“Too close to the sun” So könnte man Dortmund spätestens seit der Saison 16/17 beschreiben. Die erste Saison unter Tuchel brachte sowas von atemberaubenden Fußball mit sich , man war “knapp” hinter den Bayern und scheiterte um Haaresbreite an Liverpool. Doch dann gab es so viele fragwürdige Management-Entscheidungen, zwischenmenschliche Probleme und unerklärlich schwankende Leistungen, sowohl vor als auch nach dem Anschlag. MMn begann es mit der Entscheidung, entgegen eigener Ankündigungen Mkhitaryan, Gündogan und Hummels ziehen zu lassen. Die 38 Mio für Hummels waren es aus meiner Sicht nicht wert, den Kapitän, wichtigsten Spieler, Abwehrchef zum damals noch größten Konkurrenten ziehen zu lassen. Sicherlich wäre er ein Jahr später umsonst gegangen, aber danach stand die Abwehr trotz Toprak, Bartra und Akanji (zusammen ca 40 Mio Ablöse) nie mehr so sicher wie zuvor. Ich glaube auch, dass er den Anstand gehabt hätte, noch ein Jahr zu warten.
2016/2017 merkte man, dass Dortmund Spiele hauptsächlich durch individuelle Klasse (Dembélé, Aubameyang, Reus, Pulisic) gewann, selten aber durch die systematische, mannschaftliche Überlegenheit wie im Vorjahr. Das war zugegeben sehr schwer, nachdem alle Neuzugänge (Rode, Götze, Mor, Schürrle, Guerreiro, Dembélé, Isak, Merino, Bartra) allesamt entweder häufig verletzt waren, schwach spielten oder menschlich nicht in die Truppe passten. Gerade die Ansammlung internationaler Top-Hype-Talente dürfte die Teamchemie (ja, FIFA Begriff) nicht positiv beeinflusst haben. In Top-Spielen (Real, Bayern, Leipzig) war die Mannschaft unfassbar gut, um dann in Ingolstadt und Darmstadt wirklich erbärmliche Leistungen zeigte. Hier verlor auch Tuchel irgendwann die Nerven, was sich in durchgemischten Aufstellungen und fragwürdigen Aussagen vor und nach Spielen zeigte. Das Zerwürfnis mit Mislintat war sicher auch kein Paradebeispiel für interne und externe Unternehmenskommunikation. Ich gehe soweit zu sagen, dass Dortmund in dieser Saison die Champions League hätte gewinnen können, hätte es den Anschlag nicht gegeben. Diese Mannschaft mit diesem Dembélé war in der Lage, jeden zu schlagen. Leider kam dann dieser unfassbar widerliche Anschlag, der den weiteren Verlauf (natürlich über die Saison hinaus) stark beeinflusste. Es führte leider nicht dazu, dass der Klub bzw. die Mannschaft enger zusammenwuchs, sondern sich mehr und mehr entzweite. Und das trotz gemeinsamer Erfolge wie dem Erreichen der CL und dem Pokalsieg. Ich finde es dermaßen schade, dass Tuchel gehen musste, obwohl ich hier natürlich nicht die Einzelheiten kenne. Hierbei finde ich verwunderlich, dass manche Spieler (Gündogan) von Tuchel in höchsten Tönen schwärmen, während andere (Hummels?) anscheinend nicht bereit sind, nochmal unter ihm zu spielen.
Leider gab es danach wieder Entscheidungen, die aus heutiger, aber auch aus damaliger Sicht diskutabel waren. Bosz zu holen, ohne bereit zu sein, seinen bekannten Spiel- und Führungsstil wenigstens eine Saison durchzuziehen, ist einfach nicht durchdacht. Wer den Saisonstart des BVB genau verfolgt hat, konnte sehen, dass die Abwehr dermaßen offen war. Selbst Mannschaften wie der HSV oder Köln hatten ausreichend gute Chancen. 2 Gegentore nach 7 Spielen war schier unglaublich. Danach fiel das System wie ein Kartenhaus zusammen und selbst sicher geglaubte Siege (Frankfurt, Schalke) wurden hergeschenkt. Die Entlassung war wahrscheinlich alternativlos, da auch Bosz mit seinem Latein am Ende schien. Hier zeigte sich aber die fehlende Strategie (Philosophie klingt so beschissen) des Vereins. Stöger war nahezu der einzig verfügbare Trainer, der aber einen völlig anderen Fußball spielen lässt. Sicher hat er die Defensive stabilisiert, aber auch bei Köln zeigte sich, dass er die Balance zwischen defensiver Stabilität und offensiver Flexibilität nicht hinbekommt.
