Danke an die letzten beiden interessanten Beiträge, beide eher das Sportliche betreffend. Sie verdienen es eigentlich, auf sie einzugehen. Mir war aber aufgrund der aktuellen Entwicklungen das große Ganze etwas wichtiger, daher hab ich mal meine aktuellen Gedanken zum Nichtsportlichen aufgeschrieben.
Aktuell wird der Konflikt zwischen aktiver Fanszene und Vereinsführung/Aufsichtsrat offener geführt.
Der Kern des Konflikts ist letztlich, dass vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten der Konzern den Verein übernommen hat und seitdem die Vereinsmitglieder und Fans faktisch fast keine Einflussnahme haben.
Ich würde behaupten, dass das den meisten Fans recht egal war und sich nur ein kleinerer Teil daran gestört hat. Von diesem kleineren Teil haben sich dann auch noch über die Zeit manche vom Club abgewandt, weil es nicht mehr „ihr“ Verein war, sodass die Gruppe kleiner wurde. Die Gnade der späten Geburt hat wiederum bei jüngeren Menschen wie mir dazu geführt, dass wir lieber selbst einem Ball hinterhergerannt sind und noch nicht über Besitzverhältnisse unseres Vereins nachgedacht haben. Ich hab das glaube ich das erste Mal als Jugendlicher gelernt, als der aktivste Wolfsburger beim wundervollen PFYC auf seiner facebookseite Beiträge darüber schrieb, wie er sich wegen der Entscheidungen des Konzerns vom Verein abwandte.
Dazu kamen dann auch das kräftige Investieren des Konzerns, was sicherlich manchem Fan gefallen hat, der eintretende Gewöhnungseffekt des neuen Eigentümers, sowie der sporadisch auftretende sportliche Erfolg. Außerdem sind ja bei den meisten Fussballvereinen die Mehrzahl der Fans gar nicht so stark an Fragen der Mitglieder-/Fanvertretung interessiert. Und es war und ist ja keine Übernahme durch Fremde von Außen, sondern eine von innerhalb der Stadtgrenzen, die Verbindung Werk/Konzern, Stadt und Verein waren hier ja schon Thema. Deshalb ist das Thema bei den meisten (Normalo-)Fans Stück für Stück verblasst.
Aktuelle Lage: Anders war das in der aktiven Fanszene. Aber trotz ständiger Kritik der Fanszene in den letzten Jahren gab es wenig bis keine Veränderungen. Weder bei Einzelthemen, wie zB der Wappenveränderung, die seit der Übernahme kritisiert wird oder den wahllosen Trikotfarben (auswärts, drittes), gab es Verbesserungen. Noch war beim Kern des Konflikts, dem fehlenden Einfluss der Fans/Mitglieder, wirklich eine Veränderung feststellbar. Das blieb auch deshalb so, weil die Kritik nur von einem Teil der Fans stattfand und mit Blick auf den Gesamtverein Randthema blieb. Diese Saison ist die Kritik etwas lauter geworden und jetzt hat sich die Situation verkantet. Eine gute Zusammenfassung findest sich in den Artikeln von Faszination Fankurve.
Dieser Artikel erzählt, wie im Rahmen der Investorenproteste durch eine Plakataktion die Situation beim eigenen Verein als negatives Beispiel dargestellt wurde (Zusammenfassung: „Es ist an der Zeit, Ausnahmeregeln von 50+1 wie bei uns kritisch hinterfragen. Wir finden, dass auch bei Vereinen, die einer Ausnahmeregelung von 50+1 unterliegen, ein verbindliches Mitbestimmungsrecht von Fans gegeben sein muss.“)
Dieser Artikel beschreibt, wie es an diesem Wochenende dann wieder eine Plakataktion mit Erneuerung dieser Kritik gab („Fanfremde Geschäftsführung“, „Ungleicher Wettbewerb“, „Identitätsverlust“, „Spielball des Konzerns“, „Scheinmitbestimung“).
Verbunden war diese erneute Kritik mit vielen Pyroaktionen beim Spiel, sowohl zum Anfang des Spiels in Zusammenhang mit den Plakaten, aber auch danach wurde alle paar Minuten was angezündet.
Dieser Artikel gibt ein langes Statement zum Hintergrund der Aktion wieder (Forderungen: „Radikaler Umbruch und Mitbestimmung jetzt“).
Dieser Artikel schließlich beschreibt die Reaktionen des Clubs vor allem auf die (erneute) Pyroaktion (u.a. Verbot von Choreografien, Blockfahnen und Schwenkfahnen).
Einschätzung: Ich bin sehr dankbar, dass das derzeitige Konstrukt endlich laut in Frage gestellt wird. Mehr Mitbestimmung durch Mitglieder wäre mir persönlich sehr wichtig.
Tja, aber wie kann das erreicht werden? Der Rasenfunkforumsthread zu den Genossenschaften ist zwar super, aber wimmelt nicht gerade von Wolfsburgern.
Daher hat sich die Fanszene für Plakate und Pyro entschieden. Zu Pyro hab ich grundsätzlich wenig Meinung. Aber ist es an dieser Stelle kontraproduktiv oder bringt es dem Konflikt Aufmerksamkeit?
Kurzfristig war es möglicherweise kontraproduktiv. Es war einfach für die Vereinsführung, überhaupt nicht inhaltlich auf die Kritik der Plakataktion einzugehen, sondern den Scheinwerfer allein auf Pyro zu richten. Und sie konnte den Aufmüpfigen durch die Verbote richtig weh tun. Also Punktsieg für die Vereinsführung? Aber was sind die weiteren Auswirkungen?
Ich denke gerne darüber nach, wie Gruppen am besten ihre Interessen erreichen. Beide Seiten haben sich jetzt erstmal für Konfrontation entschieden. Vielleicht gab es aber auch seitens der Vereinsführung keine wirkliche Bereitschaft, im freundlichen Dialog Veränderungen anzugehen, sondern es wurde nur Scheinmitbestimmung zugestanden (s. den in der Erklärung angebrachten Fanrat). Vielleicht musste es aus Sicht der Fans also krachen. Und vielleicht löst die Reaktion der Vereinsspitze nicht nur in mir Trotz aus (ich persönlich finde die Reaktion unverhältnismäßig und entlarvend).
Wie reagiert die Fanszene darauf? Auch trotzig? Meine Hoffnung ist, dass die Reaktion des Vereins die Fanszene zusammenbringt und sie Woche für Woche die Kritik erneuert, um einen Prozess anzustoßen, der in Zukunft Verbesserungen bringt.
Die andere Hoffnung wäre, dass das Kartellamt von Außen eingreift und mehr Mitbestimmung verlangt. Nachdem die im letzten Jahr vereinbarten Vorgaben zwar richtig, aber aus meiner Sicht nur Makulatur waren, könnte es da aufgrund der Unruhe rund um Hannover immer noch krachen.
Oder das Gründungsmitglied der zweiten Fussballbundesliga kehrt dorthin zurück und könnte sich durch einen Abstieg etwas vom Konzern lösen. Aber das halte ich für unrealistisch, dafür ist der kritische Prozess zum einen noch nicht weit genug vorangeschritten und zum anderen könnten wir auch in diesem Jahr dem Abstieg ein Schnippchen schlagen. Mal sehen, durch sind wir nach den Leistungen der vergangenen Spiele noch nicht.