Zum FC Schalke 04:
Blinder Optimismus
Vor der Saison habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr eine solch positive Stimmung im Schalker Umfeld vernommen. Trotz Abstieg am 34. Spieltag und wieder einmal personellem Aderlass (Krauß, Jenz, Bülter, Zalazar) war der Optimismus im Umfeld riesig, was hauptsächlich an Thomas Reis lag. Reis hatte Schalke trotz Horror-Hinrunde fast zum Klassenerhalt geführt und Schalke war auf der ominösen Rückrundentabelle sogar auf Platz 8. Fast jeder Schalker, einschließlich mir, war sich sicher: Dieser Trainer wird die Ausnahme werden und sich nicht einreihen in die viel zu lange Liste der Gescheiterten. Ich persönlich war mir noch nie so sicher, dass Schalke in einer Saison Erfolg haben wird, wie in dieser. Zumal Thomas Reis in Bochums Aufstiegsaison auch durchaus ansehnlichen, attraktiven Fußball hat spielen lassen.
Auch die Neuzugänge lasen sich durchaus vielversprechend: Ron Schallenberg, Paul Seguin, Lino Tempelmann, Timo Baumgartl, Marius Müller. Alles Namen, die entweder Erstligaerfahrung hatten oder schon in guten Zweitligamannschaften spielten. Hinzu kam ein Talent mit Assan Ouedraogo, der schon nach dem ersten Spiel in aller Munde war. Man hat also einen Trainer der allseits akzeptiert ist, Ruhe im Umfeld und namenhafte Akteure für die abgewanderten Spieler geholt. Steht dem Wiederaufstieg also nichts im Weg?
Sehender Absturz
8 Spiele, 2 Siege, 1 Unentschieden, 5 Niederlagen. Das ist die Bilanz von Thomas Reis bis zu seiner Entlassung nach dem 8. Spieltag. Doch wie konnte es dazu kommen? Beobachter von Schalke Spielen in der Vorsaison wussten wie Schalke auf Platz 8 gekommen war: Den Gegner auf dem Feld stressen, im besten Fall mannorientiert auf dem gesamten Platz und dann hoffen, dass man durch Standards oder Marius Bülters Überform zu Toren kommt. Das hat in Liga 1 wunderbar funktioniert, allen voran weil die meisten Teams sich nicht spielerisch aus dem 1 gegen 1 lösen konnten. Thomas Reis wollte exakt diese „Erfolgsformel“ in Liga 2 wieder anwenden und hoffen, dass sich wieder Spieler finden, die individuell Tore kreieren werden. Das Problem: Es stellt sich raus, dass in Liga 2 mehr Mannschaften einen spielerischen Ansatz haben und sich aus der Mannorientierung lösen können. Ja genau, ich behaupte wirklich, dass die zweite Bundesliga, allgemein verstanden als Liga bei der es allen voran über Körperlichkeit und „Willen“ geht, mehr Mannschaften hat, die, trotz niedrigerer individueller Klasse, einen spielerischen Ansatz verfolgen. Kurz gesagt: Diese Mannschaften wissen, dass sie nur ein 1 gegen 1 Duell gegen Schalke gewinnen müssen, um eine numerische Überzahl zu bekommen.
Und so war es kein Zufall, dass Thomas Reis’ Mannschaft fast chancenlos erschien gegen den HSV, Holstein Kiel, St. Pauli, SC Paderborn und auch zeitweise gegen den 1. FC Magdeburg. Alles Mannschaften, die genau wissen, wie sie ein Spiel aufbauen müssen, wie sie Pressing überspielen können. Und leider hat Thomas Reis es nicht geschafft, seine Mannschaft spielerisch über das „Erfolgsrezept“ der Vorsaison hinaus weiterzuentwickeln. Spieler liefen ihrer Form oder ihrem Ruf hinterher, Spieler wurden unzufrieden und liefen zur Presse (Seguin’s Vater Interview mit Springer, Baumgartl Sky Interview, Fährmann Berater Interview mit Springer). Und so kam es, wie es für Trainer von Schalke 04 scheinbar vorbestimmt ist: Er scheiterte nach knapp einem Jahr, was traurigerweise ja schon fast ein positiver Ausreißer bei Schalketrainern zu sein scheint.
Weinende Tristesse
Scheinbar gibt es auf Schalke und vielleicht generell im Fußball nur Extreme. Entweder ein Trainer ist super oder er war von Anfang an die falsche Wahl. Ein Transfer ist entweder Top oder Flop. Die Kaderplanung ist entweder herausragend oder amateurhaft. Nach Reis’ Entlassung wurden weitere Entlassungen gefordert, jeder Name ist mindestens einmal gefallen, entweder unter Fans oder direkt in verschiedenen Printmedien. Knäbel, Rühl-Hamers, Hechelmann, Hefer, alle sollten gehen. „Kaputtsparen“ ist ein Wort, was für immer auf meiner Hasswort-Liste stehen wird. Mindestens Knäbel, der aktuelle Sportvorstand wird allerspätestens zum Saisonende gehen. Zudem eine Vakanz auf dem „CEO“- und Chefscout-Posten. Und allen voran: Die Angst vor dem totalen Kollaps und dem Doppelabstieg in Liga 3 (Sorry Eva ).Keine guten Tage für Schalke. Auch wenn beide Vakanzen mittlerweile geklärt sind, scheint die Frage: Wer leitet diesen Klub aktuell eigentlich? Zumindest zu dem Zeitpunkt weiterhin Knäbel und Hechelmann, die einen überraschend frischen Namen aus dem Hut zogen: Karel Geraerts, Belgiens Trainer des Jahres, der bis zum Sommer Union Saint-Gilloise trainierte.
