Tja… wie anfangen?
Vielleicht mit einer Prämisse: Die Saison hat für Gladbach nicht im Sommer 2021 angefangen, sondern im Frühjahr, vielleicht sogar, mit @Torres1991 gesprochen, im Herbst 2020.
Ende der Ära Eberl
Das war kein guter Abschluss. Schon seit Jahresbeginn 21 wirkte Eberl sehr gestresst, es gab ständig Gerüchte und Ärger im Umfeld. Eberl wollte früher aufhören, der Vorstand wollte nicht. Mit etwas Abstand steht für mich die Frage im Raum, ob das nicht von beiden Seiten ein Fehler war: Vielleicht hätte Eberl nicht so lange verlängern sollen, vielleicht hätte er den Vertrag kündigen sollen (wenn das möglich gewesen wäre). Genauso: Vielleicht hätte der Vorstand ab Herbst an einem Eberl-Ersatz arbeiten sollen. So hat man monatelang Gerüchte und einen ausgezehrten Eberl mit sich herumgeschleppt; in einer Phase, in der sich die spielerischen und vertraglich-zukünftigen Probleme häuften. (Zu den Verträgen sage ich noch an anderer Stelle mehr) Das Ergebnis war aber, dass es seit Anfang 2021 keine Ruhe im und um den Verein herum gab. Tatsächlich wurden die Leistungen nach Eberls Abgang ein bisschen besser, auch wenn sie immer noch weit weg von dem sind, was sich viele erhoffen/erwarten. Ich habe Ende letzen Jahres gesagt, dass Eberl gehen muss, wenn er nicht mehr der „Richtige“ ist, seiner eigenen Philosophie folgend. Der Vorstand hat das anders gesehen und dadurch am Ende einen größeren Knall ausgelöst als nötig gewesen wäre.
Mit Virkus ist ein „Eigengewächs“ nachgerückt, das sich noch beweisen muss, aber gleichzeitig vor einem riesigen Scherbenhaufen steht. Bisher macht er das passabel (zur Ginter-Sache siehe unten), aber er hat nicht das Charisma eines Eberl. Sollte der Verein die nächsten Jahre im Nirgendwo rumdümpeln (was realistisch ist), dann werden wahrscheinlich viele das Virkus ankreiden und Eberl nachträglich glorifizieren. Was in meinen Augen verfehlt wäre. Denn: Eberl hat sinngemäß im Herbst gesagt, dass Gladbach eine gewisse Grenze erreicht hat. Corona hat zu finanziellen Schwierigkeiten geführt und insgesamt ist das finanzielle Wachstum ohne Geld von außen begrenzt. Damit aber auch die Wettbewerbsfähigkeit, wenn man weiter nach oben will (bzw. wollte). Daran kann Virkus nichts ändern und es bleibt spannend, ob Gladbach seine Struktur ändert oder nicht.
Kaderplanung
Auch Eberls Kaderplanung war nie zu 100% Gold. Hier sei bspw. auf Schulz und Lang verwiesen. Aber: Das Zusammenhalten des Kaders hat sich diese Saison als mittelfristiger Fehler erwiesen, der er wahrscheinlich schon letzte Saison war, der aber kaum zu vermeiden war. Vor Corona hatte Gladbach Spielräume, die durch den Verkauf von Spielern erweitert wurden. Mit Corona waren diese Spielräume sehr begrenzt, sodass eine Verstärkung ohne Qualitätsverlust, den man nicht haben wollte, nicht möglich war. Die Gladbacher Strategie war jahrelang Spieler zu holen, die Gladbach als Sprungbrett nutzen können, wenn sie wollen. Beide Seiten würden sich so verbessern. Wenn das aber nicht geht, weil die Spieler nicht gehen können, dann hat man ein finanzielles Problem und ein mannschaftsinternes: Enttäuschte Erwartungen sind nur bedingt gut für die Weiterentwicklung der Spieler und wenn die dann mit Verletzungen und einem sehr unruhigen Umfeld gepaart werden, dann steigt die Frustration. Genau das konnte man am Niederrhein sehen und letztlich hat das zu Stagnation oder Rückentwicklung von Spielern geführt. Diese Stagnation hat in der zweiten Rose-Saison eingesetzt. In einem Umfeld (der Bundesliga), wo man, salopp gesagt, stirbt, wenn man sich nicht weiterentwickelt.
