Rasenfunk Royal 21/22 – Euer Input zu Hoffenheim

Ich habe mir spaßeshalber meinen Beitrag von vor einem Jahr zum Hoffenheim-Segment im Royal durchgelesen und könnte meine Fragen von damals im Prinzip 1:1 wieder so stellen, weil sich mMn nichts am damaligen Status Quo geändert hat.

Ist der Kader nicht immer noch zu groß?

Es gehört ja zur Philosophie der TSG, Wertsteigerungen und Weiterverkäufe seiner Spieler zu erreichen und insofern ergibt es auch Sinn, möglichst vielen Spielern im Kader eine signifikante Menge an Spielminuten zuzugestehen, aber man hat in dieser Saison wieder 29 verschiedene Spieler eingesetzt, was dem Schnitt der letzten Jahre von ca. 30 Spielern weitestgehend entspricht und wenn man die Spieler mit Kurzeinsätzen rausrechnet, sind es immer noch 18 Spieler, die mind. 700 Minuten gespielt haben, die meisten davon haben weit über 1000 Minuten gesammelt. Über 2000 Minuten, also über 2/3 der Saison auf dem Platz gestanden haben nur Baumann, Raum, Posch, Kramaric und Bebou; man kann das natürlich machen, zu sagen, wir haben ein Gerüst von 5-6 unverzichtbaren Spielern und die restlichen Plätze in der Startelf werden durchrotiert.

Man könnte im Fall von Hoffenheim sogar argumentieren, dass man auf vielen Positionen Rollenspieler hat, die sich durch 1-2 hervorstechende Attribute gegenüber ihren Mitspielern auszeichnen, beispielhaft in der IV (ich sehe nicht jedes TSG-Spiel, also darf mir gerne widersprochen werden, wenn meine folgenden Zuschreibungen nicht geteilt werden) mit Posch, Vogt und Hübner drei eher klassische IV mit Stärken im Zweikampf am Boden und in der Luft, Richards und Akpoguma als moderne Halbraumverteidiger mit Beweglichkeit und Übersicht und Grillitsch als technisch brillianten Quarterback, den Hoeneß ja offensichtlich als IV sehen möchte - man sieht es auch im ZM, wo sich viele Achter tummeln, die diese Position aber jeweils anders interpretieren; sodass man sagen könnte, dass dem Trainer viele Optionen geboten werden, seinen Spielstil auf den Gegner anzupassen und darauf aufbauend seine Rollenspieler für das eine Spiel eher braucht, für das andere Spiel vielleicht weniger.

Mein Eindruck ist allerdings ehrlich gesagt eher, dass die Rotation darauf zurückzuführen ist, dass mal der Eine verletzt ist, mal der Andere; dann sieht Hoeneß den Einen im Formtief, den Anderen im Formhoch; mal werden Rutter und Dabbur drei Spiele nur eingewechselt und dann wäre es gut fürs Binnenklima, wenn sie auch mal wieder von Beginn an spielen und so weiter. Hauptsache, möglichst viele im Kader sind halbwegs happy mit ihren Einsatzzeiten und was für das konkrete Spiel am Wochenende vielleicht notwendig wäre an Spielertypen, ist dann auch zweitrangig.

Mir geht es auch gar nicht darum, das zu sehr ideologisch zu denken, weil (Nicht-)Rotation auch nicht so sehr mit dem sportlichen Endergebnis korrelieren muss und ich Glasners Ansatz, 11-13 Spieler eine ganze Saison durchspielen zu lassen, nicht besser oder schlechter finde, das ist überhaupt nicht der Punkt.

Mein Punkt ist der, dass ich keine innere Logik bzw. Strategie in Hoeneß’ Aufstellungsverhalten sehe, es sei denn, man unterstellt ihm, dass er einfach möglichst viele Spieler bei Laune halten will. Und da bin ich dann als sehr weit entfernter Beobachter in einer Position, dass ich mich frage, ob das dem Leistungsprinzip entspricht; inwiefern sich ein Kaderspieler der TSG überhaupt in der Verantwortung sieht, Woche für Woche seine Leistungsgrenzen auszutesten, ob im Training oder im Spiel, um seinen Platz im Team zu behalten; und inwiefern Hoeneß das von seinen Spielern überhaupt glaubwürdig einfordern kann. Würde ein kleinerer Kader und der Fokus auf, sagen wir, 13-16 wirklich relevanten Spielern der sportlichen Entwicklung dieser einzelnen Spieler, aber auch der Mannschaft und damit des Vereins nicht zuträglicher sein? Letztendlich könnte man ja auch ketzerisch behaupten, dass die TSG in dieser Saison viele brauchbare und auf dem Transfermarkt sicher auch vermittelbare Teilzeitkräfte ins Rennen geschickt hat, aber wer davon (mit Ausnahme von Raum) hat nachgewiesen bzw. die Chance bekommen, nachzuweisen, dass er eine ganze Saison konstant auf hohem Niveau abliefern kann?

