Hallo liebe Rasenfunk-Gemeinde,
Hallo lieber Max,
Ich habe gerade eben die Saisonrückschau angefangen zu hören. Das allgegenwärtige Thema Corona lasst uns, den Fußball und auch den Rasenfunk wohl auch in der nächsten Saison nicht vollends ruhen. Und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mein Rasenfunk-Konsum hat sich aufgrund der Krise auch erheblich geändert. Ich pendle wesentlich weniger (ungefähr 98% weniger) was dazu führt, dass ich wesentlich weniger Podcasts pro Woche höre. Daher kann es auch eine ganze Weile dauern, bis ich die Folge vollständig durchgehört habe. Und ich möchte mich direkt bei denjenigen entschuldigen, welche nicht so viel Zeit haben, den Post zu lesen: es wird vermutlich etwas länger werden.
Um nicht zu viel Zeit zwischen meinen Gedanken und der Verschriftlichung verstreichen zu lassen, möchte ich hier in die höchst philosophische Diskussion einsteigen, die auch in diversen Kommentaren bereits aufgekeimt ist. Bitte entschuldigt, wenn ich nicht auf manche Posts vorher eingehe, da ich über mehrere Tage jetzt das hier bereits schreibe.
Zunächst einmal ist es vermutlich so wie Max schon gesagt hat, es gibt in dieser Diskussion kein richtig oder falsch. Alle Gedanken entbehren einer gewissen Logik und einem legitimen Anspruch. Doch unterscheiden sich die Sichtweisen stärker, als es kaum sein kann.
Ich glaube während zwei Parteien über scheinbar dasselbe reden, ist es dennoch nur das gleiche. In diesem Falle ist es das Spiel des Fußballs. Für die einen gehören die Fans dazu und für die anderen sind sie nur eine Ergänzung des eigentlichen Ereignisses. Und beides ist vollkommen korrekt, jedoch nicht im selben Sinne.
Da wäre zunächst einmal das, was der Fußball in weiten Teilen der Bevölkerung noch immer ist und auch im Profi Bereich eine gewisse Rolle einnimmt: ein sportlicher Wettkampf. Genauso wie es der 100 Meter Sprint, der Halbmarathon oder auch Bogenschießen sind. Warum laufen Sportler, Amateure wie Profis, 42 km durch die Pampa? Um des Sports Willen, um es sich selbst zu beweisen, um besser zu sein als andere, um zu gewinnen. Es ist ein sportlicher Wettkampf, der allein aus sich heraus die Legitimation des Daseins besitzt.
Zuschauer sind da, oder sind nicht da. Das spielt keine Rolle. Zu einem Wettkampf gehören jedoch immer auch Gegner, ob direkt in einem Fußballspiel, beim Tennis oder auch Sprint, oder indirekt beim Weitsprung, Hochsprung oder ähnlichem. Der Wettkampf ist dadurch geprägt, mit anderen in den sportlichen Vergleich zu treten und das Beste aus sich raus zu holen. Ob Zuschauer dabei sind, ist für den reinen Sportler egal. Wer kennt das nicht, dass auf dem Schulhof um die Wette gelaufen wird, oder man sich spontan darin misst, wer mehr Liegestütze schafft. Für diesen Vergleich sind Zuschauer zwar Willkommen und können nochmal zusätzlich Anspornen, doch letztendlich reicht im rudimentärsten Stile auch der gegenseitige Respekt vor der gezeigten Leistung.
Und dann ist da die andere Seite des Spiels: das Produkt Fußball. Dieses Produkt ist dazu gemacht, jemandem (diese jemande sind übrigens Kunden) zu gefallen. Es soll angeschaut und konsumiert werden. Dafür muss es spannend und emotional sein. Es ist die Dramaturgie des Spiels und der Atmosphäre, welche das Produkt erst abrunden. Der sportliche Wettbewerb ist dabei nur ein Bestandteil des Schauspiels. Wie groß mag er wohl sein? Die Diskussion scheint eigentlich zu verdeutlichen, was wir alle bereits seit längerem gewusst zu haben scheinen: nur einen sehr Kleinen. Außer dem Sport ist dabei noch die Inszenierung wichtig, also begonnen mit dem martialischen Sound des Bundesligaintros bis hin zum Abpfiff und den damit verbundenen Reaktionen des Publikums.
Das Produkt Profi-Fußball ist mittlerweile so komplex und so groß geworden, dass es mir gar nicht gelingt, die Liste von Bestandteilen abzuschließen. Ständig fallen mir neue Punkte ein. Stadionwurst, Bier, Atmosphäre, Merchandising, Ticketdesign, Bekleidung, kommerzialisierte Rituale (Fahnenschwenker vor Anpfiff auf dem Platz gehören mittlerweile zur Show zum Beispiel), Fan-Choreo, Fan-Gesänge, Pfeifkonzert, Schauspieleinlagen, Schiedsrichterentscheidungen etc. pp. Die Liste kann beliebig fortgeführt werden.
Was in der Diskussion der Sendung sehr gut heraus kam: Die Fans im Stadion sind ein erheblicher Bestanteil des Produktes. Das bedeutet dann aber auch, dass die Fans, bzw. das Publikum, im Stadion ebenfalls eine Dienstleistung erbringen, während sie gleichzeitig Konsumenten sind. Ich habe irgendwo im Internet mal einen Satz gelesen, den ich hier sinngemäß wiedergeben möchte: Wenn ein Service nichts kostet, dann bist du nicht der Nutzer, du bist das Produkt. Klar, die Fans in den Kurven zahlen Geld für den Eintritt. Aber dieses Geld deckt nicht annähernd die Kosten des Stadionbetriebs selbst. Die Stehplatzkarten sind in der Regel sehr stark quersubventioniert mit den Tickets der Haupttribünen. Die Vereine sind sich also durchaus bewusst, dass sie a) aus sportlicher Sicht ein wenig und b) aus atmosphärischer und somit monetärer Sicht erheblich auf die Fans in den Kurven angewiesen sind.