Gleichzeitig kam die Unwucht des Kaders diese Saison vollends zum Tragen: Intensives Spiel ist Gladbachs Sache nicht und das liegt auch stark an den Spielertypen, die man hat. Viel schwerer wiegt aber, dass ich schon vor Jahren die mangelnde Breite in der Defensive bemängelt habe und diese Saison sich das zu einem grandiosen Problem entwickelt hat (siehe der Beitrag von @alex_muc86 ). Das war aber mit Ankündigung, denn die Probleme waren größtenteils schon Anfang 21 zu sehen (und teilweise davor).
Pech?
Die gesamte Saison hindurch gab es nicht nur unendlich viele Nebenthemen, sondern auch Rhythmusunterbrechungen: Spieler waren zu den schlechtesten Momenten verletzt, genesene mussten auf Positionen oder zu Zeitpunkten spielen, wo eine Pause notwendig gewesen wäre. Einerseits ist das nicht Gladbach-spezifisch, aber auch andere Vereine in solchen Phasen hatten ihre Probleme und haben nicht unbedingt das erreicht, was sie wollten oder könnten. Andererseits kommt hier wieder das Kaderproblem durch: Kramer, Jantschke, Stindl und Herrmann sind kein vollwertiger Ersatz mehr, die Qualität von Regionalligisten genügt oft nicht. So haben die Verletzungen etc. schonungslos die Schwachstellen des Kaders offenbart. D.h. auch die Schwachstellen vieler Spieler: Ginter, der kein Abwehrchef und nur ein guter Verteidiger ist, Thuram, der mit Rückschlägen anscheinend nicht gut umgehen kann, Pléa, der schon immer unkonstant ist. Neuhaus, der jemanden braucht von dem er defensiv lernen kann. Und zu guter Letzt fast alle Offensivspieler, die zu langsam lernen Defensivarbeit zu leisten.
Dieses Rhythmuspech war aber nicht nur für das Spiel ein Problem. Thuram wäre wahrscheinlich schon weg, Pléa vielleicht auch. DIe Struktur des Kaders hätte sich diese Saison wohl ändern sollen, aber es war nicht möglich. So hatte man 33 (bald 34) Spieltage lang einen unausgewogenen Kader, der klimatisch, von der Qualität her und spielerisch nicht mehr zusammenpasst.
Endlich! Ginter geht!
Keine Ahnung, ob Gladbach nicht gut mit Ginter umgegangen ist. Schön, dass er sich jetzt äußert und seine Sicht darstellen kann. Ich habe leider keine Zeit den Podcast zu hören, aber ich nehme mal die Stichpunkte auf, die von den Mitforenten genannt wurden. Dabei muss eines klar sein: Die Aussagen von Virkus sind normal. Eberl hat entsprechende Aussagen in der Vergangenheit in anderen Fällen auch getätigt und die allermeisten Manager verteidigen die Position ihres Vereins und stellen den Spieler als den negativen Part in der Verhandlung hin. Ich halte nichts davon zu fordern, dass man nicht schlecht über den alten Verein reden sollte - doch soll man, wenn man es so sieht. Das ist das gute Recht der Spieler und es ist dann wiederum das Recht der Manager dem zu widersprechen und das schlimm zu finden. Als Außenstehender ist es quasi unmöglich die Aussagen beider Seiten auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Feststellen kann man nur: Seit letzter Saison stehen die Zeichen auf Abschied. Ginter hatte gewisse Ansprüche, die nicht genau zu beziffern sind, die Gladbach aber nicht erfüllen will oder kann. Der beidseitige Umgang damit war aber nicht gut: Ginter hat mehrmals seine Großartigkeit betont, die er nicht hat. Gleichzeitig hat er schon im Frühjahr 2021 keine Äußerungen getätigt, die danach klangen, dass er gerne in Gladbach bleiben würde. Von außen wurde auch kolportiert, dass er gerne zu einem größeren Verein will und mehr Geld möchte. Das ist nicht nachprüfbar, aber sein Auftreten hat darauf hingewiesen, dass da etwas dran sein könnte. Das war womöglich eine Fehlkalkulation von seiner Seite, denn er hat bei weitem nicht die Qualität, um bei einem Verein zu spielen, der mehr als Europaanwärter ist. Zumindest ich hatte oft den Eindruck, dass er der Berichterstattung geglaubt hat, die immer betont hat, wie toll er sei und das er ja Nationalspieler ist.