Welche Spieler sind durch Sebastian Hoeneß besser geworden? und: Wo ist die Leistungskultur hin?

Ich habs schon an anderer Stelle geschrieben und wiederhole es gerne: Ich bin nicht daran interessiert, Trainer rauszuschreiben oder mir anzumaßen, die Verantwortung eines Alexander Rosen übernehmen zu wollen. Aber Bilanz ziehen und eine eigene Meinung bilden kann ich mir ja mMn trotzdem erlauben, und wenn es nur zum Zeitvertreib ist; ich glaube nicht, dass ich mit dem, was ich hier schreibe, irgendwem zu nahe trete, geschweige denn Einfluss auf irgendwelche Entscheidungen vor Ort nehme. Jetzt ist Hoeneß aber zwei Saisons Trainer von Hoffenheim und wenn man sich die Bilanz anguckt, dann hat er immer noch einen marginal schlechteren Punkteschnitt als Alfred Schreuder; und bei dem scheint der Tenor ja recht einhellig gewesen zu sein, dass er zumindest mal nicht nach Hoffenheim passt.

Wenn ich nur die Spieler nehme, die beide Hoeneß-Saisons mitgemacht haben (weil das mMn geeigneter ist, Hoeneß’ Einfluss auf die Entwicklung des einzelnen Spielers zu bewerten als bei einem Neuzugang wie David Raum), dann fällt es mir mit Blick auf den Kader sehr schwer, einen Namen zu finden, dem man eine sportliche Weiterentwicklung unter Sebastian Hoeneß attestieren kann; ein Spieler, bei dem man sagt „seit Hoeneß da ist, läuft es bei ihm wie geschnitten Brot“. Da sehe ich ehrlich gesagt nur Baumgartner und mit deutlichen Abstrichen Bebou, wobei ich letzteren einige Male bei Hannover 96 hab spielen sehen und behaupten würde, dass er dort um 2018 herum seine individuell sportlich beste Zeit hatte, mit Ausnahme vielleicht seines zwischenzeitlichen Formhochs in dieser Saison; wobei 10 Scorer in 28 Spielen bei ihm für mich jetzt nicht gleichbedeutend mit einer unerwartbaren Leistungsexplosion sind, die zwangsläufig auf den Einfluss des Trainers zurückzuführen sind. Ich nenne Samassekou deshalb nicht, weil ich Salzburg nicht schaue und nicht einschätzen kann, ob er dort nicht vielleicht besser war, als in Hoffenheim.

Hoeneß hat jetzt noch ein Jahr Vertrag und man scheint ja mit ihm für die nächste Saison zu planen. Meine Frage wäre: Wenn es nicht der Punkteschnitt ist, wenn es nicht die Weiterentwicklung einzelner Spieler ist, und wenn es nicht die Entwicklung einer kohärenten Spielphilosophie ist, die das Hoffenheimer Spiel in einer Konstanz von Woche zu Woche definiert, die über 5 gute Spiele hinausgeht; wenn es das alles nicht ist, was genau ist dann der Bewertungsmaßstab, mit dem man einen Trainer in Hoffenheim bewertet und beschließt, mit ihm ins dritte Vertragsjahr zu gehen.

Wie gesagt, ich will keinen rauslabern und ich hab auch keine emotionalen Aktien an der TSG, ich verstehe nur nicht, was die Verantwortlichen sehen, was ich nicht sehe und ich sehe auch nicht, dass man sich an einem anderen Medienstandort ein drittes Vertragsjahr in der Konstellation überhaupt erlauben könnte - auch da: Das spricht nicht unbedingt für andere Medienstandorte, natürlich kann man in Hoffenheim ruhiger arbeiten und das macht dann Vieles leichter und angenehmer, gerade wenn man eine gewisse Konstanz vorleben will. Ich habe momentan lediglich den Eindruck, dass die von Nagelsmann etablierte Leistungskultur - man darf das nicht vergessen, dass Nagelsmann eine quasi tote, selbst vom Züchter Stevens als untrainierbar eingeschätzte Mannschaft vom Tabellenletzten zur zwischenzeitlich vierten Kraft im Oberhaus geformt hat - in den letzten drei Jahren quasi komplett flöten gegangen ist und man weniger von sportlicher Exzellenz auf der Trainerposition lebt und vielmehr von seinen Transfererlösen, die einem mittelfristig einen besseren Kader ermöglicht haben, als er es vor fünf Jahren war.

Wieder mal viel zu viel Text, aber ich möchte hier nichts mehr kürzen. Viel Spaß bei der Aufzeichnung :heart:

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