Kurzpass 176 – EM-Tag 30

Tja, letzter Kurzpass zu dieser Männer-EM. Mit Jogi Hebel (@JoachimHebel), Uli Hebel (@UliHebel) und Christian Bernhard. Wie hat euch die Sendung gefallen?

Hallo Max ,
Erstmal ein Riesen Dankeschön für die tägliche Berichterstattung und Analyse der Spiele.

Zur letzten Folge: ich bin mir nicht ganz sicher ob Southgate in der Einschätzung zum Schluss nicht etwas zu schlecht weg kommt. Ich habe mich gerade zum Anfang sehr über ihn und seine personellen und taktischen Entscheidungen aufgeregt und mich gefragt wie man so viel offensives Potenzial so „vergeuden“ kann.
Nach dem Finale muss ich jetzt aber sagen, dass ich doch positiv überrascht bin. Natürlich hätte man sich teilweise eine offensivere Spielweise gewünscht und sein ingame Coaching und Anpassungen während des Spiels waren teilweise nicht optimal, aber ich hatte immer das Gefühl , hinter jeder Entscheidung steckt ein größerer Plan und eine Spielidee. Und dass nicht, wie zum Teil bei Deutschland, nach Namen aufgestellt wurde, egal ob es zum System passt oder nicht, sondern mutige Entscheidungen getroffen wurden (Saka statt Rashford oder Sancho).
Und mit den taktischen Umstellungen auf 3er Kette hat er sowohl gegen Deutschland als auch Italien sein Team gut auf den Gegner eingestellt und diesen auch überrascht und vor Probleme gestellt, statt stur an einem System festzuhalten. Und wie gut die 3er Kette funktioniert hat, hätte ich nicht erwartet und ist sicher auch Leistung des Trainers.

Abschließend, kommt es mir nur so vor oder sind viele Nationalmannschaften taktisch und von den Abläufen her so unzureichend eingestellt und eingespielt, dass ein guter Trainer hier mittlerweile viel wichtiger ist als individuelle Qualität?
Bei allen Halbfinalisten könnte man den Trainer hervorheben, wohingegen Mannschaften wie Belgien, Portugal Frankreich und Deutschland beispielsweise trotz individuell besseren Kadern (lässt sich natürlich streiten und England ist hier sicher auszunehmen) mit biederen Leistungen ausgeschieden sind.
Natürlich liegt es vermutlich auch daran, dass Nationaltrainer wenig Zeit zum Trainieren ihrer Mannschaft haben und trotzdem habe ich das Gefühl, dass kaum ein Nationaltrainer länger als ein halbes Jahr bei einem Top 20 Club schaffen würde. Oder sehe ich das falsch/zu kritisch?
Gewonnen dürfte letztendlich jedenfalls der beste Trainer (zumindest top 3) und nicht der individuell beste Kader haben.

Viele Grüße
Lukas

Hey Max,
ich wollte mich mal kurz zu eurer Besprechung der Elfmeter äußern. Ihr habt ja sehr stark die Anläufe von Rashford, Saka und Sancho kritisiert. Dazu wollte ich mal kurz sagen, dass diese Art des Anlaufens durchaus eine sehr erfolgreiche Elfmetervariante sein kann, wenn sie gut ausgeführt wird. Die Elfmeter von Sancho und Saka waren in der Ausführung wirklich schlecht, aber wenn man sich mal den Elfer von Rashford anschaut sieht man ganz gut, was diese Technik bringen kann. Rashford verzögert sehr lange und hat dabei den Blick die ganze Zeit auf Donnaruma gerichtet. Irgendwann macht Donnrumma eine Bewegung in die rechte Ecke und Rashford legt den Ball ins linke Eck. Die Idee hinter dieser Technik ist, den Keeper zuerst zu einer Bewegung zu zwingen, die ihn auf eine Ecke festlegt und in dem Moment dann ins andere Eck zu schießen. Das erfordert sehr schnelle Reaktionszeiten des Spielers und ist technisch anspruchsvoll, allerdings ist das (bei guter Ausführung) die erfolgversrpechendste Elfmetervariante. Maria Baltotelli ist zum Beispiel einer der besten Elfmeterschütze gewesen (Hätte ich auch nicht gedacht, aber ist wirklich so :smiley: ) und der schießt seine Elfer immer so.
Was ich mit der ganzen Ausführung hier eigentlich sagen wollte ist, dass der Elfmeter von Rashford eigentlich technisch erstklassig war. Donnruma verladen, flach und platziert ins linke Eck geschossen und dann halt einfach Pech gehabt, dass der Ball an den Pfosten geht. Deshalb würde ich Rashford eigentlich gerne aus der Kritik rausnehmen.

