Vielen Dank für diese gute und ausführliche Folge. Bezüglich Werder ein paar Anmerkungen. Solveig erwähnte das fehlende Glück Werders als einer der Faktoren für die derzeitige Lage. Das verkennt meiner Meinung nach zunächst einmal, dass Werder ohne Glück sich letzte Saison nicht in die Relegation gerettet hätte (da abhängig von Ergebnissen der anderen) und diese auch nicht überstanden hätte (Auswärtstorregel gegen Heidenheim). Zudem hat man die 30 Punkte zum 24. Spieltag ja auch mit einigem Glück geholt, weil man in den erfolgreichen Spielen auch eben das nötige Glück hatte und sehr effizient gespielt hat.
Gleiches gilt für mich auch bei den Transfers. Ja, Baumann hat vor der letzten Saison gepokert und sich gegen den Verkauf bspw. von Rashica und Augustinsson entschieden, um einen Anlauf Richtung Europa League zu nehmen. Dabei hat man den zur Verfügung stehenden Kader deutlich überschätzt (bzw. auch den Einfluss von Kruse unterschätzt) und gedacht, man kann MK10 im Verbund durch Klaassen, Maxi Eggestein, etc. kompensieren. Das war eine gravierende Fehleinschätzung, nun sind durch Corona und mangelnde Leistungen die Marktwerte der Spieler massiv abgerutscht.
Darüber hinaus halte ich die Spielerverpflichtungen zuletzt auch nicht nur für Pech. Man hat mit Toprak und Füllkrug zwei Spieler geholt, die schon vorher sehr verletzungsanfällig waren. Und das wurde eben nicht besser. Mit Osako hat man einen Spieler, von dem ich eigentlich viel halte, der aber irgendwie kaum so eingesetzt wird, dass seine Stärken zur Geltung kommen. Bei Bittencourt stellt sich mir auch die Frage, wofür man ihn konkret geholt hat. Obwohl relativ teuer, scheint er keine fixe Position zu haben und ist auch kein unumstrittener Stammspieler. Am Ende ist dann da noch Selke, der mehr als 10 Mio. kosten könnte, was er einfach nicht wert ist (auch schon vor Corona nicht). Da muss man sich nix vormachen, das ist halt verbranntes Geld. Geld, was der Verein einfach nicht hat. Und das ist auch kein Vorwurf an Selke, denn er hat den Deal ja nicht gemacht. Wenn man sich die fünf Spieler anschaut, sind das mehr als 30 Mio. Euro für Spieler, die uns in Summe leider nicht besser machen. Es zeigt sich leider auch schon seit Jahren eine fehlende Strategie am Transfermarkt (auch schon vor Baumann). Stattdessen scheint man auf „günstige Gelegenheiten“ zu setzen.
Auch ein bisschen schwierig finde ich diesen impliziten Vorwurf in Richtung der Fans, die einen Wechsel auf der Bank gefordert haben und die das Konstrukt „Werder-Familie“ auch mal hinterfragen, sie seien kommerzielle Erfolgsfans, die immer höher, schneller und weiter wollen. Ich denke, die meisten Fans in Bremen kennen die Limits des Vereins sehr genau und das bspw. ein mögliches Erreichen Europas wir vorletzte Saison am oberen Ende des Möglichen liegt. Aber das heißt doch nicht, jeglichen Anspruch an eine Entwicklung oder eine langfristige Strategie aufzugeben. Mir persönlich wäre es auch recht, wenn Schaaf noch Trainer wäre, und man innerhalb des geltenden Rahmens gute Arbeit leisten würde (gleiches gilt auch für Nouri oder Skripnik). Stattdessen heißt dann (nicht von Solveig), wenn man den Trainer in Frage stellt: „Wir sind nicht der HSV! Wir sind nicht Schalke! Geh doch zu den Bayern!“ oder es werden die Beispiele rausgesucht, wo Trainerwechsel nichts gebracht haben, um Trainerwechsel insgesamt in Frage zu stellen. Auch wenn es dann genügend Gegenbeispiele gibt. Letztlich mache ich mir sehr große Sorgen um Werder, denn ich bin mir nicht sicher, ob der Verein einen Abstieg überlebt. Die veröffentlichten Zahlen (im Rahmen der geplanten Anleihe) lassen da nicht viel Optimismus zu, daher finde ich dieses „Ach, in Liga 2 ist auch hübsch und eh cooler“ einiger Fans wirklich gefährlich. Und auch ein Verbleib in Liga 1 bedeutet ja vor allem den weiteren Ausverkauf vom letzten Tafelsilber (mehr als 9 Mio. Transferüberschuss werden angepeilt), die Frage, wie Abgänge qualitativ ersetzt werden sollen und ein weiterer Schritt zurück.
Die Lage in Bremen ist nicht nur sportlich sehr ernst und auch gerade jetzt verstehe ich nicht, warum man sich nicht auch Input von außen holt. Warum versucht man nicht, einen Mittelweg zu finden zwischen Werder-Familie und Externen? Warum hat man das Gefühl, alles Fremde wird über kurz oder lang weggebissen, vor allem vor dem Hintergrund, ob das wirklich der richtige Weg ist?