Der Bundesliga-Aspekt
Warum läuft es bei Italien besser und warum hat Frankreich einen besseren Kader? Auch wenn Frankreich jetzt im Achtelfinale rausgeflogen ist, habe ich doch den Eindruck, dass die französische Verteidigung besser aufgestellt ist und die Qualität der Jugendspieler (früher in der Entwicklung?) besser ist. Italien ist in der 5-Jahreswertung knapp vor Deutschland, aber dort hängt auch vieles an Juventus. In Frankreich gibt es PSG und ansonsten lange nichts. Beide Aussagen sind natürlich nicht vollkommen korrekt, aber effektiv gibt es nur zwei Ligen, die wirklich besser sind als die Bundesliga: Spanien und England. Gleichzeitig sind dort mit Tuchel und Klopp zwei deutsche Trainer unter den Toptrainern vertreten, die ihre taktischen Konzepte nicht erst außerhalb Deutschlands entworfen haben, sondern ihre Erfahrungen aus der Bundesliga mitgebracht haben (hinzu kommt Hasenhüttl, auch wenn er Österreicher ist). Wenn ich auf internationale Spiele schaue, dann habe ich schon den Eindruck, dass deutsche Mannschaften vor den französischen liegen und auf einer Höhe mit den italienischen, auch taktisch:
20/21 CL D: 2 VF, 2 AF; I: 3 AF; F: 1 HF - EL D: 2 16F; I: 1 HF, 1 AF, 1 16F; F: 1 16F
19/20 CL D: 1 F, 1 HF, 1 AF; I: 1 VF, 2 AF; F: 1 F, 1 HF; EL D: 1 VF, 2 AF, I: 1 F, 1 AF, F: /
18/19 CL D: 3 AF; I: 1 VF, 1 AF; F: 2 AF; EL D: 1 HF, 1 16F; I: 1 VF, 1 AF, 1 16F; F: 1 AF
Jetzt haben Bundesligavereine teilweise einen größeren finanziellen Spielraum als französische, aber einen kleineren als englische oder spanische (wie sieht das in Italien aus?). Ich hatte aber in den internationalen Partien nicht unbedingt den Eindruck, dass die Bundesligisten taktisch regelmäßig hergespielt wurden, aber vielleicht stecke ich da auch nicht tief genug drin. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass die taktische Ausbildung von Spitzenbundesligaspielern schlechter wäre als die ihrer französischen oder italienischen Pendants, wenn die zu Hause spielen. Was aber auffällig ist: Die taktische Ausbildung in der Breite, jedenfalls, wenn ich das mit den Franzosen vergleiche. Gute französische Spieler gehen im Zweifel ins Ausland (u.a. nach Deutschland) und entwickeln sich dort weiter, auch menschlich. Gute deutsche Spieler bleiben lange in Deutschland oder wechseln erst, wenn es einen Karriereknick gab (Götze) oder sie nicht mehr die allerjüngsten sind (Volland). In Spanien, Italien, England oder Frankreich spielen auch viele gute ausländische Spieler in den Mannschaften, aber mir scheint, dass es viel besser gelingt trotzdem „einheimische“ Talente einzubinden oder diese international weiterzubilden. Liegt das nur an den Klubs oder funktioniert die DFB-Nachwuchsförderung vielleicht auch einfach seit Jahren nicht mehr richtig? @lets-go kannst du dir erklären, wieso das in Spanien oder England (aktuell) besser klappt?
Wenn es aber nicht nur an der Ausbildung der Spieler liegt, sondern auch an den mangelnden taktischen Inspirationen für Löw durch die Bundesliga, dann ist das allerdings ein heftiger Kritikpunkt auch an Löw: Wenn die taktischen Innovationen andernorts stattfinden, dann ist es sein Job (bzw. der seines Trainerteams) sich darüber zu informieren und diese zu adaptieren. Zumal er im Gegensatz zu einem Klubtrainer nicht gefühlt 24/7 mit Training etc. beschäftigt ist. Vielleicht sehe ich da auch mehr Freiräume beim Bundestrainer als es gibt, aber dann hat der DFB eben einen entsprechenden Posten zu schaffen, der das macht. Gleichzeitig wäre es Löws (und Bierhoffs) Aufgabe darauf hinzudrängen, dass diese Stelle/Abteilung geschaffen wird.
Nochmal zum Spiel
Stimmt. Aber die Frage ist schon, warum er in der 92. kommt und nicht in der 80. oder 75. Da hatte sogar Völler mit Schweinsteiger und Podolski bei der EM 2004 mehr Mut - und das war mit das grottigste, was ich in meinem Leben von der Nationalmannschaft bei einem Turnier gesehen habe (abgesehen von 2002, wo ich mir als Kind vor dem Fernseher bei jedem Spiel gewünscht habe, dass Deutschland endlich rausfliegt, weil es so grausam war).
Ära Löw
Um fair zu sein: Alle Endrundenteilnahmen Löws vor 2018 endeten mindestens im Halbfinale. Das war damals (und ist es in meinen Augen auch heute noch) ein Verdienst Löws. Zum Vergleich:
Löw 7 Turniere - 5 HFs (~71%)
Beckenbauer 3 - 3 (100%)
Schön 7 - 5 (~71%)
Derwall 3 - 2 (~66%)
Herberger 4 - 2 (50%)
Vogts 4 - 2 (50%)
Völler 2 - 1 (50%)
Folglich würde ich seine Amtzeit insgesamt auf 3 setzen. Nur ist er eben der Bundestrainer, der zu lange geblieben ist - das wird auf jeden Fall in Erinnerung bleiben.
"Respect the greatest"
Der Teil hat mich auch gestört. Dieses auf-den-Sockel-heben nur aufgrund von vergangenen Erfolgen, das in der SK gefordert wurde, das konnte man gerade gut in den Livekommentaren im ÖR zu den Deutschland-Spielen erleben. Ständig wurde die Weltklasse Neuers betont oder Müller und Hummels über den grünen Klee gelobt. Es gab auch die kritischen Anmerkungen, die wurden dann allerdings gleich wieder in einer himmelhochjauchzende Arie der Großartigkeit der gestandenen Spieler ertränkt - wenn die nicht gerade Gündogan hießen (ein Schelm wer böses dabei denkt). Dabei wäre eine nüchterne Analyse auch während der Spiele hilfreich gewesen: Neuer immer noch gut, aber sicher nicht Welttorhüter. Hummels erfahren, aber einfach langsam. Kroos erfahren, aber langsam und oft unglücklich in seinen Aktionen. Müller Antreiber, aber spielerisch nur bedingt ein belebendes Element.
Ansonsten kann ich nur auf das Matthäus-Argument von @FullMetalJensen verweisen und möchte das sogar noch ausbauen: Ich kenne niemanden, der Matthäus, Beckenbauer oder Rummenigge abspricht herausragende Fußballer gewesen zu sein. Die Leute haben aber überraschenderweise auch noch ein Leben nach dem Fußball und das sollte nicht über jeder Kritik stehen, weil sie man geile Kicker waren.