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Hier noch mal ein Video dazu: https://www.youtube.com/watch?v=g0mRwcnvXKk

Die Fehler Southgates habt ihr sehr treffend herausgearbeitet. Insgesamt hätte ich mich tatsächlich geärgert, wenn England die EM gewonnen hätte. Einfach, weil ich die Spielweise nicht wirklich überzeugend fand - es wurde zu wenig aus dem Offensivtalent der Mannschaft gemacht. Aber - ja es gibt ein aber: Southgate hat sein zweites Turnier gecoacht und, zumindest der deutschen Berichterstattung nach, ist er die ganze Zeit in England nicht unumstritten und wird gerade medial immer wieder stark angegriffen. Die Aufstellungsentscheidungen sind bei dieser EM gefühlt jedes Mal kritisiert worden: Wo ist Sancho, wo Grealish? Wenn das so stimmt, dann kann ich seine Taktik nachvollziehen: Erstmal Ergebnisse liefern und eine solide Basis aufbauen. Wahrscheinlich wird Southgate wirklich kein Taktikguru, aber ich frage mich doch, ob er mit mehr Ruhe im Umfeld und etwas mehr Rückendeckung nicht vielleicht mutiger spielen lassen würde und etwas weniger zögerlich Entscheidungen fällt.

PS: Ich finde das unangenehme englische Publikum und die englischen Schaupieleinlagen auf dem Feld sind auch eine Erwähnung wert. Gerade letzteres ist mir vorher schon ein paar Mal aufgefallen, aber gestern hat es überhand genommen: Kane, der wie ein nasser Sack fällt, Sterling, der nochmal einen Dänemark-Elfmeter haben will, Macguire, der so richtig schwer am Kopf getroffen wird, etc. Gefällt mir auch nicht besser als Immobiles Wunderheilung. Im Gegensatz zu Italien im Belgienspiel schien das aber bis zum Ausgleich die Marschroute zu sein und zwar ab der Anfangsphase. Da habe ich mich schon gefragt, ob das an der englischen Schwäche lag oder ob das eine abgesprochene Variante des Zweikampfverhaltens war.

PS: Kuipers hat die Partie übrigens hervorragend geleitet.

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Ich finde große Teile der Kritik an Southgate viel zu hart.

England, die Nation, die jahrelang an Fehlern und mangelnder Struktur in der Defensive scheitert, spielt einen taktisch disziplinierten Fußball, wie man es zuvor nur von Italen kannte. Sie sind sogar in der Lage, mal Vierer-, mal Fünferkette zu spielen. Unseren Bundesjogi hat Southgate ausgecoacht und zumindest eine Halbzeit lang ja auch Italien.
Dass Southgate auf bestimmte Spieler nicht genug setzt und damit dem Teamgeist eventuell schadet, glaube ich nicht. Jahrelang hat er immer konstant auf seine Leute gesetzt und ihnen Vertrauen geschenkt.
Das alles verfolgt einen klaren Plan. Er hätte sogar fast auf Alexander-Arnold verzichtet, weil er genau die Leute nominiert hat, die er für seinen Fußball braucht.

Sie gehen in das Turnier und spielen einen Fußball der auf Gewinnen ausgelegt ist. Und ausgerechnet im Finale sollen sie dann alles über den Haufen werfen und wie früher nach vorne denken? (leicht überzogen formuliert)
Ich sage: Wenn eine Mannschaft mit der Qualität von Italien im Finale 0-1 hinten liegt und auf die Tube drücken muss, dann kommen die so gut wie sicher zurück, egal was du machst. Dann beschränke ich lieber die gefährlichen Momente, die sie bekommen auf ein Minimum, statt sie eventuell sogar noch durch offensiveres Spiel auf Konter einzuladen. Denn bei aller Wertschätzung für England, ist Italien trotzdem noch das gefestigtere Team mit den etablierteren Abläufen.

