Da ich mal wieder Zeit habe gebe ich mal wieder meinen Senf zum BVB Spiel gestern. Zunächst möchte ich jedoch alle Werder-Fans beglückwünschen zu einem grandiosen Auswärtsspiel und verdientem Sieg. Besonders grüßen möchte ich den nahezu kompletten Bremer Gästeanhang, der mir gestern in der S1 von Bochum nach Essen auf Grund des Stellwerkschadens begegnet ist. Es war tatsächlich sehr angenehm mit wenigen BVB Fans in diesem mit Bremern komplett gefüllten Zug zu stehen. Passiert auch bei nicht vielen Gegnern. Ich hoffe eure nächsten Auswärtsfahrten werden dann endlich mal einfacher als die ersten beiden es dann jetzt waren.
Zur Ausgangslage:
Der BVB hat wieder in einem 4-3-3 bzw. je nach Auslegung in einem 4-2-3-1 begonnen. Im Vergleich zum Freiburgspiel mussten jedoch Malen (muskuläre Probleme), Meunier (Leistung und wie jetzt wohl rauskam Streit mit Terzic) und Hazard (Leistung) weichen und wurden durch die in Freiburg guten Einwechselspieler Wolf und Bynoe-Gittens sowie Julian Brandt ersetzt.
Brandt durfte dann auch tatsächlich auf dem Flügel ran, was bereits in der Vergangenheit selten gut ausgesehen hat. Unter Terzic erster Amtszeit durfte ja auch Reus im 4-3-3 als Flügelspieler spielen. Ist zwar auch nicht seine beste Position, allerdings sah das immer besser aus als bei Brandt, der m. M. n. ein ausschließlicher Zentrumsspieler ist. Die Idee ihn dauernd auf den Flügel zu stellen von mittlerweile vielen Trainer erschließt sich mir absolut nicht.
Zum Spiel:
An der Stelle die kurze Anmerkung: Alle Beobachtungen sind rein subjektiv gestern von der Südtribüne. Leider kann ich diese nicht überprüfen, da es im Jahr 2022 bei Sky nicht möglich ist, die Spiele in voller Länge im ReLive zu sehen…
Der BVB kam gut in Spiel rein und hatte einige gute Momente in der Anfangsviertelstunde. Es wirkte zum ersten Mal in dieser Saison so, als könnte der BVB ein Spiel kontrollieren, ggf. seine offensiven Ideen auf das Feld bringen und im Gegenpressing und Pressing einen Gegner unter Druck setzen.
Offensiv hat man jedoch in der Anfangsviertelstunde nur erkennen lassen, dass man gerne eine Seite überlagert durch herausziehen von Reus und teilweise auch Bellingham, was doch sehr wenig ist für eine Spitzenmannschaft in der Bundesliga. Hieraus haben sich auch alle bisherigen Gegner dann schnell eingestellt gehabt und man konnte wenig Vorteile dadurch kreieren. Sicherlich spielt hier auch die Verletzung von Dahoud eine Rolle, allerdings würde es mich sehr wundern wenn eine so gut gecoachte Mannschaft wie Werder mit einer einfachen Flügelüberlagerung dauerhaft vor Probleme gestellt wird.
Der Bruch kam dann spätestens mit der verletzungsbedingten Herausnahme von Dahoud und Einwechslung von Can. Neben dem Qualitätsunterschied der beiden Spieler muss man hier auch auf die Rolle eingehen. Dahoud hat sich in den ersten beiden Spielen häufig zwischen die Innenverteidiger fallen lassen um von dort das Spiel ins Mittelfeld zu tragen. Diese Aufgabe ist keine, die Emre Can übernehmen kann. Ich habe hier auch meine Zweifel, dass dieses Element durch Özcan geleistet werden kann. Das spielgestaltene Element hat meinen geringen Beobachtungen der Kölner aus der letzten Saison ja eher Skhiri übernommen. Insofern glaube ich nicht, dass es mit ihm spielerisch zwangsläufig deutlich besser gelaufen wäre.
Nachdem die erste Halbzeit dann meiner Erinnerung nach eher ausgeglichen war mit eher sehr leichten Vorteilen für Werder, konnte der BVB genau aus einer solchen Flügelüberlagerung das 1-0 erzielen. Bellingham bekommt im Aufbau den Ball und kann aufdrehen. Das Bremer Mittelfeld war noch unsortiert, sodass ein Pass auf Reus zwischen die Ketten möglich war, der selber aufdrehen konnte und mit Brandt auf drei Verteidiger zuläuft. Hier kommt dann ein guter Laufweg von Wolf, der die Linie lang geht und dadurch die Bremer nochmal zwingt die Gegenspieler zu wechseln, wodurch Brandt dann erst diesen großen Platz hat um unbedrängt nach innen gehen zu können und zu schießen. Wichtig war hier auch der Laufweg von Reus in die Tiefe um Stage rauszunehmen, der sonst genau in dem Raum in den Brandt wollte gestanden hätte.
