Erstmal vielen Dank für das Gespräch und eure Offenheit über das Thema zu sprechen.
Zunächst zu Reaktionen pro-palästinesischer Personen und Gruppen nach dem 07. Oktober. Was initial bejubelt wurde war nach meiner Wahrnehmung der Gefängnisausbruch, also das Durchbrechen der Mauer. Nach den Berichten über Tote (und Unkenntnis über das Ausmaß und die Identität der Toten) waren die Reaktionen deutlich gemischter (von Ablehnung bis antikolonialer Widerstandskampf erfordert Opfer). Nachdem klar wurde, dass es sich um Zivilisten handelt war zweitere Position aus meiner Sicht marginalisiert (zumindest in linken Gruppen). Ich bin nicht sicher wie genau das auf die einzelnen Fälle von Mazraoui, El Ghazi und den Celtic-Fans passt, aber vllt. zur Einordnung warum es auch direkt nach den Angriffen zur Solidarisierung mit Palästina kam. Aber ich versteh natürlich wenn man manches davon als pietätlos empfindet.
Einen Punkt der bei Youtube angesprochen wurde, möchte ich auch ins Forum holen.
Der Begriff Zionismus steht nicht für das Selbstbestimmungsrecht der Juden, sondern beschreibt eine Ideologie, die einen jüdischen Staat in Palästina fordert/ erhalten will. Antizionismus bedeutet also nicht die Ablehnung von Juden (=Antisemitismus), sondern die Ablehnung des Staates Israel in der Region Palästina. Auch manche Juden bezeichnen sich als antizionistisch
und die Antwort von Max:
Ist das wirklich so? Ich hatte Zionismus bisher als Spektrum verstanden, Ideologie kann man dazu sagen, wenn man berücksichtigt, dass es sehr verschiedene Interpretationen gibt (und davon einige dann fast „unideologisch“ und pragmatisch sind). Und daran anschließend: Ist eine Ablehnung des Staates Israel nicht immer antisemitisch, wenn wir die Historie seiner Gründung einbeziehen (ein Ort, an dem sich Jüd*innen sicher fühlen können)? Auch nach Definition des IHRA: Israelkritik ist dann antisemitisch, wenn wir dieselbe Kritik nicht auch auf andere Staaten anwenden würden. Welchem anderen Staat würden wir denn die bloße Existenz absprechen?
Genau aus diesem Grund gibt es Kritik an der IHRA-Definition, z.B. in Form der alternativen JDA (Jerusalem Declaration on Antisemitism), die sich genau gegen diese Vermischung von Antisemitismus und Antizionismus richtet. Nach der IHRA-Definition ist vielleicht Kritik an der Politik der israelischen Regierung in Ordnung, bei Kritik an Israel als jüdischem Staat und an der andauernden Vertreibung von Palästinensern durch diesen Staat sieht es da schon anders aus.
Zudem noch zur Formulierung Existenzrecht von Israel anerkennen bzw. das Existenzrecht absprechen, was in verschiedenen Formen in der Folge vorkommt. Ich frag mich dabei immer was eigentlich genau gemeint ist - Israel oder Israel als jüdischer Staat? Oder ist verklausuliert eigentlich das Existenzrecht von Jüdinnen und Juden gemeint? Ich würd sagen das Existenzrecht liegt bei den Menschen. Und so ein Staat hängt sowieso nicht davon ab ob irgendeine Einzelperson ihm das Existenzrecht anerkennt oder abspricht. Dieses Recht setzt er selbst durch seine Gewalt. Zu diesen Fragen und der weiteren Begriffsgeschichte des Existenzrechts ein sehr lesenswerter Artikel Was es bedeutet zu sagen, Israel habe ein Existenzrecht von Brian Klug. Dazu hier noch ein Artikel von Omri Boehm zur BDS-Resolution, der besonders im ersten Teil die Themen IHRA, Antizionismus und Existenzrecht anschneidet Gleichheit ist nicht antisemitisch.
Ähnliches lässt sich zu „From the river to the sea“ sagen. Da hatte Max ja auch schon in der Schlusskonferenz und im Nachtrag zu dieser gesagt, dass es „die Auslöschung des Staates Israels“ meint, was sehr martialisch klingt. Und der Spruch ist natürlich offen in der Interpretation und ich kann verstehen wenn man ihn deswegen ablehnt. Aber im Kern steckt da erstmal nur die Befreiung des historischen Palästinas von unterdrückerischer Herrschaft drin, ein traditionell linker antizionistischer Spruch. Der richtet sich nicht gegen Juden.
Ich hoffe ich hab nicht zu sehr am Thema vorbei geschrieben. Falls irgendwas davon unverständlich ist, kann ich gern versuchen es auszuführen.