Was man aber definitiv kritisieren muss, sind seine Wechsel. Nur ein Trainer hat bei dieser EM für mich seltsamer gewechselt als Southgate. Wir alle wissen, wen ich meine.
Rashford und gerade Sancho kann ich schon mal eher bringen als eine Minute vor Schluss. Und diese Elfmeter… Meine Güte, das war erbärmlich. Wenn ich diesen Trippelanlauf schon sehe, weiß ich schon vorher was passiert. Witzigerweise habe ich aber erst vor ein paar Tagen in einem Podcast (War es KMD?) gehört, dass statistisch gesehen jüngere Spieler beim Elfmeterschießen öfter treffen.

Eine letzte Anmerkung: Irgendwer hat gemeint da müsse einer wie Henderson schießen. Nein. Definitiv nein. Hendo ist einer meiner Lieblingsspieler, aber in seiner Karriere hat er mehr Elfmeter verschossen als getroffen.

Im Turnierverlauf fand ich Southgates Taktik/Strategie ziemlich gut und häufig hat man durch offensive Akzente die Spiele relativ gefahrlos geholt, auch wenn man meistens nicht die Bäume vom Himmel gespielt hat wie Tobi Escher sagen würde. Aber gerade im letzten Spiel fand ich hat sich Southgate schwer getan mit der Reaktion auf Italiens Umstellung, gerade auch nach dem Gegentreffer. Da hat Mancini ein besseres Händchen bewiesen als Coach, aber könnte eben auch an dem Druck gelegen haben wie ihr es in dem Kurzpass angesprochen habt nach dem frühen 1:0, Italien hatte nichts zu verlieren und England alles. Auf der anderen Seite muss man aber sagen dass die Taktik von Southgate vielleicht noch aufgegangen wäre, wer weiß was passiert wäre wenn jemand anderes als Cellini bei Sterling gewesen wäre und ihm nicht am Schlafittchen gepackt hätte, dann wäre es am Schluss der regulären Nachspielzeit anders ausgegangen.
Aber ihr habt das ansonsten gut besprochen.

Ein paar Sachen vorweg: Es ist doof, dass man sich eher dann meldet, wenn man etwas schlecht findet, als wenn man loben könnte. Deshalb vorweg: Vielen, vielen Dank für die hervorragende journalistische Begleitung der EM im Rasenfunk! Ich habe (fast) jede Minute eurer Berichterstattung gehört und fand sie großartig, weil der „Rasenfunk“ genauer hinguckt, wo viele Medien sich mit Plattitüden und Kommentaren aus dem Bauch zufrieden geben. (Bestes Negativbeispiel bei dieser EM war wohl Bastian Schweinsteiger, der überhaupt nicht wusste, was man von ihm als ARD-Experte erwartete.) :clap:

Das gilt aber eben für eine Folge nicht und das ist der Kurzpass 176. Hier haben die Gebrüder Hebel rein aus dem Bauch und ohne sich auf eine belastbare Studie oder empirisch abgefederte Erkenntnis zu beziehen, die Elfmetertaktik Southgates kritisiert. Es hat mich geärgert, dass sie das unwidersprochen so lange tun konnten.

Fußball ist grundsätzlich in einem hohen Maße ungerecht und das Ergebnis eines Fußballspiels (stärker als beim Handball oder Basketball) abhängig von Glück und Zufall. Das gilt potenziert beim Elfmeterschießen. Es gibt keine zu 100% erfolgversprechende Taktik beim 11m-Schießen; man kann nur versuchen, durch gründliche Vorbereitung die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die eigenen Spieler treffen. Genau das hat Southgate m.E. getan.

