Ein paar Takes zur voraussichtlichen WM-Vergabe an Katar, die ja auch in der Sendung Thema war und die FIFA-Klub-WM, die in der Debatte oft mit genannt wird:
Saudi Arabien hat mehr „Fußballkultur“ als Katar. Zudem werden die für die WM dort erbauten Stadien nach der WM voraussichtlich effektiver genutzt werden, als die während Qatar-Stars-League-Spielen leerstehenden Stadien in Katar. Die Gleichsetzung mit Katar ist wenigstens diesbezüglich überzogen.
Es gibt keine global mächtige Organisation, die den „westeuropäischen Wertvorstellungen“ entspricht: zB UNO und Weltklimakonferenz nicht wirklich mächtig; katholische Kirche in meinen Augen erzkonservativ. Warum sollte das bei der FIFA anders sein?
die Kritik an der FIFA bzgl. der Klub-WM ist doch heuchlerisch. Dass das im Fußball steckende Geld durch die Klub-WM nicht allein dem europäischen Fußball zugute kommt, ist doch eigentlich 'ne gute Sache. Natürlich sorgt es für noch mehr Spielerbelastung und eine noch größere finanzielle Ungleichheit auf Klubebene. Aber für beides sorgt die UEFA durch CL-Reform/Nations League ja auch. Warum sollen nur die UEFA und die europäischen Klubs mit dem Fußball Geld verdienen dürfen?
Thema Überbelastung: Betroffen sind eigentlich nur die Megastars. Diese werden direkt an den Gewinnen des Systems beteiligt. Wollen sie mehr Regenration, müssen sie sich halt mit ein paar Millionen weniger begnügen.
Dass Saudi Arabien so massiv in den Sport investiert, dient auch der Diversifizierung der saudischen Wirtschaft, die klimapolitisch nur gewollt sein kann (zugegebenermaßen: Aus Klimaperspektive könnte das Geld auch klüger ausgegeben werden).
Wäre es vom DFB nicht sinnvoller, sich der Doppelakklamation zur WM-Vergabe 2030 und 2034 zu verschließen und stattdessen zwei demokratische Abstimmung zu den jeweiligen WM-Vergaben zu fordern? Nachdem Deutschland die Frauen-WM 2027 mit NL und Belgien nicht bekommen hat, muss Neuendorf doch nicht mehr vor der FIFA kuschen oder übersehe ich da was?
Nur mal zu deinem letzten Punkt:
Was sollte es denn bringen, wenn der DFB eine Abstimmung fordert? Wird ja trotzdem nicht passieren. Und selbst wenn es zu einer Abstimmung käme, wird da sehr wahrscheinlich das Ergebnis rauskommen wie jetzt bei der Akklamation. Allein schon weil es keinen ernsthaften Gegenkandidaten zu Saudi Arabien gibt. Möglich wäre ja eigentlich nur Australien und die sind ja seit ein paar Jahren auch im asiatischen Kontinentalverband. Europa/Afrika und Südamerika fallen aufgrund der WM 2030 raus. Und USA/Mexiko/Kanada aufgrund der WM 2026.
Hätte man im Vorfeld nicht darüber sprechen können, ob die Kontinentalverbandsregel Sinn ergibt, wenn nur drei Spiele der WM 2030 in Südamerika stattfinden?
Natürlich kann Deutschland alleine die WM-Vergabe nach Saudi Arabien verhindern, aber durch die Doppelakklamation fehlt der Vergabe sogar der Schein einer demokratischen Vergabe. Das kann doch eigentlich nicht mal im Sinne der FIFA sein. Hätte man nicht im Vorfeld auf eine demokratischere Vergabe hinwirken können? Dann müssten korrumpierbare Stimmberechtigte wenigstens fürchten, in ein paar Jahren wegen Korruption verurteilt zu werden. Durch den jetzigen Vergabemodus muss ja im Rahmen der Vergabe selbst nicht einmal jemand geschmiert werden. Bei der Abstimmung über den Vergabemodus sah es vielleicht anders aus… Und Neuendorf hat diesem Modus zugestimmt, weil es keinen Sinn habe, „Fundamentalopposition“ zu spielen.
Hat der DFB sich wenigstens dafür eingesetzt, dass eine Vergabe an Menschenrechts- und Klimastandards geknüpft wird, die Saudi Arabien einhalten muss?
Die europäischen Verbände stellen einen Großteil der besten Teams. Unabhängig davon, ob sie Abstimmungen gewinnen, können sie „das Produkt“ WM durch einen Boykott massiv beschädigen. Das ist natürlich nicht die feine Art. Momentan hat es jedoch den Anschein, dass es Neuendorf allein darum geht, sich international nicht unbeliebt zu machen und ihm Demokratie innerhalb der FIFA und potentielle Auswirkungen einer WM auf Menschenrechte und Klima weniger wichtig sind.