Das Stadion ist ja irgendwie auch ein Teil des Produktes, sowohl für die Zuschauer vor Ort, als auch an den Empfangsgeräten. Als die Rede auf den Betzenberg zu sprechen kommt, gruselt es mich ein wenig. „Niemand würde sich für Lautern interessieren, wenn es den Betze nicht gäbe.“ heißt es in dem Gespräch sinngemäß. Stimmt das? Ich denke ein paar tausend Lauterer würden hier vehement widersprechen. Aber der Betze ist ein gutes Beispiel für die Signalkraft, die ein Ort innehaben kann. Was macht den Betze denn überhaupt so eindrucksvoll? Warum fährt ein Spieler mit Ehrfurcht zu diesem Platz? Es sind wohl die großen sportlichen Ereignisse vergangener Zeiten, welche bis heute weiter überliefert wurden und an die jeder Fan und jeder Spieler denkt, wenn Lautern im Pokal gegen einen Erstligisten antritt. „Damals hat Lautern XYZ mit X:1 aus dem Pokal geschmissen“, erzählt man sich. Fans wissen das, Spieler hören das, Medien berichten das. Es ist Teil des Hypes und der Stimmung, die rund um ein Spiel aufgebaut wird. Die Stimmung auf dem Betze ist nicht nur deswegen anders, weil der Betze ein besonderes Stadion sein will. Die Stimmung ist vor allem anders, weil die Zuschauer und Spieler daran glauben, dass sie anders ist und sie dadurch auch anders wirkt. Jeder kennt das, wenn man wöchentlich im Stadion ist, dann gibt es dieses eine unglaublich wichtige Spiel seit Wochen und die Stimmung im Stadion ist einfach anders. Und je länger es ein Stadion gibt, umso mehr Geschichten ranken sich um selbiges. Seien wir doch mal ehrlich, wenn der selbe Betze mit der selben Geographie und Architektur die Heimspielstätte vom FC Ingolstadt mit Baujahr 2004 wäre, dann wäre das Stadion doch nicht im gleichen Maße eindrucksvoll.
Was möchte ich nun eigentlich sagen? Kurz zusammengefasst: Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen dem sportlichen Wettkampf im Fußball und dem Produkt Fußball (das es übrigens auch in einer wesentlich günstigeren Version bis hinunter zur Kreisklasse geben kann). Der Wettkampf kann für sich alleine stehen, dass er basiert auf der Absicht zweier Mannschaften, herauszufinden wer von beiden die bessere ist. Das Produkt Fußball ist allerdings weitaus komplexer und nimmt den sportlichen Wettkampf allenfalls zum Anlass des Schauspiels, niemals aber als Grund des Anlasses. Der Grund, weshalb ein Produkt verkauft wird, welches von Unternehmen hergestellt wird, ist IMMER das Ziel der Erwirtschaftung von Gewinnen.
Die Frage ist nun, inwieweit Spieler noch diesen sportlichen Wettkampf wahrnehmen? Ist es für sie noch ein Mannschaftssport oder eher ein Ringen um die beste persönliche Performance? Welchen Wert hat der Sport bei der Auswahl eines neuen Arbeitgebers? Viele unzählige Beispiele zeigen, dass Geld und die Höhe der Spielklasse über dem in Aussicht stehenden Erfolg ragt. Sollte es für einen Spieler nicht interessanter sein, sich im der zweiten Liga durch viele Einsätze und eine erfolgreiche mannschaftliche Leistung zu zeigen und Praxiserfahrung zu sammeln, statt bei einem Erstligisten fünf Einsätze zu bekommen? Was motiviert einen jungen Torwart, sich als Nummer drei auf die Bank zu setzen? Wie viel Sport steckt eigentlich noch in dem von uns so geliebten Produkt, welches wir Woche für Woche aufsaugen in der Annahme, es wäre ein fairer Wettkampf?
Es ist was es ist: eine Medaille mit zwei Seiten. Doch während die eine scheinbar immer stärker auf Hochglanz poliert wird, wird die andere immer weniger beachtete, zerkratzt und verbrannt. Bei denjenigen, die bis hierhin durchgehalten haben, möchte ich mich herzlich bedanken. Ich habe den Text mittlerweile über einige Tage immer wieder etwas weiter schreiben müssen, daher entschuldigt bitte, wenn die Zusammenhänge manchmal nicht ganz so gut miteinander verknüpft wurden. Aus meiner Sicht war es aber nicht möglich, nur Teile davon zu veröffentlichen, ohne das Gesamtkonstrukt zu umreißen.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit und ich freue mich auf ein paar kritische Antworten.
Freundliche Grüße aus dem Rheinland
Skotty
PS: während ich die Worte hier schrieb sind in den letzten Tagen einige Artikel veröffentlicht worden, die hier ganz gut in den Kontext passen. Zum einen unzählige Artikel zum Karriereende von Andre Schürrle. Zum anderen gibt es auf Transfermarkt ein Interview mit dem früheren Jugendspieler des BVB Mustafa Amini, der Tiefe Einblicke in die Welt der nachrückenden Generation der Dortmunder gewährt. Man darf sich sicher sein, dass auch in anderen Vereinen ähnliche Situationen herrschen. Er beschreibt sehr gut den von mir aufgegriffen Aspekt, dass es sich nicht um Mannschaften, sondern eine Gruppe von Individuen handelt.