Die Ergebnisse von Geir Jordet in Norwegen, der m.W. die am besten empirisch belegten Untersuchungen über Elfmeterschießen durchgeführt hat, widersprechen dem „gesunden Menschenverstand“. A. Nicht der erfahrene, alte Kämpfer ist der beste Elfmeterschütze, sondern junge Spieler treffen besser als ältere. Sie können sich aufgrund ihrer im Schnitt besseren Konstitution besser konzentrieren. B. Nicht der Spieler, der 120 Minuten hervorragend gespielt hat und voller Selbstbewusstsein zum Punkt schreitet, trifft häufiger, sondern der Spieler, der möglichst wenig gespielt hat und deshalb noch fitter ist als ein bereits ermüdetes Mitglied der Startelf. C. Nicht der Spieler trifft häufiger, der von vornherein eine Ecke anvisiert und in sie schießt, komme, was wolle, sondern der, der den Torwart „ausguckt“. (Robert Lewandowski macht das z.B. sehr schön vor, wie man solche Elfmeter schießt.) Geir Jordet findet ihr unter @GeirJordet bei Twitter; seine Erkenntnisse finden sich zusammengefasst auf englisch hier bei RTE oder auf deutsch hier bei 11freunde.

Southgate hat alles „by the book“ gemacht; genau so, wie man es machen sollte, wenn man sich auf empirische Studien verlässt statt auf „das haben wir immer schon so gemacht“ oder „mein Bauchgefühl sagt mir…“. Was hat es ihm genützt? Gar nichts. Die beiden Old-School-Schützen, die einfach eine Ecke anvisieren und den Ball reinknallen, haben getroffen; die drei „modernen“ Schützen, die alle zudem nicht in der Startelf standen und jung sind, nicht. Denn das Elfmeterschießen ist eben - siehe oben - eine Lotterie.

Man kann vieles an Southgate kritisieren. Ich fand nicht, dass England schön gespielt hat - und in der 1. Halbzeit des Finales ist England der Fokus auf Stabilität und Defensive zum Verhängnis geworden. Aber ihn ohne empirische Belege für seine Auswahl der Elfmeterschützen zu kritisieren, wie die Gebrüder Hebel, ist falsch. Das hätte Max m.E. mit ein, zwei Sätzen einordnen sollen.

Dass ich mich über eine solche „Kleinigkeit“ ausreichend aufrege, um hier einen längeren Kommentar zu schreiben, zeigt aber auch wiederum, wie gut alle sonstigen Rasenfunksendungen waren. Grundsätzlich weiter so! Danke! :smiley: :clap:

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Danke für dieee Studie. Ich hatte schon insgeheim gedacht, daß diese Verzögerungen keine natürliche Bewegung sind, also so erlernt aussehen. Da hatte ich schon überlegt, ob das vielleicht so geschult wird.

Interessante Studie, aber ich denke Southgate hat es trotzdem nicht „by the book gemacht“, wenn man auf die Empirie vertraut: Damit meine ich nicht die Schussvariante, sondern wen er hat schießen lassen.
Ich habe in die Ausgangsstudie geschaut und da fallen drei Dinge auf:
1.

„However, the youngest players were the most effective scorers, although this was not significant (see Table I).“

Außerdem:

„There were no significant differences between any of these groups, although the trend was in the direction of more goals with less playing time (see Table I).“

Was heißt das? Ja, die ausgeruhteren und jüngeren Spieler haben bessere Ergebnisse erzielt, aber diese Ergebnisse sind statistisch nicht relevant. Wenn mein Mathewissen mich nicht täuscht, dann bedeutet das, dass die Ergebnisse der Studie sagen, dass die Unterschiede innerhalb der Fehlertoleranz sind und dementsprechend nicht darauf geschlossen werden kann, dass sie wirklich bessere Ergebnisse liefern als ältere oder frischere Spieler. D.h. die statistischen Ergebnisse widersprechen den Ausführungen, die Jordet selbst weiterverbreitet (also seiner heutigen Interpretation der Daten).
Die Zitate habe ich hier her, die Studie ist auf Englisch und kostenfrei abrufbar.
2. Tatsächlich kann man die „Schwäche“ der Studie auch in Table 1 sehen: Elfmeter von Spielern mit maximal 30 Minuten Spielzeit gibt es genau 15. Im Vergleich zu 72 (31-90Min) und 322 (90+ Min). Die 15 ist eine äußerst schmale Datenbasis und kaum aussagefähig. Vor allem aber: Anhand des Papers kann ich es gerade nicht sehen, aber die Frage, ob bei den 15 Schützen viele dabei waren, die keinen einzigen Ballkontakt vorher hatten, muss schon gestellt werden. Ich würde ein bisschen bezweifeln, dass das der Fall war.
Gleichzeitig gibt es bei den jungen Spielern ebenfalls ein Datenproblem: Die Datenlage ist besser (61:241:105, siehe Table 1), aber es ist unklar, wann die die Elfmeter geschossen haben und für wen (Welches Finale, welche Mannschaft, siehe auch 3.).
3. Die Autoren sagen es selber:

A widespread belief in the soccer community is that the outcome of kicks from the penalty mark is like the outcome of a lottery and thus that these kicks cannot be practised. Our analyses contradict this position and show that the outcomes of kicks from the penalty mark follow a logical pattern involving factors that can be influenced by systematic practice and preparation. Most importantly, the psychological variables showed a stronger relationship to outcome than any of the other variables. Specifically, the relative importance of each kick, determined by the type of tournament and the kick number, was significantly related to the outcomes of the kicks.

Was heißt das? Der entscheidende Faktor ist der psychische Druck (den man durch Training reduzieren kann). Druck ist schwer zu messen, aber ich würde mal ein paar Ansatzpunkte in den Raum werfen, die über die Reihenfolge etc. hinausgehen: Als Engländer im Heimfinale hat man wahrscheinlich schonmal mehr Druck. U.U. auch als jemand, der nur fürs Elfmeterschießen eingewechselt wurde. Jemand, der aus einer schlechten Saison kommt (Rashford) und/oder in der Mannschaft keine Rolle gespielt hat (Sancho) dürfte wahrscheinlich mehr Druck verspüren als ein Spieler, bei dem der Knoten geplatzt ist und der sehr viel gespielt hat (Kane?).

Damit bin ich dann bei Kramer, Mertesacker und den Gebrüdern Hebel: Die Schusstechnik ist nicht das Problem. Aber die genannten Southgate-Kritiker halten sich streng genommen sogar an die Empirie, wenn sie mögliche psychische Druckfaktoren bei den Spielern ausmachen (oder platt: Das Bauchgefühl liegt empirisch gesehen wahrscheinlich nicht so falsch).
Ich vermute Southgate kennt die Empirie, aber er hat sich etwas unkritisch die Interpretation zu eigen gemacht, dass eben junge und gerade eingewechselte Spieler besonders erfolgreich wären. Daraus kann man aber hervorragend lernen: Elfmeterschießen muss trainiert werden (Punkt für Southgate), aber der Trainer muss versuchen die Spieler in der Situation der Schützenauswahl psychich zu ‚lesen‘, auch wenn das sehr schwer ist. Das scheint er nicht gemacht zu haben.
Das ist ihm vorzuhalten, aber andererseits halte ich es auch für einen Fehler, der ihm zu verzeihen ist und aus dem er lernen kann.
Selbst wenn er die am wenigsten psychisch belasteten Spieler ausgewählt hätte, dann hätte es noch schief gehen können: (Fast) Kein Spieler hat eine 100% Quote und wie gut der gegnerische Torwart sein wird, weißt du auch erst hinterher.

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Zunächst möchte ich euch beide ausgiebig für diese Postings feiern. Nicht nur belegt mal einer seine Behauptung, nein, eine andere Person findet und ließt tatsächlich die original Quelle und und sortiert die Behauptungen dann kritisch ein. Wären die Diskurse in unserer Gesellschaft doch nur alle so :star_struck:

Ansonsten möchte ich noch Inhaltlich etwas beitragen. Habe den Artikel nur überflogen, bin aber noch über dieses Zitat gestolpert:

Finally, one interesting descriptive result was related to positional role. Compared with the mean goal-scoring percentage for defenders (73.6%), the defenders who were substituted into the game (n = 11) all scored (100%), whereas the defenders who played 90 min or more scored less than the mean for defenders (70.1%). The results were in the other direction for midfielders and forwards, with those playing most scoring more (81.1%) and those playing least scoring less (77.8%).

