Moin liebe Rasenfunk-Community!
Als treuer Hörer des Rasenfunks und Werder-Mitglied, kam ich nunmehr nicht daran vorbei mich hier anzumelden, um meine „2 Cents“ zu dem Gesagten in dem Werder-Schwerpunkt abzugeben.
Vorweg sei gesagt, dass ich sehr kritisch sein werde, jedoch mit dem Anspruch an diesen Kommentar rangehe, meine Worte dezidiert zu wählen, um dem Geschriebenen Nachdruck zu verleihen und um konstruktiv und so wenig stammtischesk wie möglich zu bleiben. Ich werde mich bei dem Aufbau meines Kommentars ein wenig an dem Gesprächsverlauf im Schwerpunkt halten.
Das Gespräch beginnt mit dem Verweis auf eine angebliche Anspruchshaltung die unter den „Menschen in Bremen“ herrsche – stellvertretend wurde auf die Userinnen und User im „Worum“ hingewiesen – und die in Bremen Erwartungen an große Transfers oder CL-Fußball schüre. Diese Erwartungshaltung ist meines Erachtens nahezu nicht existent. Ich schreibe nahezu, weil es sich in einer 42.000 Mitglieder starken und im Internet nochmal weitaus größeren Gemeinschaft, natürlich eine gewisse Anzahl Personen finden lässt, die realitätsfern über den Wolken schweben und vom Unerreichbaren träumen. Doch würde ich arg bezweifeln, dass ihr Anteil in Bremen überproportional groß im Vergleich zu jeder anderen Fangemeinde an einem (traditionellen) Standort in der Bundesliga sein wird. Wir sprechen hier vielleicht über 2-5 % der Fans.
Dennoch ist es wichtig und spannend bei den Fans und bei der Erwartungshaltung zu bleiben, denn es gibt tatsächlich große Trennlinien – fast schon Gräben – zwischen einzelnen Fanlagern. Diese Trennlinien verlaufen anhand der Fragestellung, wie man die Arbeit innerhalb des Vereins bewertet und – wichtig – in den Gesamtkontext Profifußball, Entwicklung der Liga etc., einordnet. Und zwar die Arbeit in der Vergangenheit (ca. ab 2010), die gegenwärtige Performance innerhalb des Vereins und die Frage, wie man sich denn die kommenden Jahre vorstellt. Hier gibt es enorme Unterschiede in der Lesart. In dem Wissen, dass ich mich selbst ganz bewusst in einem der folgenden Fanlager sehe und damit wahrscheinlich nicht ganz objektiv bin, werde ich trotzdem, um Objektivität bemüht, folgend eine Skizzierung der wesentlichen Pole, wie sie sich meiner Meinung nach darstellen, vornehmen:
Das eine Lager – in dem ich Kirsten auch verorte – sieht die Vergangenheit seit 2010 stark im Lichte des schmerzhaften Kaderumbaus nach dem Verpassen der Europäischen Wettbewerbe, dem kostenintensiven Stadionumbau und sogar noch im Lichte der letzten Amtshandlungen von Klaus Allofs, den Kirsten ja noch dezidiert angesprochen hat. Wenn Fehler gemacht worden sind, dann eben von jenem Allofs oder maximal noch von seinem Nachfolger Thomas Eichin. Nach der Ära Eichin und je näher wir uns auf dem Zeitstrahl der Gegenwart nähern, desto mehr scheinen sich die Fehler wie von Geisterhand aufzulösen. An Stelle der Fehler träten die sicherlich nicht zu negierenden oben genannten Punkte, die Umstände und der zunehmende Konkurrenzdruck in der Liga. Die (katastrophale) wirtschaftliche Lage wird zum Naturgesetz erklärt und davon, ganz im Geiste von Marco Bode‘ Buch „Tradition schießt keine Tore“, der sportliche Niedergang abgeleitet. Die Existenz einer Vereinsführung und ihr Wirken werden in der Bewertung quasi völlig außer Acht gelassen und der Verein auf etwas reduziert, was im Fahrwasser des Schicksals mitgerissen wird. Und sei es in die Liga Zwei. Unterm Strich bleiben einzig die Faktoren Pech und Glück. Erwartungen an die Zukunft – Abseits des nächsten Spieles, der nächsten Halbserie oder maximal der nächsten Saison – werden nicht formuliert.
Dem zweiten Pol, in dem ich mich wie bereits oben erwähnt sehe, sind die Fehler und negativen Umstände aus der Vergangenheit ebenfalls bewusst. Allerdings bettet dieses Fanlager die Verfehlungen stärker in den zeitlichen Kontext ein und sah und sieht die Vereinsführung in der Pflicht. Was meine ich damit?
Klaus Allofs hat Werder Bremen vor 11 Jahren verlassen. Thomas Eichin im Jahr 2016. Den großen Kaderumbruch hat Werder bereits im Sommer 2015 abgeschlossen, als nämlich mit Sebastian Prödl der letzte Spieler gegangen ist, der im vorerst letzten europäischen Spiel von Werder Bremen gegen Inter Mailand auf dem Platz gestanden hatte und wahrscheinlich über CL-Konditionen verfügte. D.h. die ganz große Transformation war bereits abgeschlossen, ein Jahr bevor die derzeitige Vereinsführung übernommen hat.
Wir sprechen über sieben Jahre (Eichin‘ Amtsaustritt, bis heute) und 15 Transferfenster, in denen nicht nur nicht der sportliche Turnaround gelungen ist, sondern, der Abstand den man zu einiger Konkurrenz noch hatte, völlig eingebüßt wurde. Mit dem negativen Höhepunkt Abstieg in der Saison 20/21. Die wirtschaftliche Lage, deren wesentlicher Treiber die Kaderplanung und Transferpolitik ist, hat sich enorm verschlechtert (bereits vor Corona). Grundsätzlich zeigen alle Parameter, die Auskunft über den Erfolg oder Misserfolg eines Vereins und eines Unternehmens geben, nach unten.
Das „Fanlager B“ nimmt die Vereinsführung in die Pflicht und lässt es nicht mehr gelten, die Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart ständig in den Fehlern von vor sieben oder mehr Jahren kontextualisiert zu sehen. Der Welpenschutz muss irgendwann ein Ende haben.
Spieler die gekauft werden und Spieler die (nicht) verkauft werden, sind immer im Lichte der Alternativen zu betrachten (Max hatte eine von vielen möglichen Alternativen angesprochen). Und die Antwort kann nicht nur aus dem merkelschen „Alternativlos“ bestehen!
Das Problem ist, dass das „Fanlager A“, das „Fanlager B“, mit den von mir oben benannten Fantasten (die 2-5 %) gleichsetzt und damit die berechtigte Kritik ad absurdum führt. Leider – und da zähle ich mich ganz klar mit rein – schaffen wir es in Bremen nicht, dieses Fanlager so zu organisieren, um uns einer breiten Öffentlichkeit zu verschaffen und beispielsweise auch auf der Mitgliederversammlung eine Wirkmacht zu erzeugen. Anders als gewisse Gruppierungen Abseits der organisierten Fanszene in Köln (Anti-Wehrle), Stuttgart (Anti-Dietrich) oder auch situativ in München (Katar etc.).
Unser größtes Problem ist nicht eine überzogene Erwartungshaltung einiger weniger Fans. Ganz im Gegenteil! Unser größtes Problem ist das vollständige Fehlen jeglicher Erwartungshaltung in der Breite der Fanschaft und auch innerhalb des Vereins!
Grüße aus Bremen.