Ich habe letzte oder vorletzte Saison einen Classico gesehen. Da hat man die Effekte sinnvoll eingebettet und mir tatsächlich einen Mehrwert mitgegeben. Das scheint aber ein Classico-Ding gewesen zu sein und kein LaLiga-Ding.
@wechselgeruecht Sehr spannendes Essay, danke dafür.
Ich würde allerdings ein wenig widersprechen bzw. ergänzen: Ich bin gerade bei Niederlande gegen Deutschland nach rund 35 Minuten in den 2.Audiokanal gewechselt, obwohl mit Kathrin Lehmann eine sehr angenehme Co-Kommentatorin dabei war - der Hauptkommentator hat aber vorwiegend genervt und fast die ganze Zeit geredet. Dabei ist die andere Tonspur eigentlich sogar anstrengender, weil naturgemäß die ganze Zeit jeder Bildausschnitt beschrieben werden muss.
Was war der Unterschied? Der zweite Tonkanal war sachlicher und informierter. Durch den Zeitdruck mussten die Kommentatoren präziser in ihren Beschreibungen sein und haben dadurch über Verb- und Adjektivauswahl immer wieder eine kleine zeitnahe Analyse mitgegeben und die eingestreuten Hintergrundinformationen mit Bedacht ausgewählt.
In meinen Augen ist die Narration und Zuspitzung von Konflikten nämlich gar nicht wirklich Mittel, um die emotionale Involviertheit zu steigern, sondern sie sind Hilfsmittel (so eingesetzt wie im Essay beschrieben), um das Spiel in seiner Komplexität zu verstehen. Diese Themensetzung als emotionale Klammer kann sich auch abnutzen und kann dann durch das Narrativ in die Irre führen. So wird in Deutschland gerne so ein Thema nach dem Motto Wille/Mentalität vs. Struktur (oder meistens weniger analytisch gute Form) aufgemacht und geht dann oft an der Entwicklung auf dem Platz vorbei. Viele deutsche Kommentatoren überstrapazieren das Thema dann einfach, sodass es nervt (wobei DAZN das insgesamt besser macht als z.Bsp. die Öffentlich-Rechtlichen).
Insofern halte ich den weniger emotionalisierenden Ansatz durchaus auch für zielführend, denn die ‚Geschichte‘ des Spiels entsteht weniger durch die Narration an sich als durch das Verstehen des Kontextes - genau das leistet bei der BBC die übergreifende Narration.
Um den Kontext zu verstehen, muss die Narration aber nicht thematisch derart übergreifend sein, wie bei der BBC. Das kann auch analytischer bzw. klinischer sein, der Zuschauer denkt sich trotzdem seinen Teil und vergleicht das mit seiner eigenen aktuellen Erfahrung.
Nur können deutsche Sportjournalisten auch das oft nicht sonderlich gut (Rethy und Barthels sind da gute Beispiele). Rethys Vergangenheitsfixierung (und nicht nur seine) kommt daher, dass er zwar antizipieren als Wort mag, aber es selber nicht kann. Analytische Fähigkeiten sind nicht gut ausgebildet und dazu stimmt das Timing oft nicht. Beispiel von der Nations League der Frauen: Almuth Schult erklärt gerade analytisch und treffend, was die Französinnen und die Deutschen machen; es kommt zu einem schnellen Umschaltmoment und der Reporter unterbricht sie. Die Chance bringt nichts ein, aber anstatt den Faden wieder aufzunehmen oder die Situation darin einzubauen quatscht der Kommentator weiter (evtl. hat er ihr schlicht nicht zugehört). Das kann man als mangelnde Narration werten, aber in erster Linie wirkte es wie nicht-Können des eigenen journalistischen Handwerkszeugs. Anderes Beispiel - Niederlande gegen Deutschland - der Hauptkommentator erzählt, dass die Niederländer die rechte Seite überladen würden. Nur ist das in dem Moment nicht nur nicht zu sehen, er macht dann auch nichts mit dieser Information.
Dazu zeichnen sich deutsche Reporter oft durch mangelndes Wissen aus, sodass sie dann die Zeit mit Psychologisieren, Statistikenrunterrattern und Klischées füllen. Dadurch können sie aber weder eine nüchterne Analyse noch eine Narration sinnvoll befüllen. Platt gesagt: Barthels und Co. wissen gar nicht, wie die Mannschaften in Form sind, was für Spielertypen auf dem Platz stehen oder wie Taktik tatsächlich funktioniert.
Ganz sicher ins Schwarze trifft der Text aber, wenn er die platten Botschaften als Kernelement herausstellt. Das hat auch einiges mit dem gesellschaftlichen Klima zu tun und mit der bereits existenten Narration: Bei deutschen A-Männerspielen wird das Spiel in den letzten Jahren gerne als Befreiungsschlag oder Blamage gesehen, weil man immer an den bisherigen Zustand anknüpft. Ich vermute aber, dass die meisten Kommentatoren auch schlicht nicht in der Lage sind zu sehen, was vielleicht doch funktioniert hat oder was (immer) noch problematisch ist.