Andersherum hat sich der Verein auch nicht geschickt angestellt: Eberl hat in seiner Eberl-Art sehr lange versucht ihn zu halten. Das war ein Fehler. Ob der Verein wirklich Ginters Ansprüche nicht erfüllen kann, sei dahingestellt - man kam offensichtlich die ganze Zeit über nicht zusammen. Dann hätte gelten müssen, was für alle gelten soll: Niemand ist größer als der Verein. Stattdessen hat man die Entscheidung bis Ende 2021 verschleppt. Das war nicht gut für das Mannschaftsklima, so zumindest der Eindruck von außen.
Ähnliches gilt für Neuhaus, Pléa und Thuram (wobei letztere nicht so öffentlich diskutiert wurden). Mit Neuhaus, Thuram, Pléa, Bensebaini und Hofmann sind da mehrere Säulen, die gehen könnten und zumindest teilweise die Saison über nur mittelmäßig gut zu motivieren sind. Deshalb das „Endlich“ in der Überschrift. Endlich werden die Widersprüche aufgelöst. Der Umbruch hat letzte Saison quasi begonnen, aber ohne das er vollzogen wurde(außer Zakaria). Jetzt folgt der Knall, aber er ist dringend notwendig. Es wird viel Qualität verloren gehen, aber dafür reduziert man (potentiell) die Gefahr für das Binnenklima und kann sich grundsätzlich mit engagierten Spielern neu aufstellen. Das ist gut, aber ein Jahr zu spät. Die wichtigste Frage ist im Nachhinein: Wäre das anders möglich gewesen? Die Antwort ist: Nein, wahrscheinlich nicht. Thurams Verletzung wäre nicht magisch verschwunden und Käufer für einen der anderen wachsen nicht auf Bäumen. Es ist unbefriedigend, aber die äußeren Zwänge und die Verkettung unglücklicher Umstände haben es unmöglich gemacht die Fehler der letzten Jahre in dieser Saison auszugleichen. Löcher stopfen, mehr war wohl nicht drin.
Hütter
Warum wurde er geholt? @GNetzer wusste es am Anfang der Saison nicht, ich weiß es nicht und die Verantwortlichen haben ihre Ideen nie deutlich gemacht. Ist Hütter vielleicht der Silva der Trainer (um den Titel kann er sich dann mit Rose streiten)? Die Verantwortlichen haben seinen Erfolg am Main gesehen und gedacht, „das reicht - muss ja passen“? Mein Eindruck ist: Das ist ein Teil der Wahrheit. Hütter war in Frankfurt bei ähnlichen Voraussetzungen erfolgreich - beide Vereine holen Spieler, die sich (international) weiterentwickeln wollen und beide zielen auf Europa.
Allerdings hatte ich den Eindruck, dass es auch tatsächlich eine inhaltliche Komponente gab: Seit Rose möchte Gladbach zu mehr Intensität kommen und Hütter kann und will da anknüpfen. Einerseits kann man Vereine ummodeln, wie Baumgart es in Köln gezeigt hat, andererseits hat der Gladbacher Kader gerade in diesen Punkten seit Jahren Schwächen. Kann Hütter diese Umstellung gelingen oder ist er nicht der richtige, um das zu tun? Ich finde es fast unmöglich das zu beantworten. Ja, es ist ihm nicht gelungen, aber ich habe die ständigen von außen verursachten Umstellungen und Nebenthemen schon angesprochen. Welcher Trainer hätte das schaffen können unter diesen Bedingungen? Nagelsmann ist es in München nicht vollständig gelungen, Rose nicht in Dortmund und Glasner ist es in Frankfurt in der Liga auch nicht gelungen.
Es kommt aber noch etwas anderes hinzu: Mir scheint, dass man in Gladbach anders geplant hatte. Der Kader sollte nicht so aussehen, wie er heute aussieht. Das hat Eberl Ende letzten Jahres so deutlich gesagt. Thuram hätte nicht mehr da sein sollen und dadurch hätte Gladbach umstrukturiert (auch mit Neueinkäufen, wahrscheinlich) werden sollen. Dazu u.U. noch frühzeitige Abgänge von Ginter und Zakaria. Nichts davon ist passiert und Hütter hat einen Kader übernommen, der so nicht geplant war.