Mit der glücklichen Führung änderte sich dann in der zweiten Hälfte alles. Bremen war über die gesamte Zeit nun die deutlich bessere Mannschaft, mit klareren Offensivaktionen und besserer Spielanlage. Hier spielten aus meiner Stadionsicht zwei Faktoren eine Rolle:
-
Der BVB war im Mittelfeld viel zu offen. Eigentlich verteidigt der BVB im 4-4-2, was jedoch gestern, so hart muss man sein, eigentlich eher ein 4-3-1 war. Modeste hatte weder offensiv noch defensiv einen Bezug zum Spiel und Brandt war defensiv häufig aus seiner Position oder hat sich ungeschickt angestellt. Dadurch wurde der Weg für die drei Spieler in der Mittelfeldreihe (Bellingham, Can, Bynoe Gittens) sehr groß und Werder konnte immer wieder in diese Räume spielen.
-
Hier muss ich sagen, dass es mir in der ersten Hälfte nicht aufgefallen ist und ich es deswegen mal als Umstellung von Werner sehe: Werder hat die Viererkette des BVB mit fünf Angreifern in letzter Linie immer wieder überlagert, wodurch die beschriebenen Vorteile im Mittelfeld in die Halbräume spielen zu können immer wieder ins Angriffsdrittel getragen werden konnten und das Mittelfeld dann häufig noch weiter dezimiert wurde, weil ein Mittelfeldspieler mit in die letzte Kette gegangen ist, um die zahlenmäßige Unterlegenheit auszugleichen. Dadurch wurde der Vorteil von Werder im Mittelfeld wieder größer.
Da der BVB durch diese Gegebenheiten zunehmend unter Druck geraten ist, stand man in der zweiten Hälfte deutlich tiefer und konnte kaum für Entlastung sorgen. Besser wurde es als Terzic dreifach wechselte und Hazard für Brandt, Reyna für Bynoe Gittens und Süle für Hummels brachte. Hierbei spielt insbesondere die größere defensive Arbeitsrate von Hazard im Vergleich zu Brandt eine Rolle. Reyna ist defensiv zwar nicht wirklich talentierter als Brandt, allerdings zumindest etwas aufmerksamer und dadurch häufiger zumindest körperlich anwesend.
In der Folge gelang es dann das Spiel zumindest etwas zu beruhigen und auch durch einen Weitschuss von Guerreiro das 2-0 zu erzielen. Hazard hatte kurz danach noch einen Weitschuss den Pavlenka noch an den Pfosten fausten konnte. Mehr Chancen konnte der BVB jedoch auch in dieser Phase nicht kreieren.
Bremen hingegen kam weiterhin in gute Abschlussgelegenheiten, wenn auch nicht mehr so konsequent wie vorher, als man in mindestens drei Szenen bei denen zwei Mal Schlotterbeck und ein Mal Kobel gerettet haben, den Ausgleich erzielen hätte können bzw. müssen.
Die verrückte Schlussphase:
Vor dem 2-1 fehlt beim BVB komplett die defensive Ordnung, was in der 89 Minute in einem Heimspiel bei 2-0 Führung gegen einen Aufsteiger nicht passieren darf. Es gibt Mannschaften, die würden hier sehr selbstbewusst den Ball laufen lassen, oder zumindest defensiv sicher stehen. Der BVB macht hier beides nicht. Burke steht in einem (sehr großen) Viereck aus Süle, Can, Bellingham und Wolf. Keiner kann ihn wirklich aufnehmen, wodurch er relativ einfach auf die Außen spielen kann, wo Wolf komplett seinen Gegner aus den Augen verloren hat. Süle rückt erst nach innen zu Burke um dann nach dem Pass wieder nach außen zu rücken. Dies macht er dann sogar noch gut. Schlotterbeck und Guerreiro gehen dann jedoch beide auf die Torlinie statt den Rückraum aufzunehmen, wodurch der Abpraller von Kobel erneut bei Werder landet. Auch die Hereingabe kann dann geklärt werden, wenn auch zu kurz von Hazard, weil er den Ball nicht voll trifft. Dadurch landet der Ball bei Buchanan, der ein absolutes Traumtor erzielt. Besonders achten muss man hier jedoch auch Bellingham. Auf Bild 1 steht er näher zum Tor als Buchanan, den Abpraller bekommt dann jedoch Buchanan.
Vor dem 2-2 kann Werder erneut über das Zentrum aufbauen. Dortmund ist hier erneut unsortiert, da Süle vorrückte und Can in die Viererkette musste. Süle übernimmt dann kurz Schmidt, der dann nach außen spielt. Süle will zurück in die Viererkette, kommt dort jedoch spät an. Can konnte daher nicht früher wieder ins Mittelfeld (und damit auf Schmidt) rücken. Dieser nutzt die Gelegenheit ohne Gegenspieler in die Box zu gehen und bekommt dort den Ball nach Flanke. Auch auf dem Flügel war absolut kein Druck. Hazard steht hier komplett außerhalb seiner Position und Bellingham rückt zu spät raus.
