Mir fällt es schwer, die Länge der Sperre zu bewerten, weil man hier in meinen Augen zwischen subjektivem Gerechtigkeitsempfinden einerseits und sportrechtliche Regeln andererseits differenzieren muss.
Zum Gerechtigkeitsempfinden: Hier empfinde ich drei Spiele Sperre als (deutlich) zu wenig. Wir haben hier drei Handlungen, von denen jede für sich genommen schon eine Rote Karte (und damit mindestens ein Spiel Sperre) rechtfertigt. Bjelica verzögert zuerst das Spiel, indem er den Ball zurückhält. Das alleine rechtfertigt bei einem Teamoffiziellen schon eine Rote Karte:
„Des Feldes verwiesen wird ein Teamoffizieller u. a. bei folgenden Vergehen:
Verzögerung der Spielfortsetzung durch das gegnerische Team (z. B. durch Nichtfreigabe des Balls, Wegspielen des Balls, Behinderung der Bewegung eines Spielers)“
Dabei ist der Regeltext schon recht weitgehen, weshalb es Handlungsempfehlungen gibt, die die Bundesliga-SR erarbeitet haben. Für den DFB finde ich das jetzt leider aktuell nicht, für Bayern ist aber veröffentlicht, was die Vorgaben sind (Quelle). Dort heißt es „Bei einem deutlich störenden und provozierenden Eingriff in das Spiel ist ein Feldverweis angebracht (zum Beispiel Auslösung eines Konfliktes / einer Rudelbildung). Dies gilt auch bei einer deutlichen Wirkung im Spielvorgang (z.B. Wegspielen des Balles, als ein gegnerischer Spieler den
Ball zur Spielfortsetzung gerade aufnehmen will. Hier haben Teamoffizielle eine klare Vorbildfunktion.“ Ich meine, im Kopf zu haben, dass die Empfehlungen aus der Bundesliga zumindest ähnlich sind. An einem deutlich provozierendem Eingriff kann man hier in meinen Augen nicht wirklich zweifeln. Schon das Zurückhalten des Balls ist also schon rotwürdig. Dazu kommen dann noch die zwei Griffe ins Gesicht, die entweder als Tätlichkeit oder doch zumindest als „physisches oder aggressives Verhalten (einschliesslich Spucken oder Beissen) gegenüber gegnerischen Spielern“ (Regel 12) zu bewerten sind. Ich wäre bei einer (minder schweren, da keine hohe Intensität) Tätlichkeit. Das heißt, rein für die Aktion selbst wäre ich bei einem Spieler bei drei oder vier Spielen Sperre. Bezieht man noch die höhere Vorbildfunktion von Trainern ein, wäre ich bei mindestens fünf Spielen Sperre.
Dazu kommt aber auch noch das Nachtatverhalten, in dem er die Schuld auf Sané abwälzt, weil der ja angeblich seine Zone nicht betreten dürfe, um den Ball zu holen. Doch das ist schon einmal faktisch falsch: Die Videobilder von der Tribüne aus (u.a. bei Ransport auf Instagram) zeigen eindeutig, dass Sané die Coaching Zone von Union gar nicht betritt, sondern Bjelica vielmehr die Coaching Zone verlässt, um den Ball direkt neben der Kamera-Bande aufzunehmen. Ganz davon abgesehen wäre es aber auch sonst Unsinn: Natürlich darf ein Spieler die Coaching Zone betreten, um den Ball zu holen. Die Mannschaft, die die Spielfortsetzung hat, hat das Recht auf den Ball, die andere Mannschaft gerade kein Recht auf Ballbesitz, wie in DFB-Schiedsrichterzeitung 2/2023 (Situation 5) mittlerweile für das „Aus dem Netz Holen“ klargestellt wurde. Ich sehe keinen Grund, warum man das hier nicht übertragen könnte. Dazu kommt noch, dass er Sané einen Schubser vor dem ersten Griff unterstellt hat, den es schlicht nicht gab, Sané greift nur nach dem Ball, der ihm auch zusteht. Diese falschen Unterstellungen und die fehlende Einsicht würde ich gerne strafschärfend berücksichtigt sehen, sodass ich nach meinem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden bei ca. sieben Spielen Sperre (davon ca. zwei auf Bewährung) wäre.