Die Daten „zeigen“ also nur für Verteidiger eine höhere Trefferwahrscheinlichkeit während Offensive besser treffen je mehr Spielzeit sie vorher hatten. Woran das jetzt liegt kann man streiten, aber @EisernesFohlen hatte eigentlich das wichtigste gesagt: Bei den Stichprobengrößen, kann man eigentlich gar keine Aussage treffen. Vor allem wenn die hier diskutierte Situation (<1min Spielzeit) gar nicht wirklich abgebildet ist.

Danke trotzdem an @marcobode für das Einbringen der Studie, die uns doch schon einiges lehrt :+1:

Herzlichen Dank für diese ausführliche und genaue Antwort. Scheint mir aktuell alles nachvollziehbar; ich werde auch noch einmal genauer in die Originalstudie, die ich vor ein paar Wochen mal gelesen hatte, reinschauen.

Mein Hauptpunkt ist, dass ich mich zumindest freue, wenn jemand die Empirie ernst nimmt. Deshalb mein Argwohn gegenüber zu billigem Southgate-Bashing.
Dass Empirie sinnvoll interpretiert werden muss und nicht unkritisch übernommen, ist völlig richtig - da sind wir uns absolut einig.

Ich kenne die Studie, gab bei Twitter noch jemanden, der ähnliche Sachen für Elfmeter bei Turnieren herausgefunden haben wollte. Aber halt beides ohne statistische Signifikanz.

Was ich interessant finde, ist dass die obige Aussage von dir auch in diesen Studien der Rahmenfaktoren eine der Grundannahmen zu sein scheint. Das ist aber falsch: Es gibt eine zu hundert Prozent erfolgversprechende Taktik: schieß den Ball mit Geschwindigkeit X in einer Entfernung von X Metern neben den Torhüter. Denn auch wenn Torhüter vor den Schüssen springen, können sie dadurch den Nachteil nicht ausgleichen, dass ein hart geschlossener Ball schneller ist als sie. Es ist physikalisch (und wohl auch physisch) unmöglich, dass sie ihn erreichen, wenn er dann noch platziert ist.

Diese Erkenntnis ist aber viel älter, das hab ich schon Ende der Neunziger irgendwo gelesen. Durch die neue Regel für die Torhüter dürfte sich der Effekt aber nochmal verstärkt haben (Fuß über Linie).

Wenn wir schon sagen, dass Fußball in diesem Punkt Mathematik ist, dann müssen wir aber auch sagen: Southgate hat sich da an Studien orientiert, die auf einer zu geringen Datenbasis aufgestellt sind. Und den psychischen Effekt kolossal unterschätzt.

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Die Annahme macht aber auch den statistischen Fehler anzunehmen, ein solcher Schuss sei in 100% der Fälle reproduzierbar. Wenn man jetzt messen möchte, müsste man untersuchen, wie oft dieser Schuss schief geht und wie hoch die Trefferwahrscheinlichkeit anderer Taktiken ist, usw.

Obwohl ich kein Fan von zu „psychologischen“ Ansätzen bin, glaube ich wie @EisernesFohlen, dass das hier der entscheidende Punkt ist, den man, wenn man kritisieren will, kritisieren kann.
Ich stelle da zwei Jungs hin, denen ich zu wenig zutraue, um sie im Spiel zu bringen, aber die stressigste und exponierteste Situation, die dürft ihr jetzt mal regeln. Kann gut gehen klar, aber die Fallhöhe…

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Danke für deine Antwort! Ich hoffe, ich habe nicht einen falschen und unverschämten Ton angeschlagen…

Den letzten Absatz finde ich komplett richtig; darauf können wir uns einigen. :clap:

Die Aussage „es gibt eine zu hundert Prozent erfolgversprechende Taktik“ ist m.M. nach falsch. Dazu hat wechselgerücht schon das Wesentliche geschrieben. Die von dir beschriebene Taktik wäre nur unter der Voraussetzung zu 100% erfolgversprechend, dass alle Fußballer kleine Andy Brehmes sind - mit perfekter Schusstechnik und Nerven wie Drahtseilen. Das ist aber offensichtlich eine falsche Annahme. :wink: