@elJakko Das war wirklich ein sehr guter Beitrag! Am Sandwichtoaster kommt hier glaube ich auch keiner mehr vorbei 
Den VAR haben wir ja im #14 Schlusskonferenzfeedback andiskutiert und das scheint mir der geeignete Ort, um da nochmal darauf einzugehen (@wechselgeruecht @Highlord_Alarak @Volker @sternburg ):
Zum VAR schreibt der DFB in seiner unendlichen Weisheit folgendes:
„Der Fußball soll noch fairer werden, noch transparenter und gerechter. Eine Fehlentscheidung, die womöglich über Auf- oder Abstieg entscheidet, soll nahezu ausgeschlossen werden. Daher ist eine zusätzliche Hilfestellung für den Schiedsrichter, der in Sekundenbruchteilen teils kniffligste Entscheidungen auf dem Spielfeld vor tausenden Zuschauern in den Stadien und Millionen Fans an den TV-Bildschirmen fällen muss, notwendig. Der Video-Assistent ist eine Unterstützung für den Schiedsrichter.“ ( https://www.dfb.de/sportl-strukturen/schiedsrichter/video-assistent/)
Das Versprechen, dass der VAR den Fußball gerechter machen soll kommt also nicht von mir, sondern wurde von den Hohepriestern in den heiligen Hallen so definiert und hat bis heute Bestand! Mehr noch: Der Fußball soll dadurch noch fairer und transparenter werden! Donnerwetter – aber der DFB neigt ja dazu die Latte ganz schön hoch zu legen, um dann unter den eigenen Ansprüchen hindurch Limbo zu tanzen. ^^
„Der Fußball soll fairer werden“
Der Duden definiert „fair“ als im „(Sport) den [Spiel]regeln entsprechend und kameradschaftlich.“ Der VAR soll also dafür sorgen, dass der Bundeligafußball den Regeln entsprechender gespielt wird – und anscheinend auch kameradschaftlicher. Dieses fairere bzw. regelkonformere Spiel stellt der VAR dadurch her, dass er nur dann eingreift
„wenn der Schiedsrichter auf dem Spielfeld eine klare Fehlentscheidung getroffen oder eine entscheidende Szene übersehen hat. In diesem Zusammenhang existieren vier konkrete Auslösungsmomente:
· Torerzielung (Foul, Handspiel, Abseits und andere Regelwidrigkeiten)
· Strafstoß / Elfmeter (nicht oder falsch geahndete Vergehen)
· Rote Karte (nicht oder falsch geahndete Vergehen)
· Verwechslung eines Spielers (bei Roter, Gelb-Roter oder Gelber Karte)“ (Quelle: s.o)
Fairer spielen heißt also klare (oder ich denke sprachlich korrekter: eindeutige) Fehlentscheidungen auszuschließen. Klingt einfach – ist es aber nicht, denn bei konsequenter Anwendung bleibt da nicht mehr so viel übrig.
a. die nicht geahndete/wahrgenommene eindeutige Tätlichkeit (Faustschlag)
b. Eine eindeutige Schwalbe, d.h. OHNE jegliche Berührung durch den Gegner
c. Eindeutige Abseitspositionen die zu einer potentiell spielentscheidenden Situation führen. (Da wurde ja neulich in einer Schlusskonferenz schon thematisiert, dass es unmöglich ist den genauen Zeitpunkt des Abspiels einzufangen. D.h. eine eindeutige Abseitsposition wäre es nur dann, wenn beim spätmöglichst anzunehmenden Abspielzeitpunkt der Angreifer eindeutig erkennbar mit einem zur Erzielung eines regulären Tor verwendbaren Körperteils im Abseits steht.)
d. Nicht geahndetes eindeutiges Handspiel, d.h. ohne Gegnereinwirkung über dem eigenen Kopf den Ball weggeschlagen. Jede andere Handbewegung kann ja derzeit nach Belieben interpretiert werden – je nachdem aus welcher Entfernung der Ball kam.
e. Verwechslung des Spielers
g. "Phantomtor”, “Die Hand Gottes” und andere „once in a lifetime“ Phänomene.
f. das mit dem Foul im Konext der Toerzielung kann ich mir gerade nicht vorstellen. Aber welche Situationen sind da schon eindeutig?
