Auf Grund der aktuellen Medienberichte habe ich mir auch nochmal die Situation um die Verantwortlichen beim BVB angeguckt und auch Medienberichte aus der Vergangenheit hierbei nochmal aufgegriffen um die Gesamtsituation besser zu verstehen.
Kehl übernahm zur Saison 2022/23 lange vorausgeplant den Posten des Sportdirektors von Michael Zorc. Als Trainer stand damals Marco Rose an der Seitenlinie und Sebastian Kehl plante hierbei auch mit diesem. Diese Saison war dabei die erste nach dem Pokalsieg des BVB mit Edin Terzic, der daraufhin ins zweite Glied rückte und die ganze Saison über, mindestens medial, wie ein Trainer auf Stand By behandelt wurde. Zwei Wochen vor der Entlassung von Marco Rose im Rahmen einer Saisonanalyse sagte Kehl im Doppelpass, zur Klarstellung einer unglücklichen Formulierung seinerseits zur Zukunft von Rose (Bei Sky90: „Ich gehe davon aus“ und wiederholte dies auf Nachfrage):
„Ich kann klar sagen, dass es gestern total unglücklich formuliert war, ohne große Absicht. Ich weiß jetzt natürlich, was daraus gemacht wird. Ich kann aber auch klar sagen, dass ich mit Marco die Saison plane und dass wir im Moment in der Vorbereitung mit den Transferthemen komplett alles gemeinsam besprechen.“
Rose sagte, auf die in diesem Rahmen aufgekommenen Gerüchte damals:
„Ich bin nächstes Jahr noch Trainer von Borussia Dortmund, und ich freue mich sehr darauf, weil ich ein hervorragendes Verhältnis zu meiner Mannschaft habe, weil ich viele Dinge auf den Weg bringen möchte“
Insgesamt wirkt dies grundsätzlich so, als wären sich Kehl und Rose hier einig gewesen gemeinsam in die Zukunft zu gehen und eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Hierzu passen auch viele Berichte darüber, dass, die damals früh finalisierten Transfers (Schlotterbeck, Süle & Adeyemi), persönliche Gespräche mit Marco Rose gehabt haben.
Dies wird auch durch anschließende Medienberichte (insb. Ruhr Nachrichten) gestützt, denen nach vor allem Watzke und Sammer in der Saisonanalyse gegen eine weitere Zusammenarbeit mit Rose gewesen sein sollen und Kehl sich für eine weitere Zusammenarbeit ausgesprochen haben soll.
Im Anschluss wurde dann Edin Terzic der neue Trainer und im weiteren Verlauf der Transferperiode realisierte der BVB mit Salih Özcan und Anthony Modeste noch zwei Wunschtransfers des neuen Trainers.
Kurz vor Beginn der Saison (05.08.2022) erzählte Watzke dann in einem Podcast des Kicker über sein besonderes Verhältnis zu Edin Terzic und im Laufe der Saison zog Watzke dann Vergleiche zwischen Terzic und seinem guten Freund Jürgen Klopp.
Hieraus lassen sich meiner Ansicht nach bereits einige Beobachtungen ableiten: Watzke scheint es enorm wichtig zu sein in einem Umfeld zu arbeiten, in welchem er mit nahestehenden bzw. vertrauten Personen zusammenarbeiten kann. Hier spielte mit Sicherheit zum einen Jürgen Klopp rein, aber evtl. auch die folgende negative Erfahrungen auf menschlicher Ebene mit Thomas Tuchel.
Da auch im Laufe der schlechten Hinrunde immer wieder Vergleiche in Richtung Klopp kamen, war ziemlich klar, dass die Halbserie keine personellen Konsequenzen haben wird, was dann ja auch in einer – zumindest ergebnistechnischen – starken Rückrunde endete.
Im Januar äußerte sich Sebastian Kehl stattdessen zu Spielertransfers. In einem Interview mit dem Kicker sagte er „Unterschiedsspieler benötigen wir auch. Da blicken wir ins Ausland". Zu diesem Zeitpunkt war Julien Duranville bereits beim BVB, sodass hier vermutlich perspektivisch in den Sommer geblickt wurde.
Es folgten dann die punktetechnisch starke Rückserie, die das Standing von Edin Terzic intern, bzw. mindestens bei HJ Watzke gestärkt haben wird. Kehl hingegen steht, einem aktuellen Bericht des Spiegels nach, intern bei gewichtigen Stimmen schon länger in der Kritik.
