Fußballtaktik/wie Fußball funktioniert Anfängern erklären

Hi mir fällt kein besserer Titel ein.

Und zwar fällt mir in letzter Zeit bei Spielaufbau aus dem defensiven Mittelfeld egal in welcher Liga folgendes Muster auf, dass mir unerklärlich ist:

  1. Ein Innenverteidiger oder defensiver Mittelfeldspieler hat den Ball und eine Anspielstation nach vorne, die Raumgewinn bedeuten würde, und der potentielle Passemfpänger hat noch keinen Druck aber er spielt lieber den Sicherheitspass zurück zu einem Innenverteidiger?

Warum? Ich denke mir doch, wenn Du den Ball nach vorne spielst und der andere Spieler spielt den Ball wieder zu dir zurück, dann ist doch alles ok. Dann kannst Du wieder von neuem überlegen. Aber so verlierst Du meiner Meinung nach unnötig Raum.

  1. Es heißt ja immer wieder Spieler sollen „Passdreiecke bilden“. Aber total oft gibt es nur eine Anspielstation, und es scheinen sich überhaupt keine Spieler freizulaufen, um Dreiecke zu bilden. Warum? Vielleicht übersehe ich auch irgendwas.

Ich merke bei so etwas immer wieder dass mir der moderne Fußball oft rätselhaft ist und ich „weiß, dass ich nichts weiß“.

Letztens meinte ein Typ zu mir er weiß nicht, warum der Spieler beim Eckball den Arm hebt. Da konnte ich ihm glücklicherweise erklären, dass der Spieler damit die vorher einstudierte Eckeinvariante anzeigt.

Vielleicht gibt es auch ähnliche einfache Erklärungen für meine 2 Ratlosigkeiten.

Ich bau auf alle Taktikgurus hier :wink:.

LG

Das Handheben kann darüber hinaus auch anzeigen, wann die Spieler in der Mitte loslaufen sollen, wenn der Arm dann z. B. beim Die-Ecke-Ausführenden gesenkt wird, dann kann das bedeuten, dass er losläuft und die Spieler in der Mitte wissen, dass sie jetzt z. B. auf vorher vereinbarte Positionen (los)laufen können.

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Also die kurze Erklärung ist: die Spieler sind nicht so gut.
Gibt aber spezielle Aspekte, die das erschweren.

  1. Der Passempfänger weiß dann meistens nicht, dass er keinen Druck hat. Der würde ja von hinten kommen und es ist relativ schwierig, den Ballführenden/den Ball/den Pass zu beobachten und währenddessen die Gegenspieler im Blick zu halten.

Was man hier leicht unterschätzt ist, wie enorm (vor allem im Männer-Spitzenfußball) der „potentielle“ Druck ist, sprich: wie schnell du unter Druck gesetzt werden könntest. Profifußballer kommen unfassbar schnell und mit extremer Wucht aus ihrer Position. 10-15 Meter Raum sehen in der Statik nach sehr viel aus, aber die überwindet ein Profifußballer in 2 Sekunden.

Wenn du eine Sekunde lang den Ball fixierst, dann hast du quasi eine „Unsicherheit“ über die Position deiner Gegenspieler von um die 10 Meter. (Wenn ein Gegenspieler bereits in der Bewegung ist, noch mehr als das.)

Es gibt natürlich Spieler, die damit umgehen können, aber für die meisten ist es zumindest gefühlt ein zu hohes Risiko. (Hier spielt mit rein, dass Fußball halt sehr risikoavers gespielt wird. Die meisten Sechser riskieren keinen Ballverlust, wenn sie nicht müssen, selbst wenn die Chance auf den Ballverlust nur 1 aus 10 ist.) Zumal viele Sechser für ihre defensiven Fähigkeiten selektiert werden plus vielleicht noch Passspiel, aber Ballverarbeitung unter Druck ist eher ein Bonus, weil viele Trainer das in der Zone eh nicht gerne sehen.

Dazu kommt, dass dieses Zuspiel IV → 6 schon an sich ein ziemlich riskantes/problematisches ist in vielen Fällen, vor allem wenn es vertikal passiert. Wir haben mal die Regel gehabt „nie den kürzesten Vertikalpass“, also nie den Spieler anspieler, der einfach vor dir steht, denn a) das ist der Pass, den der Gegner IMMER antizipiert, b) der Passempfänger hat beschissenes Sichtfeld, c) der Zweikampf ist für den Verteidiger viel einfacher, der kommt dann mit Tempo da rein und sieht alles, der Angreifer weiß nicht genau, wann und wo der Verteidiger kommt, muss gleichzeitig den Ball kontrollieren, sich drehen und das Feld neu wahrnehmen.

Extrapunkte für: die meisten Mannschaften sind eh schlecht darin, zentrale Räume effektiv zu besetzen und zu bespielen, also selbst, wenn der Sechser das da hinbekommt, findet er womöglich keine gute Passoption.