Ich höre schon wieder, wenn die WM dann nahen wird, wie die Medien kritische Berichte bringen und dann wieder gesagt werden wird, man habe sich zu spät darum gekümmert und niemand habe damals dagegen gesprochen. Stimmt nicht. Es sind viele gegen die Vergabe nach Saudi-Arabien, aber der DFB diskutiert das nicht einmal und wenn, wird es nur unter dem Sachzwang-Argument diskutiert.
Du hast ganz recht, wenn Du die Kontinentalverbandsregel hier in Frage stellst. Insbesondere wurde die Geschichte doch unter dem Jubiläumsaspekt mit den paar Spielen nach Südamerika vergeben. Das ist doch eine Ausnahme, so dass Südamerika 2034 sehr wohl hätte zum Zuge kommen können.
So, wie Infantino sich die Regeln nach seinen Wünschen strickt, so könnten Verbände wie der DFB auch mal Politik machen. Sich verbünden mit wichtigen Fußballnationen gegen Infantino wäre doch mal eine Maßnahme. Dann - wenn man sich verbündet hat - kann man auch drohen, nicht zur WM zu kommen. Was will Infantino machen, wenn Deutschland, Frankreich, Italien, Portugal und vielleicht eben auch Südamerika drohen, nicht zur WM zu kommen, wenn sie in Saudi-Arabien stattfindet.
Dass nur noch Saudi-Arabien als Bewerber da war, ist doch auch nur Politik von Infantino.
Die europäischen Verbände haben sicher auch deswegen gekuscht, weil man die WM 2030 (die ja hauptsächlich in Spanien und Portugal stattfinden wird) nicht riskieren wollte. Kann ja sein, dass man in der FIFA dann sagt, dann geben wir die WM 2030 schon nach Saudi Arabien (mit eben Marokko und Südamerika) und Europa geht leer aus.
Gerüchteweise soll die WM Anfang des Jahres stattfinden - auch weil es im Dezember Überschneidungen mit Ramadan und Asienspielen gibt (Weltmeisterschaften 2030 und 2034 sind vergeben – Die falsche 9). Die höchste aufgezeichnete Temperatur für Januar in Riad sind bisher 31 Grad, mit einer durchschnittlichen Tageshöchsttemperatur von 19 Grad (Riyadh, Saudi Arabia Travel Weather Averages (Weatherbase)). Das ist ungefähr vergleichbar mit den entsprechenden Werten für Frankfurt im Mai. Falls die WM tatsächlich im Januar stattfindet, sind die Temperaturen vermutlich nicht ganz das große Problem. Was aber nicht heißt, dass ich es gut finde, dass die WM dort stattfindet…
Die Klimata der beiden Länder sind nicht ganz vergleichbar, weil Qatar im Golf liegt und deswegen dort im Sommer eine gigantische Luftfeuchtigkeit herrscht, was das Klima unerträglich macht. Saudi ist dagegen gemäßigter im Klima. Aber in 10 Jahren kann in der Tat alles anders aussehen. Wahrscheinlich werden wir in naher Zukunft nicht mal mehr in Südeuropa Sommertuniere veranstalten können.
Eine solche Position empfände ich schon als ein bisschen problematisch, weil sie einen neokolonialen Touch hat. Im Sinne von: ‚die Abstimmung, die ihr da weltweit gemacht habt, genügt unseren (unausgesprochen: euch haushoch überlegenden) europäischen Standards nicht, also zeigen wir euch mal, was eine Harke ist … ganz wie früher‘.
Politik gegen Infantino zu machen wäre schön, aber mit Wegbleiben vom größten FIFA Event, der für alle Mitglieder von enormer Wichtigkeit ist, zu drohen, ist keine Politik. Das ist nur destruktiv und würde die Europäer noch mehr isolieren. Infantino macht Politik, und leider sehr gut, und deswegen hat er Erfolg. Das Problem ist, dass die Europäer nicht konstruktiv dagegen halten können. Dazu bräuchten sie ein gemeinsames Projekt mit einem halbwegs klar definierten Ziel. Haben sie nicht. Sie haben auch nicht das Personal dafür. Das passt ins allgemeine Bild der Verbände, dass diese einfach schwach sind und nichts wirklich auf die Reihe kriegen. Ein Boykott wegen eigener Unfähigkeit wäre keine Politik und würde niemanden in der FIFA überzeugen.
Doch, genau das ist Politik. Das muss man ja zunächst nicht nach außen tragen. Es hätte nur so erfolgen müssen, dass Infantino es ernst nimmt.
Hätte er eine solche ernsthafte Drohung erhalten, wäre die Vergabe meiner Einschätzung nach anders verlaufen. Das simpel laufen zu lassen, funktioniert nicht.
Den „neokolonialen Touch“ zieh ich mir nicht an. Das ist ein Totschlagargument. Es geht einfach um die Stärke der Verbände, die genutzt werden (und das auch zum Nutzen schwächerer Verbände). Das ist Politik
Wann hat es jemals geholfen nachzugeben?
Wie soll man mit autokraten wie Infantino konstruktiv umgehen?
Gibt es irgendwelche Beispiele, wo der Weg Erfolg hatte?(muss nicht mal auf Fussball bezogen sein)
Mord an Journalisten, auspeitschen von Kritikern und töten, Ausbeutung von Arbeitern…
Du kannst mir gerne erklären, warum die Kritik daran einen kolonialen Touch hat
Und deswegen ist Infantino so stark: weil er mit solchen „Strategien“ konfrontiert wird. Und er selbst in der Zwischenzeit die Allianzen schmiedet, die viel stärker sind, als das die Europäer jemals hinkriegen. Wie wäre denn die Vergabe gelaufen, wenn sie gedroht hätten? Wer wäre es denn geworden? Dass da niemand war, den man an Stelle von Saudi Arabien hätte wählen können, liegt daran, das Infantino so was über viele Jahre vorbereitet (aka Politik). Dann zu kommen und zu drohen, weil die eigenen Vorstellungen nicht bedient werden, ist schon neokolonial. Noch nicht mal eine Strategie in der Hand, um einen Gegenkandidaten zu installieren, und dann mit der Keule kommen.
Ich plädiere nicht für nachgeben, sondern dafür, selbst vernünftige Strategien aufzusetzen Meine Kritik an die Europäer ist weniger, dass sie auch akklamiert haben, sondern dass sie über die vielen Jahre hinweg sich in eine solche Situation gebracht haben. Man könnte am Ende sogar den ‚ohne-uns‘-Weg mit @Blauelili gehen und den Abschied von der FIFA planen und einen eigenen Verband aufmachen. Aber das wäre große Politik, die echt vorbereitet werden muss, und die ist nicht zu erwarten.
Lies doch meinen Post nochmal: es geht gar nicht um die Kritik an Saudi Arabien. Es geht darum, wie man sich in einem Weltverband verhält, wenn der ungenehme Entscheidungen trifft. Und ob man sich mit dem Argument, man habe die bessere Moral als die anderen und die Macht sie gegen die Mehrheit durchzusetzen, a) sich dieser Moral nicht beraubt, und b) man jegliches Durchsetzungsvermögen mittelfristig verliert, denn die Zeiten, wo das keine Gegenreaktion hervorruft, sind vorbei. Also nochmal: es geht darum, dass solche Methoden keine Politik sind. Das kritisiere ich. Wenn jemand eine Politik auf die Beine stellte, die Infantino entfernte, würde ich das begrüßen. Hat also nichts damit zu tun, ob man Saudi kritisiert, oder nicht.
Ich bin sehr wohl der Auffassung, dass man nicht nur als Infantino so etwas lange vorbereiten sollte. Das ist nämlich Politik, wie Du richtig schreibst. Meine Kritik gilt dem DFB, der eben nichts vorbereitet hinter den Kulissen, wo man früh „drohen“ sollte in der Weise, wie Diplomaten das tun. Ich bin sicher, dass die Vergabe anders verlaufen wäre, wenn man es früh angegangen wäre und damit dann auch die Voraussetzungen für eine Bewerbung anders ausgesehen hätten. Dann wäre nicht allein Saudi-Arabien da gewesen.
Aber spekulieren, wie es konkret gewesen wäre, wenn hinter den Kulissen Bündnisse geschmiedet worden wären aktiv vom DFB, will ich gar nicht, denn das führt vom Hundertsten ins Tausendste. Ich hätte einfach gern mal, dass der DFB überhaupt agiert und nicht nur reagiert.
Die Keule unterstellst Du mir, wie auch schon den neokolonialen Touch. Es geht nicht um jetzt allein, sondern seit langem ist klar, wie Infantino funktioniert und, was er vor hat.
Insofern sind wir uns dann doch einig. Ich hatte Dich zuerst so verstanden, dass da jetzt in akuter Empörung einfach die Drohung ausgepackt werden sollte. Aber so wie Du das oben beschreibst, gehe ich mit Dir.
Ein kritischer Blick auf die Weltkarte zeigt leider, dass die Idee universeller Menschenrechte und auch von allgemeinen Grundrechten eher keine Mehrheit auf diesem Planeten findet. Am ehesten sind diese Ideen in Westeuropa, Australien, Neuseeland und USA verankert (und auch dort leider mit Defiziten). Wenn man also dem „globalen Süden“ mittels wirtschaftlicher Überlegenheit diese (richtigen und wichtigen) Ideen aufzwingen will, wiederholt man nicht nur die Geschichte, sondern führt auch die Machtverhältnisse fort, die aus dem Kolonialismus entstanden sind.
Nichtsdestotrotz bin ich dafür, diese Macht zu nutzen, bin mir aber auch klar, was das bedeutet. Denn ein Umgang auf Augenhöhe wäre das nicht.
Tatsächlich fällt mir kein Beispiel ein, wo man mittels wirtschaftlicher Überlegenheit Demokratie fördern wollte
Also wirklich kein einziges
Mir fallen unzählige Beispiele ein, wo man für die Wirtschaft Diktaturen gefördert hat, aber rein um Demokratien zu fördern?
Und was die Grundrechte und Menschenrechte angeht: in vielen Ländern in Asien und Afrika sind die fest verankert.
Und wie in Europa oder in Amerika oder Australien läuft es mal besser und mal schlechter
Aber es gibt dort viele halbwegs funktionierende Demokratien die nicht besser oder schlechter sind als in Europa
Die allgemeinen Grundrechte sind auch kein europäisches Phänomen
Du findest diese in Buddhistische Religionen, in afrikanischen Kulturen usw.
Und im groben ähneln die sich alle(respekt, Ehrlichkeit, Freiheit)
Das das ein europäisches Exportgut ist, ist falsch
Europa war nie ein Exporteur von Menschenrechten
Das heisst aber nicht, dass wir damit nicht mal anfangen sollten und uns auf verschiedensten Ebenen dafür einsetzen
Es ist oft umgekehrt, da hast Du schon Recht, aber es gibt auch positive Beispiele: die USA haben ihre ganze wirtschaftliche Überlegenheit eingesetzt, um in Deutschland und Japan nach dem zweiten Weltkrieg die jeweiligen ehemaligen Feind-Gesellschaften zu demokratisieren. Die EU hat ihre Macht eingesetzt, um nach dem Jugoslawien Krieg die Balkanstaaten zu demokratisieren. Im mittleren Osten ist da eher das Gegenteil passiert, und entsprechend extrem sind die politischen Reaktionen in diesem Teil der Welt, bei allen Parteien.
Hier liegst Du mMn wirklich falsch. Menschenrechte sind etwas anderes, als die ethischen Prinzipien, die Du erwähnst. Diese Ethik gibt es als Anleitung in fast jeder Religion oder als erstrebenswerten moralischen Imperativ in vielen Philosophien. Menschenrechte sind dagegen eine subjektive Rechtsposition, die (anders als religiöse Prinzipien oder moralische Imperative) nicht verhandelbar oder veräußerlich ist und eingeklagt werden kann - wenn das zuständige Rechtssystem es ermöglicht. Und selbstverständlich ist das eine in Europa ausformulierte Idee, deren Export in die Welt betrieben, aber oft genug von der Welt zurückgewiesen wurde. Die Idee der Menschenrechte wurde aus der dritten Welt zum Teil als koloniales Projekt disqualifiziert - natürlich auch, weil es den Eliten der jeweiligen Staaten nicht passte, die ihre Politik oft genug ohne Rücksicht auf Menschenrechte verwirklichten. @Chefrocker hat schon Recht: will man Menschenrechte gegen Widerstände durchsetzen, gibt es einen Konflikt, bei dem man seine eigenen Prinzipien in Frage stellen muss.
Die deutsche Entwicklungshilfe sieht die Möglichkeit vor, diese Entwicklungshilfe unter bestimmten Voraussetzungen einzustellen.
Mir fallen da leider zu viele Negativbeispiele ein, um von vielen „halbwegs funktionierenden Demokratien“ zu reden. Ich finde es z. B. sehr traurig, was der ANC in Südafrika angerichtet hat. Korruption oder Rechte Homosexueller sind in zu vielen Ländern Themen. Zu Asien fallen mir auch etliche sehr zweifelhafte Staaten ein. Allerdings weiß ich dort auch zu wenig, wie es in Kambodscha oder Vietnam aussieht.
Das sehe ich anders. Bei den Menschenrechten geht es um ein Prinzip, das sich durchaus aus Religion und Moral entwickelt hat, aber in seiner Stoßrichtung als Schutz gegen den Staat auch eine neue Denkweise umfasst, die von religiösen Prinzipien abweicht. Eine der fundamentalen Regelungen ist ja, dass universelle Menschenrechte für ALLE gelten, unabhängig von Herkunft, Alter, Religion, Geschlecht. Und dieser Gedanke war bahnbrechend. Und leider hast du recht, dass Europa als Exporteur dieser Grundwerte eher versagt hat.