Ich gebe auch gerne noch meinen royalen Senf dazu - in der Hoffnung, noch ein paar Denkanstöße zu geben:
Fortschritt - wirklich?
Auf dem Papier liest sich das ja alles schön und gut. Von Platz 14 auf Platz 10, 11 Punkte mehr als im Vorjahr, 10 Gegentore weniger, die Siege fast verdoppelt (von 7 auf 13). Dabei muss natürlich beachtet werden, dass in der Vorsaison quasi chronisch underperformt wurde, jetzt dafür ein bisschen überperformt. Jannik Sorgatz hat das für die RP zu genüge aufgeschlüsselt, deswegen hier nur die Kurzform: In allen relevanten tiefergehenden Statistiken gab es quasi keine Verbesserung - sowohl absolut als auch relativ im Ligavergleich: Zugelassene Schüsse, zugelassene xG, xG-Differenz, Pässe im Angriffsdrittel, zugelassene gegnerische Pässe im Defensivdrittel, usw. Das wichtige ist eigentlich im Artikel, bei dem ich hoffe, dass der Share-Link des Plus-Artikels funktioniert.
Die Verantwortlichen erzählen vor allem von den letzten sieben Spielen seit der Länderspielpause (2 Punkte, 11:17 Tore), die den Eindruck der Saison vernebeln. Und ja, die waren auch wirklich schlecht. Der Absturz von Platz 5 auf 10, obwohl in der LSP noch offensiv der Kampf um Europa ausgerufen wurde, spricht Bände. Aber es waren nicht nur die letzten sieben Spiele, die die Saison schlecht erscheinen lassen. Nach sechs Spielen standen sechs Punkte, der tolle Schnitt von 1,00 Punkten pro Spiel setzte sich also auch noch zum Saisonstart fort. Es folgte ein guter Herbst mit nur einer Liga-Niederlage bis Weihnachten - darunter auch endlich der gebrochene Fluch der schier unerreichbaren zwei Siege am Stück. Nach einer schrecklichen englischen Woche zu Jahresbeginn (0 Pkt, 2:9 Tore) ging es dann im Februar und März gut weiter - bis eben zu dieser letzten Länderspielpause. Also war n verschiedenen Phasen höchstens die Hälfte der Saison wirklich gut.
Lange Rede kurzer Sinn: Tabellarisch gibt es natürlich eine Verbesserung im Vergleich zur Vorsaison. Hätte es die nicht gegeben, würden wir jetzt auch von einem Absteiger reden. Allerhöchstens ist es Seoane aber gelungen, den Verein wieder dorthin zu bringen, wo er ihn übernommen hat. Im grauen Mittelfeld, auf Platz 10, mit über 50 Gegentoren, etwas über 40 Punkten und 7 Punkte hinter Europa. Das ist kein Fortschritt, sondern einfach eine Rückkehr zum Status Quo.
Wenn die Aufnahme nicht schon morgen Vormittag wäre, könnte ich hier noch Romane verfassen, deswegen werfe ich jetzt nur noch ein paar Schlagworte rein, auf die ihr vielleicht noch eingehen könnt:
- Talentförderung: Chiarodia schmorte monatelang auf der Bank oder Tribüne, wurde erst spät und ohne Wettkampfpraxis reingeworfen. Cardoso zeigt gute Leistungen und wird wieder aus dem Tor genommen, obwohl das Team mit ihm merklich konzentrierter verteidigt. Spieler wie Fukuda, Pesch (Topscorer der Regio West), Swider oder Charles Herrmann dürfen vielleicht mal in den Kader, bekommen aber wenig bis gar keine Spielzeit. Einziges Positivbeispiel ist Ullrich, der aber wohl ohne Netz’ Verletzung heute noch Regionalliga spielen würde.