Also es ist schwierig, riskant und bietet ggf. dazu wenig Ertrag.

Dennoch ist das natürlich genau das, was man eigentlich können muss, um guten Fußball zu spielen. (Ich durfte schon zwei Mal mit Sechsern zusammenarbeiten, die auf ihrem Niveau so ziemlich jede Drucksituation lösen können und jeden Ball nach vorne bringen, und das ist ein absoluter Gamechanger.)

Was ein ganz anderer Grund sein kann: Wenn der Gegner passiv verteidigt und die Stürmer nur die Sechser schließen und nicht die IVs anlaufen, dann ist das eine Methode, um die Stürmer rauszuziehen. (Bin ich aber ehrlich gesagt kein Fan von und sehe das auch sehr selten effektiv umgesetzt. Gibt aber jedenfalls Trainer, die diese Idee haben.)

  1. Das ist ein bisschen komplizierter. Manchmal machen Mannschaften das einfach schlecht und viele Spieler wollen einfach gar nicht den Ball. (Again, athletisches Niveau im Profifußball crazy, Risikoaversion sehr hoch. → „Ich forder nur den Ball, wenn ich wirklich frei bin.“) Denke aber, mittlerweile ist das Problem meistens eher, dass Freilaufen und Dreiecke bilden gar nicht so leicht ist, wenn der Gegner halt aktiv verteidigt. Ein Dreieck bringt dir ja nicht so viel, wenn alle drei Spieler eng gedeckt werden (oder zumindest die beiden, die nicht den Ball haben). Die Logik ist dann tendentiell nicht, dass man versucht dieses 3v3 (oder 3v2) nicht über Bewegung durchbricht, sondern das ist dann einfach ein Signal, dass ich woanders angreifen will. (Also entweder Pass nach vorne oder Verlagerung.) Dementsprechend ist die Idee von Spielern unter Druck meistens nicht, diesen Druck zu lösen oder abzuschütteln, sondern dass der Ball wohin muss, wo weniger Druck ist. → Der Spieler selber bleibt dann halt passiv. Ich lauf mich ja nicht frei, wenn ich weiß, dass jemand anders den Ball kriegen muss.

Am Ende sind’s ja zehn Feldspieler gegen zehn, also selbst ein freier Spieler ist eigtl. schon überraschend viel. Mehr als den einen zu kreieren ist kaum möglich und auch gar nicht so erstrebenswert, weil du ja nicht mehrere Mitspieler anspielen kannst. Wenn einer frei ist, dann sollten sich die anderen so positionieren, dass dieser nach dem nächsten Pass wieder gute Optionen hat, und nicht selber auch noch den Ball fordern, denn dann steht nach dem nächsten Pass wahrscheinlicher einer blöd in der Gegend rum.

Das ganze Thema Freilaufen und überhaupt Bewegung ohne Ball ist eh viel schwieriger als sich viele das vorstellen. Ich glaube, viele erwarten dass Fußball so aussehen müsste, wie er vielleicht aussehen könnte, wenn das Spiel 10v8 wäre, optimalerweise auch noch mit Verteidigern, die trotzdem kopflos anlaufen. Da kann man dann permanent gute Optionen erzeugen und in hohem Tempo Angriffe mit wenig Risiko ausspielen. Wenn aber auf jeden Angreifer ein Verteidiger kommt, ist das bedeutend komplizierter.

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Aah vielen Dank, sehr interessant :smiling_face:.

Ich möchte noch eine andere Perspektive einwerfen, die inhaltlich, wie man sehen wird, wenig mit Taktik zu tun hat, aber dennoch ihre Berechtigung hat. Beim Thema „Freilaufen“ spielt der Instinkt eine große Rolle bzw. eine gewisse Spielintelligenz. Ich kann bis zu einem gewissen Grad erlernen, dass bei einer bestimmten Vorbewegung des Balles/der Mitspieler beispielsweise Raum XY angelaufen werden muss. Aber spielintelligente Spieler laufen ohne nachzudenken in einen guten Raum. Bestes Beispiel: Thomas Müller. Dafür benötigt es aber auch Passgeber, die das sehen. Darin liegt auch ein größeres Problem, denn das können meiner Meinung nach immer weniger Spieler. Denn ich muss diese Räume dann auch sauber anspielen können. Das hat Leverkusen im letzten Jahr herausragend gemacht. (Ich gendere in meinem Beitrag bewusst nicht, da ich keinen Frauenfußball sehe und daher auch keine Ahnung habe, ob das dort besser ist oder schlechter. Ich vermute, es ist ähnlich oder ein wenig besser, denn diesen Freigeist hat man ihnen in NLZs vermutlich noch nicht so abtrainiert wie bei den Männern…)

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Sehr interessant!