Erhörtes Stoßgebet
Ein internationaler Trainer, der deutsch zwar verstehen kann, allerdings nur Englisch mit den Medien spricht. Seit Roberto Di Matteo habe ich immer ein komisches Gefühl, wenn ein Schalke Trainer zumeist auf Englisch antwortet, aber die Vorgeschichte Geraerts ist durchaus spannend. Ein unverbrannter Trainer der bislang in seiner (zugegebenermaßen kurzen) Trainerlaufbahn nur Erfolg kennt. Der im Sommer mit verschiedensten hochrangigen Klubs in Verbindung gebracht wurde und jetzt Trainer bei Schalke wird. Geraerts Stil wurde im Sommer beschrieben als fluider Flügelfokus mit aggressivem Pressing und viele verschiedenen Art und Weisen zu Toren zu kommen. Wer sich eine kurze Analyse seines Spielstils anschauen möchte: https://totalfootballanalysis.com/article/karel-geraerts-belgian-pro-league-royale-union-saint-gilloise-scout-report-tactical-analysis-tactics. Und das auserwählt von einem Entscheidungsträger, der im vorletzten Sommer als kreativste Trainerwahl auf Frank Kramer gekommen ist. Es klang schon fast zu gut um wahr zu sein, dass derselbe Entscheidungsträger (mit anderem Sportdirektor) jetzt auf eine solch erfrischende Lösung gestoßen ist.
Geraerts Fokus der ersten Wochen war eindeutig. Bei jeder einzelnen Pressekonferenz betonte er zwei Dinge: Siegermentalität herstellen und körperliche Fitness. Besonders letztere bemängelte er sehr stark, was sich auch in den Laufzahlen der Spielen zeigte. Reporter die die Trainingseinheiten beobachteten berichteten von immer mehr Wettkampfmodi, vielen Einzelgesprächen und extrem langen intensiven Einheiten. Und: Die Spiele wurden besser. Auch wenn es sich zeigte, dass das Spielermaterial für Geraert’s bevorzugtes 3-5-2 System nicht da war (was auch an überdurchschnittlich vielen Verletzten lag), stellte er in den letzten drei Spielen auf ein 4-4-2 mit Raute um, um sein Pressing zu spielen. Man stand defensiv sehr viel besser als zuvor und offensiv wurde nach Ballgewinnen schnell umgeschaltet und der Torabschluss gesucht.
Geraerts Ligabilanz: 8 Spiele, 3 Niederlagen, 1 Unentschieden, 4 Siege.
Lächelndes Zweifeln
Zwar sportlich auf dem Weg der Besserung ist es jetzt schon eine Saison die man einzig und allein als „schalkig“ bezeichnen kann. Auch wenn Geraerts Start nicht einfach war, ist seine Handschrift mehr und mehr zu erkennen. Es sind Neuzugänge geplant, allerdings fehlt das Kleingeld aufgrund von Problemen mit Sponsoren. Neuzugänge die vielleicht garnicht wissen was Schalkes Saisonziel ist: Abstiegskampf bis zum Schluss? Mittelfeldplatz? Doch nochmal oben anklopfen? Alle drei Saisonziele habe ich bereits im Internet gelesen. Und da die zweite Liga bekanntermaßen jedes Jahr sehr eng ist, kann ich mir auch tatsächlich alle drei Szenarien vorstellen.
Ein paar Randnotizen die ich nicht gesondert erwähnt habe:
- Schalkes Lebensversicherung der Hinrunde war eindeutig Kenan Karaman mit bereits 10 Scorern. Er ist der einzige der als „Unverkäuflich“ betitelt wurde in der Winterpause.
- Trotz fehlendem sportlichen Erfolg ist Schalke auf dem Weg zu einem Zuschauerrekord der zweiten Bundesliga mit einem Schnitt von 61.436 pro Spiel. (vor zwei Jahren in der Zweitligasaison war der Rekord nicht möglich aufgrund der coronabedingten Geisterspiele)
- Neuer Schalke Vorstandsvorsitzender wird Matthias Tillmann. Ehemals trivago CFO, was durchaus ein Beigeschmack ist, denn trivago CEO war zu dem Zeitpunkt ein gewisser Axel Hefer, der aktuelle Aufsichtsratvorsitzende von Schalke.
- Neuer Chefscout ist Christoph Kresse, ehemals „Head of National Scouting“ beim VFL Wolfsburg
- Schalke hat, in Verantwortung von Peter Knäbel diese Saison ein allgemein gültiges Sportkonzept für den Verein veröffentlicht. Es ist sehr allgemein gehalten, eine Zielvorgabe ist aber unter anderem unter 1000 Verletztentage pro Saison. Diese Zahl hat man diese Saison übrigens bereits übertroffen.
- Schalke konnte trotz Abstieg dieses Jahr die Gesamtverbindlichkeiten wieder reduzieren. Das liegt vorallem daran, dass letzte Saison die kompletten Stadioneinnahmen wieder zur Verfügung standen. Zudem ist der Personalaufwand in der Bundesligasaison nicht explodiert. (meine persönliche Meinung ist, dass C. Rühl-Hamers dafür sorgt, dass der Laden noch nicht komplett dicht gemacht wurde) Finanzberichte - FC Schalke 04