Mit dieser Ausgangslage ging es dann in das abgelaufene Sommertransferfenster, in dem Medienberichten nach, die Einschätzung des Kaders von Terzic und Kehl unterschiedlich war und sich im Laufe des Transferfenster Terzic mit nahezu allen Forderungen durchsetzen konnte. Hierzu zählen:
- Felix Nmecha der als ausgesprochener Wunschspieler von Terzic gilt
- Edson Alvarez: Spieler war Kandidat von Kehl, wurde dann allerdings von Terzic negativ beurteilt, da er mit Can arbeiten wollte und ihm zum Kapitän machte. Alles nachdem Can insg. Eine Halbserie gut gespielt hat. Vom Verkaufskandidaten zum Kapitän. Mittlerweile Can wieder schlechter und seine bekannten Schwächen Probleme im Spielaufbau
- Niclas Füllkrug der das von Terzic intern gewünschte Format eines zweiten großen und torgefährlichen Stürmers erfüllt
Terzic ist mittlerweile also scheinbar derjenige, der, zumindest in Teilen, die Kaderplanung übernimmt, was den Erkenntnissen nach zum einen an seiner Beziehung zu Watzke, aber auch am schwachen internen Standing von Kehl liegen dürfte.
Hierbei finde ich interessant, dass genau das nach der Zeit von Tuchel mehr oder weniger ausgeschlossen wurde. Patrick Berger sagte vor kurzem, dass insb. die Verpflichtung von André Schürrle, aber auch von Maximilian Philipp und Jeremy Toljan „Schlüsselmomente“ für die BVB Bosse gewesen sind. Zukünftig wollte man daher keinem Trainer mehr so viel Macht geben, worunter vermutlich der ein oder andere Coach erheblich gelitten hat in der Vergangenheit.
Nach dem nun enttäuschenden Start gegen Köln gab es zunächst eine Auseinandersetzung zwischen Terzic und Schlotterbeck, nach dem 2:2 in Bochum ein Interview von Julian Brandt in dem er seine Mitspieler kritisierte fitnesstechnisch nicht auf dem nötigen Niveau zu sein (auch Aufgabe des Trainers). Auch die anschließende Verpflichtung von Niclas Füllkrug statt der eines weiteren Defensivspielers, dürfte bei Youssoufa Moukoko Fragen über die zukünftige Einbindung aufwerfen.
Die vielfach „toxische“ interne Situation dürfte meines Erachtens anhand dieser Konfliktlinien verlaufen. Interessant ist daher die Frage, wie der Weg aus dieser Situation heraus aussehen kann.
Kurzfristig hilft hier – vermutlich – nur der sportliche Erfolg. Dadurch dürften die wesentlichen Konfliktlinien in den Hintergrund treten und lediglich die interne Unzufriedenheit über Sebastian Kehl bestehen bleiben. Hier könnte man dann eventuell eher Kehl durch einen Sportdirektor austauschen, der besser zu Terzics Vorstellungen passt und damit auch diesen Konflikt beseitigen.
Sollte der hierzu benötigte sportliche Erfolg jedoch ausbleiben ist diese Lösung jedoch nicht möglich. Dies würde jedoch meines Erachtens nach am ehesten die Chance auf eine langfristige Problemlösung bieten.
Elementar ist für mich an dieser Stelle die Frage, was Borussia Dortmund überhaupt sein möchte. Sowohl spielerisch als auch in der Vereinsphilosophie. Aktuell hat man keinen dauerhaften Spielstil, vielmehr verpflichtet man dauerhaft Trainer die eine konträre Vorstellung von Fußball verfolgen und dementsprechend alle nicht das Maximum aus den vorhandenen Möglichkeiten rausholen können.
Doch auch darüber hinaus stellt sich die Frage. Aktuell versucht sich der BVB als zweiten Leuchtturm im deutschen Fußball zu positionieren und als „sympathische“ Alternative zum FC Bayern. Zeitgleich betont man jedoch immer wieder die große Lücke zwischen den beiden Vereinen. Titel holt man darüber hinaus nur im absoluten Ausnahmefall, weshalb eine Ausrichtung anhand der sportlichen Erfolge meines Erachtens nach sowieso unsinnig ist. Denn auch mit einer besseren sportlichen Ausrichtung wird man kaum mehr Titel holen.
Auch das im Ausland häufig gesehene Image des Ausbildungsvereins, welches für mich durchaus Charme hat, geht zunehmend verloren. Man möchte mittlerweile eher genau dieses Image loswerden und verpflichtet Spieler die sofort helfen und wenig Entwicklungsspielraum haben. Hierdurch verspielt man jedoch nicht nur ein mögliches Image, sondern auch die Chance Ausnahmespieler in den Reihen zu haben und anschließend große Summen auf dem Transfermarkt umzusetzen.
Diese Identitätskrise besteht beim BVB meinem Empfinden nach bereits seit langer Zeit. Vielleicht braucht man um die diversen Punkte zu lösen auch einfach einen ganz neuen personellen Start. Jemanden der von Außen kommt und Borussia Dortmund neu denkt. Ein Konzept entwickelt und hierauf basierend Entscheidungen trifft.