- Kadermanagement: Ist Florian Neuhaus wirklich so schlecht, dass er diesem Team nicht weiterhelfen kann? Ngoumou wird lange Zeit auf Links eingesetzt, was noch nie funktioniert hat. Auf Rechts zeigte er dann in der Phase von Honorats Verletzung starke Leistungen. Cvancara ist auf dem Flügel völlig verloren und wird wenn überhaupt nur dort eingesetzt.
- Die Balance: Auch nach zwei Jahren scheint die Balance zwischen Angriff und Defensive nicht gefunden. Entweder Borussia spielt offensiv und erarbeitet sich Chancen, lässt dann aber auch viele Chancen und Gegentore zu, was dann bspw. zu einem 3:4 in Kiel führt. Oder aber der Fokus liegt auf defensiver Stabilität, dann aber komplett zu Lasten der Offensive. Wann kommt da Balance rein?
- Der hanseatische Kaufmann: Wie kann es sein, dass Gladbach der einzige Verein ist, der noch immer an den Corona-Auswirkungen leidet? In den vergangenen Sommern wurden durchaus Transfererlöse erzielt, die nicht vollends in neue Spieler reinvestiert wurden. Offenbar können aber ohne Erlöse kaum Transfers aus eigener Kraft realisiert werden. Wo fließt denn das ganze Geld hin?
- Affentittengeil: Ja, das Wort hat Präsident Rainer Bonhof auf der JHV wirklich benutzt. Nur ein Beispiel, was das Präsidium und die Gremien ausmacht. Externe Einflüsse sind gleich Null, Stallgeruch das höchste Gut. Und überhaupt haben sich alle lieb, alles ist toll und Kritik an ebendiesem Handeln nennt der AR-Vorsitzende Hollmann „dummes Gequatsche“. Warum tritt Borussias Vereinsführung wie die eines Kaninchenzüchtervereins auf, nicht aber wie die eines Fußballunternehmens?
Ich bin mir sicher, nach dem (die Bemerkung sei erlaubt) eher enttäuschenden BMG-Royal nach der Vorsaison werdet ihr in diesem Jahr viele dieser Punkte (und noch viel mehr) beleuchten, deswegen soll es das an der Stelle gewesen sein.
Kommen wir zum MVP: Das muss per Definition Philipp Sander sein. Eigentlich ist er unsung Hero und MVP in einem. Ja, Kleindienst hat die meisten Tore geschossen und war fast an der Hälfte aller Tore beteiligt. Aber wenn ein MVP der Spieler ist, bei dem es am meisten auffällt, wenn er fehlt, ist es eindeutig Philipp Sander. Sein Fehlen fällt genau in die schreckliche Schlussphase der Saison und die 4-Gegentor-Spiele gegen Kiel und Hoffenheim. Nach seiner Rückkehr wurde es immerhin defensiv wieder stabiler.
Unsung Hero: Nachdem Philipp Sander nun schon mein MVP ist, geht der unsung Hero an Alassane Plea - auch ein bisschen für sein Lebenswerk bei Borussia. In seiner siebten Saison hat er zum vierten Mal zweistellig in der Bundesliga getroffen, insgesamt 17 Scorer stehen in dieser Saison zu Buche. An guten Tagen immer für geniale Momente gut und mittlerweile schon auf dem Weg zu einer Klublegende des bisher eher unrühmlichen 20er-Jahrzehnts.
Moment der Saison: Mit allem was dranhängt, nenne ich mal den Treffer von Tim Kleindienst zum 4:4 gegen Hoffenheim am 32. Spieltag. Ein Spiel, in dem Borussia eine 2:0- und 3:1-Führung hergibt, 3:4 zurückliegt und spät das 4:4 erzielt - „und keine Sau freut sich“ (O-Ton Virkus). Das alles eine Woche nach dem 3:4 in Kiel und der MV, in der die Verantwortlichen die stabile Defensive loben. Ein Sinnbild der Saison, wie weit die Bewertungen von weiten Teilen der Fans und der Verantwortlichen auseinandergehen.