Das dürfte es im Wesentlichen schon gewesen sein, denn alle anderen Situationen (Rangelei, Elfmeter nach seichter Berührung bei hoher Geschwindigkeit, aktives Aufheben des Abseits ohne eigene Ballberührung, Handspiel, etc.) sind selten eindeutig. Wenn man nur diese Punkte konsequent ahnden würde, dann hätte man einen sehr minimalistischen Videobeweis und der Kölner Keller würde wohl nur so ~ einmal pro Spieltag eingreifen. Aber nur wenn der VAR konsequent bei dieser Linie bleibt, kann
„der Fußball gerechter werden“
Da hab ich im Forum hier ja schon gehört, dass der Begriff „gerechter“ so subjektiv ist – daher will ich das mal mit vergleichbarer übersetzen. „Gerecht“ scheint zu sein, wenn gleiche Situationen gleich entschieden werden bzw. weiter gefasst: ähnliche Situationen gleich entschieden werden. Damit kann ja aber nicht gemeint sein, dass aus älteren VAR Entscheidungen beim Foul im Strafraum Vergleichsbilder eingespielt werden um die Situation gerechter d.h. vergleichbarer zu bewerten. Es muss also heißen, dass ich mich darauf verlassen kann, dass ein Spieler nach einer eindeutigen Tätlichkeit des Platzes verwiesen wird – egal ob sie vor oder hinter dem Schiedsrichter stattfand. Es kann nur heißen, dass IMMER korrigiert wird, wenn ein Spieler komplett OHNE Kontakt zu Boden geht um einen Strafstoß zu provozieren.
Für diese Vergleichbarkeit ist es also ZWINGEND notwendig, dass der VAR nur in den oben geschilderten eindeutigen Fällen aktiv wird. Denn immer wenn beim Eingriff des VAR der Interpretationsspielraum noch so groß ist, dass eine vergleichbare Situation auf einem anderen Platz in anderer personeller Besetzung anders entschieden worden wäre, dann war das Eingreifen bzw. die Korrektur durch den VAR falsch. „Ermessensspielraum“ und „Eindeutigkeit“ schließen sich gegenseitig aus! Den Ermessensspielraum soll nur der Schiedrichter auf dem Platz haben (aka „Das Chef im Ring“-Postulat), der VAR hat nur die Befugnis bei „eindeutigen Fehlentscheidungen“ aktiv zu werden. D.h. immer wenn der Schiedsrichter in die Review-area laufen muss, wird der Videobeweis nicht korrekt angewendet - denn dann wird der Schiedsrichter ja darauf hingewiesen seine Interpretation neu zu überdenken. Liegt eine eindeutige Fehlentscheidung vor, dann ist ein Anschauen durch den Schiedsrichter auf dem Platz nicht von Nöten! Durch diese Anwendung wird der VAR von der Unterstützung bzw. vom Hilfsmittel zur übergeordneten (Berufungs-)Instanz, die Entscheidungen zur Begutachtung zurückgibt – genau das soll VAR ja eben nicht sein!
Denn wenn der VAR als reines Hilfsmittel in eindeutigen (und das heißt sogar eigentlich binären!) Situationen einschreitet, dann gäbe es keine Diskussion! Denn es wurde ja bspw. auch die Torlinientechnik erfolgreich eingeführt, über die es noch nie eine Diskussion gab. Warum? Weil diese Neuerung nur die Aufgabe hat eine Entscheidung in einem binären System zu treffen. Eine ähnliche Akzeptanz des VAR ist nur zu erwarten, wenn er in eindeutigen Situationen aktiv wird, die keine andere Interpretation zulassen. (Phantomtor).
Die gibt es aber wie beschrieben so gut wie nicht. Aber daraus kann nicht folgen, dass der VAR sich dann auch in 10% vs. 90% Entscheidungen einmischt – zumindest nicht bei der derzeit formulierten Regelung bzw. Erwartungen an den VAR. Jeder Eingriff in einen Graubereich schwächt die Existenzberechtigung des VAR. Denn dann maßt sich der VAR einen Interpretationsspielraum an, den er gar nicht hat und das trägt nicht dazu bei, dass
„der Fußball transparenter wird.“
Denn das, darüber dürfte es den geringsten Diskussionsbedarf geben, erreicht der VAR am allerwenigstens. Der Kölner Keller bleibt eine Black Box aus der man nichts sieht und von der man nichts hört. Das einblenden der Entscheidung auf den Stadionleinwänden mag man beim DFB als Gipfel der Transparenz empfinden, aber das ist es nicht. Man sieht und hört die Kommunikation nicht. Ferner wird sich ja eben nicht an das oben so definierte minimialistische VAR Korsett gehalten und die daraus resultierende Willkür steht im Widerspruch zum Anspruch der Transparenz.
