind, kräht da kein Hahn danach (ist halt aber auch ein Unterschied, ob ich eine Location miete, oder extra eine GmbH gründe). Ich kann doch nicht jedem seine Vergangenheit durchleuchten, bevor ich Geschäfte mit ihm tätige. Sprich: Relativierung und man fragt sich warum.

In seinem Abschiedsinterview bezieht er dazu nochmals Stellung. Er sagt selbst, er hätte Medienberatung gebraucht, er wäre überfordert gewesen. Es kam, trotz Bemühungen Seitens des Vereins , aber zu keinem Austausch und damit zur Unterstützung bei dieser Krisensituation. Hilflos veröffentlicht der Verein ein eigenes Statement, welches ihn auch in Schutz nimmt. Ein Motiv für sein Handeln könnte das in seinem Buch beschriebene, gewachsene Gefühl unfair von der Presse behandelt zu werden sein. Darüber hinaus könnte man sicher noch vieles finden, was man ihm positiv auslegen könnte, wenn am Ende vielleicht auch einfach nur ein menschlicher Bewältigungsversuch eines „Angriffs“ steht. Zumal er auf Social Media nicht nur einen Shitstorm, sonder auch viele unterstützende Worte bekam, welche ihn vermutlich auch noch bestärkten.
Meiner Meinung nach war Hinteregger auf ein Parkett gekommen, auf dem er sich nicht zu bewegen wusste und er Probleme nicht selbst wahrnehmen konnte und so blind mit ihnen kollidierte.

Mein Fazit ist, dass ich ihm seine Weltoffenheit glaube, er aber über Kommunikation gestolpert ist.

Was bleibt von dem „…den haben sie in die rechte Ecke gestellt und so vertrieben…“ übrig?

Hinteregger betont in seinem Abschied, dass er bereits seit seiner Leistungskrise in der Hinrunde mentale Probleme gehabt hätte. Dies wirkt an Hand des Buches auf mich realistisch. Ob die Entscheidung aufzuhören aber schon final stand oder ob der ganze Trubel um das Hinti Fest zusätzlich zu den bestehenden Problemen einfach zu viel war, dafür bräuchte es eine erneute Innensicht von Hinteregger.

Anbei noch ein paar für mich relevante Links zu den Thema:
„Die Causa Hinteregger – Beves Welt“ Die Causa Hinteregger – Beves Welt

„Die rechten Verbindungen des Martin Hinteregger - standpunkt.press“ Die rechten Verbindungen des Martin Hinteregger - standpunkt.press

„Wie tief steckt Martin Hinteregger drin? - standpunkt.press“ Wie tief steckt Martin Hinteregger drin? - standpunkt.press

Sorry, war etwas off-topic, hoffe trotzdem, dass es für einige Interessierte, welche dies nur an Rande mitbekommen haben, einen guten Einblick gegeben hat. War jetzt naheliegender Weise nur bedingt Saisonvorschau, aber immer noch Thema und für die Eintracht ein sehr wichtiges Kapitel.

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