Die Vergleiche zu Norbert Meier finde ich dagegen nicht angebracht. Natürlich liegt es auf der Hand daran zu denken, weil es um einen Aktion eines Trainers gegen einen Spieler geht. Aber darüber hinaus habe ich keine größeren Gemeinsamkeiten der beiden Szenen gegeben. Bei Meier war es ein (leichter) Kopfstoß, hier waren es zwei (gering- bis mittelintensive) Griffe ins Gesicht. Und bei Meier war in meinen Augen der größte Punkt für den Skandal, dass er anschließend selbst einen Kopfstoß simuliert und damit auch noch eine Rote Karte gegen Streit herbeigeführt hat. Mein Take ist: Ohne die Schauspieleinlage, wäre Meier also nach seinem Kopfstoß stehen geblieben, hätte es keinen so großen öffentlichen Aufschrei gegeben, Meier wäre nicht einmal ein Monat gesperrt und dann auch nicht entlassen worden. Dieser Faktor der Schauspielerei fehlt bei Bjelica aber komplett.
Die zweite Dimension ist aber die sportrechtliche und ich muss sagen, da tue ich mir mit meinem Gerechtigkeitsempfinden schwer: Die Rechtsgrundlage ist nämlich ziemlich unbefriedigend, da sie sich aus § 13 Zf. 2 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 RuVO DFB in Verbindung mit § 33 Nr. 3 c), d) Ausbildungsordnung DFB ergibt und ein Aufenthaltsverbot von bis zu fünf Spielen oder eine Sperre (= befristetes Verbot zur Ausübung der Trainertätigkeit - das schließt als auch Training etc. ein) bis zu zwei Jahren nach sich zieht. Das ist aus zwei Gründen problematisch: Erstens fehlt eine ausdifferenzierte Regelung für einzelne Vergehen wie in § 8 RuVO DFB für Spieler und zweiten gibt es keine Möglichkeit einer längeren Sperre, die kein vollständiges Berufsverbot nach sich zieht. Ein gesperrter Spieler wird ja nur für Wettbewerbsspiele gesperrt; bei Trainern gilt das für die komplette Tätigkeit. Dass das Sportgericht bei einem Rotvergehen, das nicht in die Größenordnung von Rassismus o.ä. geht, ein solches umfassendes Tätigkeitsverbot nicht verhängt, finde ich überzeugend (auch vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit, die den DFB als Monopolverband ebenfalls bindet). Wenn es in § 33 Nr. 3 c) Ausbildungsordung ist, hat es aber nur maximal fünf Spiele zur Verfügung. Dabei muss aber dann auch Raum für schwerere Vergehen sein - was wäre, wenn Bjelica Sané zum Beispiel eine Ohrfeige oder gar einen Faustschlag gegeben hätte? Von daher kann ich die drei Spiele auf Grundlage der Regularien nachvollziehen. Allerdings sind die Regularien das Problem. Und da muss der DFB in meinen Augen ran. Er hat es versäumt, die Einführung der Platzverweise gegen Teamoffizielle zum Anlass zu nehmen, eine dem § 8 RuVO DFB nachgebildete Regelung auch für Teamoffizielle zu schaffen. Und das ist jetzt das Problem, warum Tätlichkeiten durch Trainer nicht angemessen sanktioniert werden. Vielleicht muss aber Chaled Nahar erst einen Artikel dazu schreiben, damit der DFB aufwacht…
Edit: Ich bitte um Entschuldigung, der Beitrag ist etwas länger geworden als gedacht - aber wenn nicht beim Rasenfunk, wo dann?