Beispielsweise habe ich hier schon Mal im Forum die Elfmeterentscheidung bei der Partie Mainz vs. 96 angeführt. Mateta bekam den Elfmeterpfiff. Dr. Jochen Drees, fachlicher Projektleiter für den Bereich Video-Assistent beim DFB sagte daraufhin im Interview:
„ Die Entscheidung Strafstoß ist aus meiner Sicht regeltechnisch falsch. Auch wenn es zu einem Kontakt beziehungsweise Rempeln im Hüftbereich kommt, ist dies aus meiner Sicht nicht als strafbar zu werten. Problematisch war in dieser Situation die Kommunikation zwischen Schiedsrichter Robert Hartmann und Video-Assistent Patrick Ittrich. Hätte die Kommunikation in adäquater Form stattgefunden, wäre schnell klar gewesen, dass die Entscheidung auf Strafstoß nur aufgrund der Wahrnehmung des Schiedsrichter-Assistenten Christian Leicher erfolgte und der Schiedsrichter Robert Hartmann keine ausreichende Wahrnehmung zu diesem Vorgang hatte. “
Aus diesen nebulösen Andeutungen muss ich mir als Fan dann jetzt zusammenreimen warum meine Mannschaft auswärts nicht gewonnen hat. Weil es in den 3 Minuten zwischen Pfiff und Ausführung nicht möglich war, zu klären, ob der Schiedsrichter die Entscheidung mit oder ohne Hilfe des Linienrichters getroffen hatte? Was macht das denn für einen Unterschied bei einer eindeutigen Fehlentscheidung des Schiedsrichters, ob die allein auf seiner Einschätzung beruhte oder nicht? Was genau ist hier das Kommunikationsproblem gewesen und an wem / was ist es gescheitert?
Im Eingangszitat versprach der DFB doch, dass mein Verein auf Grund von Fehleinschätzungen nicht absteigen soll – jetzt fehlen zwei Punkte weil die Kommunikation mit dem VAR „nicht in adäquater Form“ stattgefunden hat. Zu dem Vorfall äußern sich aber nicht die Beteiligten, sondern deren Chef. Weder weiß ich was genau passiert ist, noch wer es verbockt hat. Ist das jetzt transparenter?
Fazit
Gemessen an seinen eigenen vollmundigen Versprechungen und Ansprüchen scheitert der VAR auf ganzer Linie, solange er sich nicht an die eigens sehr eng gesteckten Grenzen der „eindeutigen Fehlentscheidungen“ hält – aber dann bleibt vom VAR kaum noch etwas übrig. Das Argument „der VAR habe für eine Reduzierung der Fehlentscheidungen gesorgt“ kann ich daher nur teilweise gelten lassen – das ist schon der kleinste übriggebliebene Nenner der eigenen Mission. (Mal ab davon dass ich mir nicht sicher bin wie die Datengrundlage dieser Statistik aussieht. Nicht eindeutige Fehlentscheidungen sollten darin ja keinen Platz haben…) Wenn dies also alles sein sollte was vom Anspruch des VAR übrig geblieben ist möchte ich dem dann abschließend doch entgegen halten, dass diese geringen Vorteile den großen Rucksack an Problemen die der VAR mit sich rumträgt nicht aufwiegen: Einsatz von Geld und Ressourcen, Personalbedarf, Spielverzögerung, technische Hürden, Kommunikationsprobleme und das ewige Problem, dass eine falsche Korrektur durch den VAR immer schwerer wiegen wird, als die regelkonforme Korrektur einer eindeutigen Fehlentscheidung.
Der VAR macht den Fußball komplizierter – aber nicht fairer, gerechter oder transparenter.
Das_Daw