Taktisch bin ich nicht versiert genug, um etwas über Hütters Qualität sagen zu können. Alle negativen Verdikte, die es (im Rasenfunk) zu seinen taktischen Fähigkeiten gab, waren aber für mich bisher nicht stichhaltig. Denn meistens wurde gesagt, dass das in Frankfurt schon nicht funktioniert habe. Leider aber ohne mir zu erklären, warum er in Frankfurt trotzdem erfolgreich war. So oder so frage ich mich aber auch, ob es überhaupt möglich war der Mannschaft eine taktische Entwicklung und Versiertheit beizubringen unter den ganzen äußeren Gegebenheiten.
Das alles mag jetzt nach einer reinen Verteidigung Hütters klingen, aber das soll es gar nicht sein. Ich sehe nur sehr viele Punkte, die dafür sprechen, dass es zumindest nicht alleine an ihm lag; die ihn sogar entschuldigen (können, nicht müssen).
Seine Bilanz ist ohne Frage schlecht, aber es gibt einen Punkt, der für ihn spricht und den man sich wahrscheinlich auch von ihm erwartet hat: Die Integration junger, neuer Spieler in den Kader. Gepaart mit deren Weiterentwicklung. Zumindest in meiner Wahrnehmung war das eine Stärke Hütters in Frankfurt: Neue Spieler integrieren, die Statik der Mannschaft dadurch zum Positiven verbessern und die Spieler und die Mannschaft damit auf ein neues Niveau heben. Wenn das auch die Idee in Gladbach war - das ist zumindest mein Eindruck - dann ist ihm diese eine Sache tatsächlich gelungen: Beyer, Netz, Scally und Koné konnten alle integriert werden und sich weiterentwickeln. Das ist etwas, was Rose in seiner Amtzeit wenig gelungen ist bzw. nur unter besseren Bedingungen (in der 1. Saison).
Was heißt das nun für die Zukunft? Wenn das Management den Eindruck hat, dass Hütter keinen neuen Schwung entfalten kann oder nicht gut genug ist, dann sollte er gehen. Andererseits finde ich das unglaublich schwer zu beurteilen, da er keine „normale“ Saison hatte.
Ich würde mir mal drei Monate wünschen, in denen Gladbach durchschnittliche Rahmenbedingungen hat, um Hütter wirklich einschätzen zu können. Heißt: Normale Vorbereitungen, durchschnittliche Verletzungen, durchschnittliche Unruhe im Umfeld und mit der Mannschaft. Läuft es dann immer noch nicht, dann spricht vieles dafür, dass Hütter nicht der Richtige ist. Vielleicht kommt dann irgendwann Eugen Polanski, der gerade intern aufgebaut zu werden scheint.
Fazit
Das Finanzielle und der mangelnden Nachwuchs sind jetzt noch ganz runtergefallen, aber es ist jetzt schon ein sehr langer Beitrag, deshalb nur noch kurz ein Fazit:
Es ist alles unbefriedigend. Es gibt haufenweise strukturelle Probleme und Fragezeichen. Es gab unglaublich viel Drumherum-Scheiß. Verletzungen, Aufreger + Corona. Das war eine Seuchensaison und ich beneide die Verantwortlichen nicht, jetzt die Weichen für eine bessere Zukunft stellen zu müssen. Gleichzeitig ist ganz viel offen: Im Kader, auf der Trainerposition, finanziell. Im Prinzip war das die Kater-Saison nach der CL-Saison und jetzt muss man die richtigen Mittel finden, um wieder fit zu werden. Ironischerweise heißt fit aber gar nicht Europaaspirationen. Fit heißt: Ruhe, Konstanz, Augenmaß. Und auf dem Feld Einsatz und Weiterentwicklung der Mannschaft. Ich konnte gar nicht auf die Fans eingehen, aber mein Eindruck ist schon, dass vielen der Tabellenplatz nicht so wichtig ist. Die Art und Weise wie gespielt wurde, war das viel größere Problem.
Kleidungsstück
Eine alte, mehrfach gestopfte Socke mit einigen losen Fäden. Aus Sentimentalität und Notwendigkeit hat man die Socke noch - sie kam immerhin von guten Freunden und hat jahrelang gute Dienste geleistet. Leider gibt es ständig neue Löcher und lose Fäden. Jetzt ist Zeit für eine neue - im Stil der alten, aber die Socke hat ihre Schuldigkeit getan und muss gehen.
PS: @alex_muc86 Ich finde es super, wie viel Input du schon zu den ganzen Royalsegmenten rausgehauen hast. Respekt und Danke!