Ich fand es beeindruckend, wie der HSV als Außenseiter mit einem deutlich jüngeren und unerfahreneren Team Bremen in der ersten halben Stunde komplett den Schneid abgekauft hat. Hier muss man sich eigentlich belohnen und entweder eine der Chancen nutzen, oder Kardesler etwas cleverer sein und die rote Karte ziehen statt aufs Tor zu gehen und das dann (gegen eine sackstarke Peng) deutlich zu verfehlen. Immerhin sind sie aber nicht ganz ohne Lohn aus dieser guten Phase gegangen, sondern haben zwei frühe gelbe Karten gegen die rechte Bremer Abwehrseite gezogen, die Baum überhaupt nicht in den Griff bekommen hat.
Gegen Ende der ersten Halbzeit ist das Spiel dann gekippt. Vielleicht musste der HSV jetzt schon dem Tempo der Anfangsphase Tribut zollen. Vielleicht hat Bremen es aber auch einfach nur besser gemacht, dass sie auch mal flach aufgebaut haben, statt nur lange Bälle auf Mühlhaus zu prügeln. Insbesondere Arfaoui konnte im Zentrum nach belieben mit Ball am Fuß aufdrehen und hatte dann etliche Anspielstationen zur Verfügung. Sobald sie den Ball am Fuß hatte, war das HSV-Gegenpressing gekillt. Aus Stadionperspektive war sie für mich die Unterschiedsspielerin.
Wirklich zwingend wurde Bremen aber nie, auch da die HSV-Viererkette (herauszuheben sind Hirche und Stöckmann) unfassbar aufmerksam verteidigt hat. Entlastung kam für den HSV dann nur noch über lange Bälle auf Meyer, die auf Baum ablegt und so noch 1-2 kleine Chancen und die rote Karte herausholt. Aber auch die Überzahl hat das Momentum nicht kippen lassen, da die Einwechslungen vom HSV vollkommen verpufft sind. So wenig man den Qualitätsunterschied zu Bremen in der ersten Elf gemerkt hat, so deutlich wurde er dann bei den Einwechselspielerinnen. Besonders krass war das im Duell gegen Mahmoud zu beobachten, die zu dem Zeitpunkt schon an die 10 Kilometer in den Beinen gehabt haben dürfte, aber mit der frisch eingewechselten Rechtsverteidigerin machen konnte, was sie wollte und auch bei ihrer Vorlage zum 1:2 nicht genug unter Druck gesetzt wird und somit seelenruhig den Steckpass spielen kann. Insgesamt war das Spiel eine krasse Willensleistung von Mahmoud, auch wenn sie hinten raus nahe an gelb-rot gewandelt ist.
Taktisch war es für mich nicht schlüssig, was Bolz mit den Wechseln erreichen wollte. Zusätzliche schnelle dribbelstarke Stürmerinnen zu bringen, aber keine Lösung zu haben, wie man das Mittelfeld überbrücken möchte, da man flach nicht durchs Zentrum kam und durch die Herausnahme von Meyer auch keine Chance mehr bei langen Bällen hatte. Hier ist es schade für den HSV, dass Wrede bei der U17 Nationalmannschaft war, da mit ihr eine technisch starke Einwechseloption fürs Mittelfeld fehlte um die drei schnellen Stürmerinnen besser einzusetzen. Entweder ging es darum, möglichst vielen Spielerinnen Spielzeit in diesem historischen Spiel zu gönnen. Oder es gab einen sportlichen Plan, der aber komplett in die Hose gegangen ist.
Am Ende ist es dann ein verdienter Sieg für die Bremerinnen, die sich in 60 Minuten Gleichzahl schwer getan haben, dann aber in 60 Minuten Unerzahl die überlegene Spielanlage hatten. Auch wenn es die individuellen Patzer von Hirche (mit dem langsamen Rückpass) und Schuldt (mit dem Schwester Leichtfuß Dribbling im eigenen Fünfmeterraum) gebraucht hat, um erstmals in Führung zu gehen, haben sich die Tore in den jeweiligen Phasen durchaus angedeutet.
Für den HSV ist es wahrscheinlich besser, sich das zusätzliche Highlightspiel im Mai zu sparen und sich voll auf das knappe Aufstiegsrennen zu fokussieren, insbesondere da es gegen Bayern noch einen deutlich günstigeren Spielerverlauf als gestern bräuchte, um gegenhalten zu können bzw nicht zweistellig zu verlieren. Wenn sie in der Liga mit der selben Leidenschaft spielen wie gestern und jetzt nicht in einen Post-Highlightspiel-Blues verfallen, müsste das mit dem Aufstieg eigentlich locker klappen.
Für Bremen geht es dagegen in der Liga um nix mehr und können das historisch erste Pokalfinale der Frauenfußballsparte in vollen Zügen genießen, auch wenn es gegen die Bayern in der aktuellen Form wahrscheinlich auch für sie wenig zu holen gibt.