Ich möchte Stöger und Bosz nicht die Schuld am Schlamassel geben, denn sie arbeiten mit einer völlig durcheinander gewirbelten Mannschaft. In dieser wurden nahezu alle menschlichen, aber auch spielerischen Säulen (Hummels, Subotic, Bender, Kuba, Ginter, Gündogan) nicht reibungsfrei ziehen lassen. Die verbliebenen, vermeintlichen Führungsspieler Piszczek, Sahin, Schmelzer und Reus sind entweder sehr häufig verletzt, einfach nicht leistungsstark oder machen durch komische Interviews (Sahin, Schmelzer) unnötig Stimmung. Die Theaterstücke Dembele und Aubameyang gehörten 2017 zur Tagesordnung. Von Zorc und Watzke gab es nie einheitliche Ansagen oder Vorgaben. “Dembele geht auf keinen Fall” “Naja jetzt streikt er, konnten wir ja nicht ahnen” “Das Angebot mussten wir ein paar Tage vor Transferfrist annehmen”. Die Neuzugänge schienen auch wieder eher per Zufall gewählt. Yarmolenko ist ein super Offensivspieler, defensiv aber teilnahmslos (wie kann so ein Spieler ausgerechnet von Dortmund verpflichtet werden?). Zudem nimmt er den jungen Spielern (Pulisic, Sancho, Philipp) wertvolle Spielzeit. Toljan wirkt so teilnahmslos, als hätte er seinen Bruder geschickt. Zagadou ist ein super Talent, aber auch der gefühlt 10. internationale Spieler den niemand “an die Hand nimmt”. Warum Dahoud nicht das Vertrauen gegeben wird, erschließt sich mir nicht. Seine Leistungen im schwarzgelben Dress waren immer ansprechend. Hier fehlen mir von Zorc und Watzke irgendwo die Ansagen an den Trainer á la:
“Wir sind der BVB, wir spielen auf die und die Weise und dafür haben wir diesen Spieler geholt. Solang der seine Leistungen im Training bringt, fit ist und sich ordentlich verhält, steht der in jedem Spiel in der Startelf”
Wie Sammer im TG gesagt hat, ein guter Sportdirektor muss auch mal als Trainer gearbeitet haben.
Insgesamt gibt es super viele Umstände warum es beim BVB nicht funktioniert. Der Anschlag ist ganz bestimmt zentraler Bestandteil, wenn man die Aussagen von Ginter & Co zu ihren Gefühlen vor einem Spiel liest. Ich glaube auch, dass Watzke und Zorc die Zeichen der Zeit erkannt haben und wieder mehr Ordnung und Struktur in die Mannschaft bringen wollen. Das zeigen die Entscheidungen Sammer und Kehl, aber auch die wahrscheinlich perfekten Verpflichtungen von Hitz und Lichtsteiner. Beide sind erfahrene, deutschsprachige Spieler, die jüngere Spieler leiten können. Zudem sind beides Spieler, die in der Vergangenheit auch viel auf der Bank verbracht haben, ohne zu murren. Lichtsteiner´s Einwechslung in Tottenham war der Grund für die Wende von Juves Achtelfinale.
Favre sehe ich als super spannend an. Seine Spielweise ist gar nicht so fern von Klopp und Tuchels BVB. Klopp war ja eher traurig, dass er damals keinen starken Ballbesitzfußball gegen schwächere Mannschaften in petto hatte. Ich könnte mir vorstellen, dass er den Grundstein für Nagelsmann legen soll, obwohl im Trainerbusiness natürlich nie langfristig geplant werden kann. Daher wäre es für den BVB wichtig, im Nachwuchs weiterhin auf junge Trainer, die einer gemeinsamen Strategie folgen, zu setzen.
Ich freue mich auf das Gespräch mit den gewohnt fachkundigen Experten von Schwatzgelb, Yellow Wall und Co!