Das Video zum 2-3 und dem Antritt von Süle ist ja viel auf Twitter herumgegangen, aber man muss hier die Gesamtsituation würdigen. Bremen läuft mit zwei Spielern auf vier BVB Spieler zu. Es gibt erneut keinerlei Druck auf den Ballführenden, wodurch dieser relativ einfach einen Steilpass spielen kann. Dieser ist nichtmals gut. Süle kann den, wenn er ihn schon nicht ablaufen kann mindestens zum Mitspieler grätschen. Wolf übernimmt dann den Gegenspieler, drängt ihn sogar nach außen, macht jedoch nicht den letzten Schritt um den Schuss zu blocken und Kobel muss diesen Ball in die kurze Ecke auch haben.
Das Coaching:
Ja, ich verstehe den Ansatz, dass sich Leistung lohnen soll und man genau deshalb Wolf und Bynoe Gittens gebracht hat. Aber das Wolf jetzt nicht der Verteidiger ist, der oberes Bundesliganiveau hat, weiß man vorher. Insbesondere verstehe ich jedoch nicht wieso Bynoe Gittens von Anfang an randurfte. Er will häufig noch zu viel mit seinen Aktionen. Dies auch gestern. Diese Spielweise ist meines Erachtens deutlich wertvoller als Joker, um dann gegen einen Gegner, der bereits 60 Minuten gespielt hat, noch ein Überraschungselement hereinzubringen.
Moukoko hingegen hätte ich gerne von Beginn an gesehen. Modeste hatte in der letzten Woche keinerlei Bindung zum Spiel und wirkte überfordert. Dies auch gestern. Klar ist es gut einen großen Spieler zu haben, den man anspielen kann, der einen Ball halten kann und ablegen kann. Aber bei Modeste ist genau das total hypothetisch und bisher kaum passiert. Dazu macht mich Modeste defensiv wahnsinnig. In welchen Winkeln er Gegenspieler anläuft macht in keiner Welt Sinn. Moukoko ist hier deutlich besser und bringt sich auch mehr ins Spiel ein als Modeste.
Dazu hat keinerlei Reaktion auf die beschriebene Überlagerung von Werder stattgefunden. Man hätte ja selber auch auf ein 3-4-3 bzw. 5-3-2 umstellen können. Can kann ja als RIV in einer Fünferkette spielen und auf der Bank hatte man noch Özcan, der neben Bellingham im ZM hätte agieren können. Auf diese Art hätte man den Bremern einen Vorteil genommen, aber es erfolgte keinerlei Anpassung an das was Bremen gemacht hat, mit Ausnahme der personellen Wechsel.
Das große Ganze:
Hierzu hatte ich ja in der Vergangenheit schon häufig geschrieben, dass der Kader unausgewogen ist und schlecht zusammengestellt ist. Dies hat sich nach wie vor nicht geändert. Es fehlt ein wirklicher Sechser, es fehlen Außenverteidiger, es fehlen Flügelspieler, die man in Terzics System wirklich braucht. Ob Malen und Adeyemi in diese Rolle reinwachsen wird man sehen. Modeste hat zwei erschreckende Spiele für den BVB abgeliefert.
Dazu trägt man nach wie vor Spieler mit sich herum, die man in der Vergangenheit für viel Geld geholt hat, sportlich diesen Wert keineswegs rechtfertigen, man Sie jedoch nicht abgeben kann, da diese (logischerweise) keine Gehaltseinbuße hinnehmen wollen. Die Menge dieser Spieler ist nach wie vor erschreckend. Hier tummeln sich Meunier, Wolf, Can, Brandt, Hazard.
Ebenfalls erschreckend ist auch schon wieder die Verletzungsliste. Im Sommer hat man hier Personalien getauscht um genau dieses Problem, insbesondere muskuläre Verletzungen, nicht mehr zu haben. Gestern konnten vier Spieler (Süle, Özcan, Adeyemi und Malen), die in der ersten Elf angedacht sind, verletzungsbedingt nicht spielen bzw. starten auf Grund von Verletzungen.
Nun kommen zu diesen bereits etablierten Punkten zumindest bei mir noch erhebliche Zweifel am Coachingteam hinzu. Bisher konnte man keine Idee sehen, die Terzic dem Team offensiv mitgeben will. In allen Spielen war das bisher eigentlich nur die Überlagerung einer Seite und dann auf die individuelle Klasse hoffen. Dazu fehlen Anpassungen im Spiel, die zwingend wären. Es mag an mir liegen, aber Terzic gibt mir leichte Peter Bosz Vibes unter dem man erst viele Spiele (wenn auch glücklich) gewonnen hat und dann irgendwann kein Glück mehr hatte und die Gegner auch besser vorbereitet waren und eine Niederlagenserie folgte.