Wie heißt es doch immer so schön: Fußball ist unpolitisch.
Und natürlich muss Mann die Nationalmannschaft des eigenen Landes anfeuern.
Alle zwei Jahre stellt sich einem Fußballfan die Frage, sind wir alle in den Farben Schwarz Rot Gold vereint? Ich persönlich bin da hin- und hergerissen. Ja, ich halte es mit der deutschen Mannschaft, freue mich über Tore und Siege, aber könnte heute nicht mehr in den Chor der „Schland“ Gesänge, geschweige denn der „Sieg! Sieg! Sieg!“ Rufe einstimmen. Ich bin der Unschuld eines lang vergangenen Sommermärchens entwachsen. Und selbst bei harmlosen „Schland“ Gesängen merke ich da eine Kluft, zwischen mir und den so Jubelnden.
Bin ich moralinsauer? Weil das bisschen Partynationalismus in meinen Augen zu einem sich selbst überhöhenden Nationalismus führt? Ich mich nicht von dem Gedanken trennen kann, dass dort wo etwas so idealisierend aufgewertet wird, früher oder später auch immer etwas abgewertet wird? Dass sich so ein Dualismus in die Köpfe frisst, der Grundlage eines jeden Faschismus ist?
Also auf gut deutsch heruntergebrochen: Schland Rufe= Nazi?
Nein, natürlich nicht. Oder besser, es kommt darauf an.
In den 30er Jahren entwickelte der Anthropologe und Psychologe Gregory Bateson das Konzept der Schismogenese. Kurzes Beispiel: Treffen sich zwei gemäßigte Sozialdemokraten, unterhalten sich eine Stunde über Politik und am Ende verteidigt der eine Lenin und der andere Milton Friedman. Man würde sich also mit einer ähnlichen Grundeinstellung treffen, aber an den Kontrastpunkten reiben, diese überhöhen und sich am Ende mit den Extremen identifizieren. Natürlich ist das nicht zwangsläufig. Schismogenese sollte erklären, wieso sich benachbarte Menschengruppen unter ähnlichen Voraussetzungen zum Teil total konträr beziehungsweise mit einer Neigung zur Abgrenzung entwickeln. Sei es Sparta und Athen, First Nations oder das Entstehen von „Nationalcharakteren“ im 19 Jahrhundert. Wären wir also wieder beim Thema.
Mir gefällt an dem Model, dass es daran erinnert, nicht nur professionelle Empörer im Social Media Zeitalter sorgen für Spaltung von außen. Nein, es ist etwas zutiefst Menschliches. So könnte eine Nachfrage, warum ich bei den Schland-Gesängen nicht mitmache oder kein Trikot trage, sehr gut dazu führen, dass ich dann erst recht nicht tue, was der andere dann erst recht tut. Und ich kann mir vorstellen, wie z.B. ein Türke unter dem Eindruck von nicht nur sachlichen Argumenten am Ende dann auch den Wolfsgruß zeigt, obwohl er sich vorher nie damit gemein gemacht hätte. Wie gesagt, kann.
An dieser Stelle muss man aber auch eine klare Unterscheidung treffen. Wolfsgruß, Defend Europe Banner und Gesänge zur Melodie von „L`Amour Toujours“ zielen immer gegen andere. Partynationalismus kann so sein, muss es aber nicht. Wir haben in meinen Augen bei dieser EM auch gesehen, dass sich in Nationalflaggen gehüllt Leute mit anderen Fahnen verbrüdert haben. Sich sogar über nationale Klichees lustig gemacht haben, Baguettes oder Spagetti wurden in Freundschaft zerbrochen. Und man konnte vor allem auch sehen, wie Menschen unterschiedlichster Herkunft, ein Querschnitt einer offenen Gesellschaft, sich unter den Farben der Bundesrepublik versammelt haben. Währenddessen haben zum Teil Menschen, welche sich nach dem alten Reichsbanner über dem Reichstag sehnen, aus vielen Gründen die deutsche Nationalmannschaft boykottiert. Vielleicht weil wer zusammen feiert, auch zusammenwächst. Unsere Nationalfarben wurden also aktiv besetzt und dem alleinigen Geltungsanspruch von rechts außen entzogen und quasi zurück in unsere Mitte geholt. Zumindest in Teilen, es wäre ein schöner Gedanke.
Bleibt am Ende vielleicht für mich die wichtige Feststellung: Partynationalismus kann, muss aber nicht problematisch sein. Er darf nicht in ein sich über andere erheben wollen abdriften und muss wahrscheinlich von echtem Sportsgeist getragen sein. Ein schlechter Verlierer wird immer nach Gründen suchen, warum man eigentlich der verdiente Sieger gewesen wäre, warum der Italiener schuld ist, dass Frings 2006 im Halbfinale gesperrt war usw. Die Emotionen sind verständlich, aber ich habe für mich in einem Pub voller Rangers-Fans lernen dürfen, dass wahre Größe darin besteht, sich zwar total mit seinem Team zu identifizieren, aber auch in der Niederlage den anderen auf Augenhöhe anzuerkennen.