Tribünengespräch 31 – Fußballkultur 2.0

Die von mir geführte Podiumsdiskussion zu Fußballkultur vom 11mm-Fußballfilmfestival hat es in den Rasenfunk geschafft. Gäste waren Katharina Dahme (@dahmokles) und Marvin Ronsdorf (@Marvin_Ronsdorf) sowie die Teilnehmer*innen im Publikum vor Ort. Bin gespannt auf euer Feedback!

Ganz durch bin ich noch nicht, aber ich schreib schon mal paar spontane Gedanken auf, wie ich persönlich Fußball konsumiere, sonst vergess ich’s.

Interessante Diskussion auf jeden Fall.

Mit meinen knapp 28 dürften mich manche zur jüngeren Generation Fans zählen, manche schon nicht mehr. Stadiongänger war ich noch nie, das letzte mal als ich im Stadion war, das war irgendein Bayernspiel im Olympiastadion. Ich schau lieber in Ruhe am Bildschirm, da hab ich guten Überblick und keinen Stress. (Dazu spart man nen Haufen Geld) Bratwurst und Bier sind eh nicht die gesündeste Verpflegung. (Dem eine oder anderen werden sich hier die Haare kräuseln) Um nicht zu vergessen, dass ich die Bewegung der sogenannten Ultras sehr kritisch sehe und unsympathisch finde.

Es ist definitiv so, dass ich Fußball anders konsumiere, als dieses überromantisierte 15.30+Sportschau-Bild. Für mich ist die Vorstellung mittlerweile völlig absurd, mich Samstags 18.30 vom Termin einer (schlechtkommentierten) Fernsehsendung diktieren zu lassen. Es sind es nur Highlight-Clips, die will ich zeitgemäß online verfügbar haben wann ich Lust darauf hab. Auch sehr beliebt: Diese 10-20 Sekunden Highlightclips, wie man sie auf reddit oder Twitter findet.
Und auch der so beliebte Anstoßtermin 15.30 gibt mir ehrlich gesagt eher wenig. Das ist mitten am Nachmittag und zerschneidet mir nur meinen Tag. (Wie gesagt, ich geh selbst nicht ins Stadion). Mir sind Spiele am Abend sogar lieber und Nachmittags mach ich dann lieber selbst Sport (oder was auch immer).

Profifußball ist für mich eine Unterhaltungsindustrie, ähnlich wie z.B. die Filmindustrie. (Mit zugegeben etwas mehr emotionalem Investment)

Witzig find ich hier im Gespräch auch wieder die oft angesprochene Kritik an den Ticketpreisen in England. Der FC Bayern steht englischen Klubs in nichts nach, ist oft sogar teurer, wenn man das vergleicht.

Mit eSports kann man mich persönlich dagegen wenig locken, zum Anschauen find ich das relativ langweilig.

Insgesamt wird mir bei der Diskussion um “Fußballkultur” zu viel von einer “guten alten Zeit” romantisiert. Vor allem von Magazinen wie 11 Freunde, die es in manchen Artikeln sogar schaffen, Gewalt zu romantisieren. Früher waren die Stadien halb leer und es gab Hooligans. Auch “Fußballkultur” darf sich verändern und muss nicht ewig auf dem Stand von Anno Dazumal stehen bleiben, nur weil es irgendwer zu Tradition erklärt.

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Eigentlich eine sehr interessante Folge mit einem immens großen Diskussionsthema. Eigentlich, weil NATÜRLICH die Zeit viel zu knapp war, um die Diskussion richtig in Gang zu bringen. Gerade als es etwas kontroverser wurde, war schon bald wieder Schluss. Die Gäste waren gut gewählt, da unterschiedliche Perspektiven auf der Tribüne saßen…plus die Publikumsfragen und Einwürfe des 11mm-Herren (dessen Name mir gerade entfallen ist).

Ich kann dieses Gefühl von “wie bekommen wir bloß die jungen Hüpfer ins Stadion?”, so wie es Marvin (ich duze einfach mal) darlegt, auch nicht nachvollziehen. Bin jetzt bei Weitem kein typischer Stadiongänger (2-3 Mal die Saison), aber finde, dass es durchaus sehr viele Kinder im Schulalter auf den Tribünen gibt.
Und ja, die romantische Vereins-Identifikation wird weniger…sehe ich genauso. Fußball wird mehr und mehr für seinen Zirkus aber auch für seine Ästhetik geliebt. Aber generell würde ich da extrem vorsichtig sein, da sich die Bilder in den Stadien garantiert drastisch voneinander unterscheiden.
Steile These: Ich bin ein 2000er und wachse in Berlin auf. Ich bin ein 2000er und wachse in Jena auf. Die Art wie Fußball (bei vorausgesetztem Interesse am Sport) konsumiert wird, könnte recht unterschiedlich ausfallen.

Fand es dennoch erstaunlich, gerade als auf den Punkt “Event-Charakter” eingegangen wurde, keiner auf die Ultràs hingewiesen hat. Sie leisten ja nicht nur innerhalb ihrer Gruppierungen eine gewisse Jugendarbeit, sondern sind ja - bei einer gesunden Kultur - auch maßgeblich für das Event “Fußballspiel” mitverantwortlich. Da geht es auch nicht nur um das Stadionerlebnis selbst, das dank Fahnen, Banner, Choreos und lautstarken Gesängen (ich lass mal Pyro und Rauch bewusst weg) stark von ihnen stark geprägt wird, sondern auch um weiteren Medienkonsum: Vereine nutzen genau diese positiven Bilder (und natürlich auch nur die), um die Nutzer auf den sozialen Kanälen mit geilen Bildern zu unterhalten und zu binden. Auch beeinflusst ja vermutlich das Bild eines jungen Menschen, das er oder sie vom Verein gewinnt. Gerade, wenn man eher aus einer fußballtoten Region kommt.

Noch ein anderer Punkt:

Fußball ist unter jungen Leuten vielmehr zum Lifestyle geworden und hat den Rahmen “Sport” ein ganzes Stück verlassen. Klamotten, Gaming, soziale Medien, Youtube - Fußball findet noch stärker ind er Alltagskultur statt. Es geht jetzt nicht mehr nur um Stadion/Radio hören/Sportschau gucken und am nächsten Tag über die letzten Spiele reden, sondern Fußball ist zum Lifestyle geworden. Vereine sehen sich als Marke, Spieler stellen sich als Marke dar. Und das färbt natürlich auch auf die gelebte Kultur der jungen (und auch alten) Fußballfans ab.

Vereine und Spieler wollen nicht mehr nur, dass man sie toll findet und supportet, sondern dass man sie exzessiv konsumiert. Maximale Markenbindung, eine echte “love brand” erschaffen.

Das hat sie ja schon lange. Die, die noch das Bild früherer Tage hoch halten, werden sowieso eher weniger.

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Sehr interessante Diskussion.
Ich gehöre mit 18 Jahren wohl zu den jüngeren Fans, habe aber ,glaube ich, eher eine traditionelle Auffassung von Fußball. Ich bin zwar kein regelmäßiger Stadiongänger, was aber vor allem damit zusammenhängt, dass ich mehrere Stunden entfernt von meinem Lieblingsverein lebe, aber immer wenn ich im Stadion bin, regt mich die stetige Eventisierung auf, genauso wie über viele andere Entwicklungen des modernen Fußballs. Die Zerstückelung des Spieltags ist als Fan sicherlich kritisch zu sehen, als Nicht-Stadiongänger ist es aber großartig für mich. Ich kann am Wochenende bis zu 10 Spiele schauen und in der gesamten Woche schaue ich so um die 20 Spiele. Dabei setze ich die verschiedensten Schwerpunkte. Ich schaue mir immer meinen Lieblingsverein an und bin emotional voll dabei. Gleichzeitig interessiere ich mich aber auch für Taktik und schaue dementsprechend gerne taktisch interessante Mannschaften aus den verschiedensten Ligen sowie immer wieder auch unterklassige oder U-Mannschaften, um Talente zu beobachten. Die Entwicklung in der Verfügbarkeit von Fußballspielen hat sich meiner persönlichen Wahrnehmung nach enorm verändert/verbessert. Vor ein paar Jahren konnte man sich die Bundesliga über Sky anschauen und das war es gefühlt auch schon. Hatte man kein Sky musste man auf die Sportschau warten. Mittlerweile gibt es Plattformen wie DAZN, auf denen man eine Vielzahl von Spielen sehen kann. Gleichzeitig kann man aber auch über Youtube die 2. spanische oder die russiche Liga sehen. Davon konnte man vor ein paar Jahren nur träumen. Über mehr oder weniger legale Internetseiten kann man mittlerweile praktisch jedes Spiel sehen. Das hat, wie ich glaube, einen riesigen Einfluss darauf, wie Fußball wahrgenommen wird. Es wird in Deutschland nicht mehr nur über die Bundesliga geredet, sondern genauso gerne über die anderen Ligen, weil man diese viel einfacher verfolgen kann. Die digitale Entwicklung hat die Wahrnehmung von Fußball entscheidend beeinflusst und wird dies wohl auch weiterhin tun.
Das prägnanteste Beispiel hierfür ist das Smartphone. Als ich großgeworden bin (ich bin Jahrgang 2000) gab es dieses noch nicht. Wollte man sich über Fußball außerhalb Deutschlands informieren, musste man darauf hoffen, dass auf der letzten Seite des Kicker die Tabellen und Ergebnisse des letzten Spieltags abgedruckt wurden und viel mehr gab es nicht. Fußballblogs oder ähnliches, die sich mit diesen Themen beschäftigen, kannte man damals einfach nicht. In unserer Freizeit haben wir fast immer Fußball gespielt, ob im Garten oder auf dem Bolzplatz. Im Alter von ca. 12,13,14 Jahren haben dann die meisten unserer Altersklasse ihr erstes Smartphone erhalten. Auf einmal kam man viel schneller und einfacher an Informationen und konnte sich vor allem auch einfacher mit Freunden verständigen. Soweit ich das beurteilen kann, hat das Smartphone für die Jahrgänge rund um 2000 nicht den größten Einfluss gehabt. Besonders in jüngeren Jahrgängen (so ab 20003/04) ist dieser Einfluss aber riesig. Das kann man durchaus kritisch sehen, beispielsweise, wenn durch soziale Netzwerke wie (vor allem) Instagram fragwürdige Werte vermittelt werden. Aber auch auf den Fußball wirkte sich das aus. Für viele aus meiner Altersklasse ist das erste Erlebnis mit Fußball wohl, dass der Vater einen mit zum Dorfklub oder ins Stadion nimmt. Mittlerweile kommen Kinder aber bereits in jungem Alter ganz anders mit Fußball in Kontakt. Fußballer werden teils über soziale Netzwerke kennengelernt anstelle über den Fußballplatz. Das sorgt wieder für ganz neue Probleme. So wird von den Spielern selber nur ihre beste Seite gezeigt. Hier kann man zum Beispiel den Steuersünder und mutmaßlichen Vergewaltiger Christiano Ronaldo anführen. Es fällt zudem viel einfacher, junge Menschen zu politisieren (Stichwort: Filterblase), wobei das auch wieder ein anderes Thema ist. Worauf ich damit hinaus will: Es wurde auch in dieser Diskussion angesprochen, dass Vereine immer noch Nachwuchs bekommen. Zumindest in meiner persönlichen Wahrnehmung bin ich mir da nicht ganz so sicher. Müsste sich ein 10-Jähriger entscheiden, was er sich lieber anschauen würde, Barcelona mit seinem großen Idol Lionel Messi oder den Verein aus der Region, der in der 3. Liga im Abstiegskampf steckt, entscheidet er sich sicher für Barca und Messi. Der Personenkult hat durch Social Media und Co. nochmal erheblich zugenommen. Noch ein letzter Punkt: Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass junge Menschen nicht mehr so viel Zeit draußen verbringen, wie ich in meiner Jugend. Vielleicht habe ich da auch nicht das akkurateste Bild, aber wir mussten uns haben uns häufig getroffen, da dies eine der wenigen Möglichkeiten war, außerhalb der Schule miteinander zu kommunizieren. Oft kam man dann auch zum Fußballspielen. In der heutigen Zeit findet der soziale Kontakt oft per WhatsApp statt. Das hat die Kommunikation sicherlich einfacher gemacht, der direkte soziale Kontakt hat dadurch aber definitiv nachgelassen (nicht nur in der angesprochenen Altersklasse). Junge Menschen können sich so zwar immer noch über Fußball austauschen, aber das Fußballspielen an sich, kommt vielleicht teils etwas kurz. Damit einhergehend las auch die Zahl der Spieler in den U-Mannschaften meines Dorfklubs stetig nach, wobei das auch andere Gründe haben kann (Urbanisierung, etc.). Es wird ja gerne über die Millennial-Generation gesprochen, dabei unterscheiden sich die Jahrgänge 1998-2002 gar nicht so sehr von denen davor (besonders wenn man davon ausgeht, dass hier immer eine natürliche Abweichung vorhanden ist). Die “Generation Smartphone” (klingt leider schrecklich nach Bild-Zeitung, mir fällt aber nichts besseres ein), die bereits im jungen Alter mit Smartphone aufwuchsen, unterscheiden sich dann nochmal elementar von meiner Altersklasse. Ich bin gespannt, wie sich diese Generation weiterentwickelt und wie diese Fußball auffasst.

All diese Gedanken sind natürlich aus meiner eigenen Sicht und vielleicht tue ich damit der angesprochenen Generation etwas Unrecht. Ich versuche hier nur zu dokumentieren, was ich selber, vor allem in der Schule, immer wieder erlebt habe.

Noch ein kleiner Abschnitt zu FIFA (dem Spiel):
FIFA ist meinem Empfinden nach sehr wichtig dabei, wie junge Menschen Fußball wahrnehmen. Ich selber habe seit 2014 FIFA gespielt (vermutlich etwas zu viel), tue dies aber mittlerweile nicht mehr, was grundsätzlich daran liegt, das ich mich mehr für das “richtige” Spiel interessiere und das Gameplay echt schlecht ist, was auch häufig von professionellen Spieler kritisiert wird. Heutzutage sieht man viele Kinder/ Jugendliche, die mehr FIFA spielen als Fußball schauen oder spielen. Somit ist FIFA auch eine wichtige Informationsquelle, um sich über Fußball zu informieren. Hat ein Spieler einen besonders guten Abschluss im Spiel, wird das gleiche auch im “Real Life” erwartet. Wie von euch auch angesprochen, hat das besonders für Talente einen interessanten Effekt. Sobald ein Spieler in FIFA einen hohen Potenzial-Wert wird er unfassbar hochgehyped. Man erwartet wie im Spiel perfekte Karriereentwicklungen, die so aber kaum zu verwirklichen sind. Manche Spieler kennt man nur aus FIFA, hat sie aber noch nie wirklich spielen sehen. Ich selber habe beispielsweise Mbappe oder Renato Sanches erst durch FIFA kennengelernt (wobei sie zu dem Zeitpunkt auch erst ein paar Spiele in der ersten Mannschaft absolviert hatten). Spieler werden tatsächlich immer wieder anhand ihrer FIFA-Werte bewertet. Das mag absurd klingen, ist aber durchaus logisch. Ein Kind von 12 Jahren wird sehr wahrscheinlich noch nie Hirving Lozano gesehen haben. Hat er aber in FIFA eine sehr gute Karte, mit der man vielleicht sogar selber spielt, hat das einen interessanten Effekt auf die Wahrnehmung eines Spielers. Retrospektiv fiel mir zuletzt auf, dass ich eine Sympathie für Spieler entwickelt habe, die mir auch im Spiel gefielen. FIFA ist dabei sicherlich auch ein Weg Fans zu gewinnen. Um es auf den Punkt zu bringen: FIFA trägt maßgeblich dazu bei, wie junge Menschen den Fußball und vor allem einzelne Spieler auffassen.

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Ich finde, dass die Fußballkultur nicht “die” Kultur ist, sondern die nationale Ausprägung einer Rezeption.

In Spanien herrscht eine andere Kultur, krass andere Kultur, vor, obwohl das Spiel dasselbe ist.
Ähnliches gilt für andere Länder.

Fußball ist ein Massenphänomen und damit extrem heterogen.

Kultur ist schon ein “großes” Wort. Wir werden uns ja noch nicht einmal beim Begriff “Fan” einig.

Wer ist ein Fan?! Was macht einen Fan aus?! Gibt es gute und bessere Fans?!

Fußball ist, was es ist…
Ein nicht greifbares Massenphänomen.

Für mich ist diese Folge super, die Podiumsdiskussion sehr spannend und die Beiträge aller Beteiligten, einschliesslich derer aus dem Publikum wirklich interessant. Es wurden soviele verschiedene Blickwinkel angesprochen, dass die Zeit für eine erschöpfende Diskussion einfach nicht ausreicht. Deshalb möchte ich noch ein paar Bemerkungen loswerden.

Mir ist bewusst geworden, wie viele unterschiedliche Formen es heute gibt, in denen Fussball heute konsumiert werden kann. Als ich fußballerisch sozialisiert wurde, gab es sämtliche Bundesligaspiele samstags um 15:30 und im Fernsehen drei Programme. Für mich ist das Stadionerlebnis ganz zentral, und das hat nichts mit Romantik zu tun, sondern ist ganz einfach der Kern meiner persönlichen Weise Fussball zu konsumieren. Für mich geht das nur am Wochenende, weil ich wochentags schnöder Lohnarbeit nachgehen muss. Die Spieltagszerstückelung nervt mich also nicht aus Gründen der Romantik, sondern weil sie ausschliesslich der besseren Vermarktung halber vorgenommen wurde.

Ich finde es grundsätzlich gut, dass es heute möglich ist, Fussball auch ganz anders zu konsumieren und dass eben jede und jeder die eigene Form wählen kann. Statt Fussballkultur 2.0 fände ich es hier besser von der Vielfalt der Fussballkulturen zu sprechen. Dass diese Formen ständig gegeneinander gestellt und allgemein bewertet werden, gefällt mir nämlich nicht.

Eine solche Debatte gibt es auch im Stadion, wo die in der Kurve sich von den Eventies meinen abgrenzen zu müssen, als ob es bessere und weniger gute Stadiongänger gäbe. Das halte ich für Unfug.

Besser gefällt mir heute zum Beispiel, dass ich mich viel differenzierter mit Taktikfragen beschäftigen kann, zum einen weil der Fussball in dieser Hinsicht auch mehr hergibt und zum anderen, weil es Angebote wie z.B. Spielverlagerung gibt. Das bereichert meine Form des Konsums. Dazu gehören auch Fussball-Podcasts.

Ich hätte wirklich mal die Frage, ob Du, @GNetzer, mit dieser Podiumsdiskussion als Tribünengespräch im Nachhinein selbst zufrieden bist?!
Natürlich ist das Feld der Fußballkultur ein riesengroßes und erschöpfend diskutieren wird man dieses Thema wohl nie. Letztendlich finde ich es aber mehr als bezeichnend, dass nicht einmal das Thema auf die Ultras gefallen ist. Diese sind doch gegenwärtig die Speerspitze derer, die versuchen der Eventisierung Einhalt zu gebieten und damit gegenwärtig auch wichtige Achtungserfolge erzielen konnten. Schade, dass die Teilnehmerin von Babelsberg 03 über die Abschaffung der Montagsspiele einfach hinweg gegangen ist und in diesem Zusammenhang die Abschaffung der Kollektivbestrafung kompletter Zuschauerschaften eines Vereins gar nicht erst erwähnte.
Gerade die Ultras sind es doch, die über Jahrzehnte gewachsene Aspekte von Fußball- und Fankultur versuchen zu erhalten.
In meinen Augen hatte diese Diskussion ein Grundproblem, dass schon in der Zusammensetzung der Gesprächsrunde bestand: ihr habt lang und breit darüber diskutiert, wie gerade die junge Generation an den Fußball gebunden werden kann. Hätte es gerade für diese Frage nicht jemanden aus einer Ultraszene gebraucht? Wir sprechen hier schließlich von der größten Jugendsubkultur des Landes und gerade in den aktiven Fanszenen gibt es auch keine Nachwuchsprobleme.
Meiner Meinung nach muss gerade so eine Stimme bei den besprochenen Punkten gehört werden und vielleicht ist das ja auch ein Anknüpfungspunkt für ein späteres Tribünengespräch.

Ha, ha. Entschuldige, das soll nicht böse gemeint sein, aber ich finde diese Äußerung von jemandem Jg. 2000 so lustig, weil das viele meiner Kolleg_innen immer über alle Jugendlichen behaupten (die sind in der Regel so Jahrgang 55-69) und es schon in meiner Jugend (Jg,. 82) immer über uns gesagt wurde. Das Problem ist die Ungenauigkeit unserer Wahrnehmung und unseres Erinnerns. Es gibt das schöne ich glaube Xenophon Zitat aus dem 3. Jh. v. Chr. in dem er sich über (echt jetzt) “Die Jugend von heute” aufregt. Das ist ein Klassiker, der einfach sehr viel mit Eigen- und Fremdwahrnehmung zu tun hat und bei dem wir immer aufpassen müssen.
Als Lehrer höre ich bspw. immer wie viel dümmer die Schüler_innen heute als damals sind, da sind sich alle Kolleg_innen einig, nur sind die “Schüler_innen von früher” für die einen die, die sie in den 80ern unterrichtet haben und für andere die, die sie vor 6 Jahren unterrichtet haben!

So genug Weißheit des alten Mannes, zum Thema. Nette Diskussion, viele Standpunkte, schließe mich vielen Vorrednern an. Ich habe aber mit der Debatte immer wieder ein grundlegendes Problem und hau das hier jetzt mal raus:
Wer hat eigentlich die in Stein gemeißelte Prämisse aufgestellt, dass Kommerzialisierung per se schlecht ist?
Ich finde es einfach merkwürdig, dass in all den Diskussionen dieser Umstand wie ein Naturgesetz angewendet wird, das gar nicht Teil der Debatte sein kann. Die Chancen von Kommerzialisierung werden nie benannt und der Umstand, dass Sport als kommerzialisierter Gegenstand schon viele viele Jahre existiert irgnoriert und die problematischen Implikationen der Überhöhung von Amateurismus ausgeblendet. Anyone?

Als die Diskussion am Ende dran kam und viele über “früher” redeten, dachte ich dass dies ja auch die Krux an der Sache ist. Ein Wortmelder zitierte passenderweise auch Christian Streich, der neulich in einem Interview auch passenderweise sagte, dass die ältere Generation einen großen Teil dazu beiträgt wieso der Status Quo der Jugendlichen überhaupt so ist, wie er ist. Und das passt auch auf die Diskussion zur Fußballkultur.

Wenn über die Good Old Times geredet wird, dann reden wir auch über eine Zeit in der auch viel mehr gemacht werden durfte, oder dies zumindest mehr toleriert und ignoriert wurde. Vieles was an Anekdoten erzählt wurde kann man sich heute gar nicht mehr erlauben oder sind einfach nicht mehr möglich. Ich musste häufig an die Geschichten von meinem Dad denken, der in den 70ern/frühern 80ern häufig vom Bodensee nach München ins Stadion gefahren sind um den FC Bayern zu schauen. Vieles was mit einem Lacher erzählt wurde, würde in den heutigen Medien tagelange Shitstorms auslösen. Dazu kam noch eine vollkommen andere Nähe von Verein/Spielern zu den Fans. Diese Geschichten prägten aber eine ganze Generation von Fußballfans. Heute existiert ein anderes Verhältnis, das merkt man immer wieder dann wenn Erwartungen an Spieler und Vereine wieder bitter enttäuscht werden, aber eigentlich vollkommene Normalität sind.

Heute sind die Fans von damals diejenigen die zwar damals auch Rambazamba gemacht haben, heute aber lieber in verhältnismäßiger Ruhe ihr Spiel angucken wollen. Die junge Generation erschafft sich ja ihr eigenes Narrativ von Fußballkultur, als deutlichstes Beispiel die Ultras als eine Form der Unterstützung die im deutschen Fußball noch relativ jung ist und die alten Kuttenträger, Hooligans etc. weitestgehend abgelöst haben. Dagegen noch die unglaublich intensivere Medienberichterstattung über alles was im Zusammenhang mit den Kurven passiert. Ich möchte jetzt nicht manche Taten verhamlosen, da war ziemlich viel Mist dabei und Dinge die einfach Null mit dem Fußball zu tun haben. Aber manche Debatten werden mit einer Härte geführt, die jeder Verhältnismäßigkeit widerspricht und der Fußballkultur als ganzes schadet. Wer manch andere Podcasts hört weiss dass dies immer mal wieder Thema ist (Grüße an den Eintracht Podcast und drei90), weil es sich in das Gedächtnis vieler eingebrannt hat: das Stadion ist ein gefährlicher Ort.

Ich hab aber auch keine Lösung für diese Probleme, ich sehe nur die Diskrepanz zwischen vergangener Erfahrung, gegenwärtiger Ereignisse und zukünftiger Erwartungen die sich gerne mal widersprechen. Auch die Gräben die hier existieren sind weit davon entfernt beseitigt zu werden.

Kurze Anmerkung zu den Ticketpreisen.
Der FC Bayern ist noch nicht mal in der Bundesliga der Verein der am meisten verlangt. Kann mir also nicht vorstellen, dass das mit englischen Clubs konkurriert.

Es gibt da diesen Licencing Report der UEFA, bei dem viele Finanzzahlen verglichen werden.
Seite 63 zu den Tickets

Wenn alle Tickets (auch VIPS usw) reingenommen werden, steht bei Bayern ein Durchschnittspreis von 72,30 - Nummer 7 in Europa. Und bei den sechs Clubs davor haben ein paar auch noch ein kleieneres Stadion.

Die Bayern haben verdammt teure Tickets wenn man nicht nur die Kurve betrachtet. Vor allem die CL-Preise sind teils absurd hoch.

Mir hat die Sendung gut gefallen. Natürlich wäre es interessant gewesen, jemanden mit Ultra Hintergrund in der Gesprächsrunde zu haben. Trotzdem habe ich neue Aspekte kennengelernt. Vor allem wie ein Teil der “Jungen Fußballfans” heute wohl Fußball konsumiert.

Was mir bei dem Aspekt etwas fehlte, war die Tatsache, dass dass Dinge die heute für 14 oder 16 jährige relevant ist, in 5 oder 10 Jahren wahrscheinlich nicht mehr relevant sein werden. Ich setze mich mit 24 Jahren anders mit etwas auseinander als mit 14. Gleichzeitig werden im Jahr 2019 für 14 jährige andere Dinge relevant sein wie heute.

Ich bezweifle, dass der Fußball jedem aktuellen Trend hinterher hecheln sollte (auch, wenn ich einiges durchaus interessant finde).

Als jemand, der live vor Ort war, kann ich sagen, dass dies in keinem Moment der Diskussion so war, dass von " der Kultur" gesprochen wurde, sondern schon so, wie man sie wahrnimmt und rezipiert und wie sich dieses alles verändert.

Ich war ja vor Ort und finde auch beim nachhören immer noch, dass der Marvin viele kluge Dinge gesagt hat, aber der e-sports-Ausflug ein bißchen ablenkte, weil es nicht unbedingt etwas mit Fußball zu tun, denn Alba könnte ja auch ein e-sports-team aufstellen. Desweiteren war das Thema Frauen im Fußball ein wenig in den Hintergrund gerückt - kann aber auch meiner Interessenlage gelegen haben, dass ich es so empfand. Hier ist grundsätzlich fast alles zum Thema gesagt, so dass ich mich da enthalte. Bei einigen Äußerungen habe ich ein dumpfes Gefühl im Magen und denen, die Fußball stadionfrei genießen, möchte ich sagen, ohne die Stadiongänger würdet ihr Fußball wahrscheinlich auch nicht online anschauen, weil es dann eine recht dröge Nummer würde, wenn null Atmosphäre wäre. Selbst bei F1-Rennen versucht man diese trotz des Kraches einzufangen. Also ich glaube, es braucht alles und wie es sich entwickelt, wird man sehen. Grundsätzlich ist es aber doch so, dass sich Kulturen ständig verändern, die einzigen, die es nicht tun, sind die untergegangenen. So wird es auch mit der Fußballkultur sein. Oder poetischer, wie es mir im Nachklapp gesagt wurde, Tradition ist das Weitertragen des Feuers und nicht der Asche. In diesem Sinne - viel Spaß beim nach vorn Schauen.

Einen Nachtrag eines Punktes, den ich vergessen habe, der im Gespräch kurz angerissen wurde. Die Fußballkultur, die ja mehr ist als das Spiel im Stadion oder vor dem Fernseher, hat sich in den letzten Jahren meines Erachtens durch die Podcasts erheblich verändert. Und wie ich finde in eine ganz wunderbare Richtung. Dabei ist der Rasenfunk das Glas Kirschen auf der Sahnetorte, aber die vielen Vereinspodcasts, bei aller Fokussierung auf den jeweiligen Verein, zeichnen ein vielfältiges wie auch einheitliches des Erlebens und Lebens von Fußball. Dazu noch die Formate in denen Fußball die Klammer ist um viele Dinge zu reden, die um den Fußball noch herumkreisen- beispielhaft der Brennerpass und Doppelsechs.

Definitiv. Ich bin auch der Überzeugung, dass sich Fußballfans (von einem Verein oder rein vom Sport) immer andere kulturelle Praktiken und Medien erschaffen und konsumieren, wenn sie mit der vorgegebenen Kultur (so wie sie von Vereinen, Organisationen, Konzernen konstruiert wird) unzufrieden sind.

Auch illegale Streams sind eine Antwort auf das fehlende/teure Angebot für Live-Übertragungen und gehören somit auch zu einer Form der gelebten Fußballkultur. Podcast ersetzen die langweiligen Stammtisch-Sendungen der Bezahl- und Werbesender und dringen in einen Raum vor, der zuvor in derartiger Qualität noch nie besetzt war.

Tatsächlich ist es fast schlichtweg falsch zu sagen “Früher war alles besser” oder “der moderne Fußball zerstört die Fußballkultur”. Vielleicht ist er sogar eine der treibenden Kräfte, die die heutige(n) Fußballkultur(en) so divers und vielfältig machen. Besonders mit dem Katalysator Internet.

20 Beiträge wurden in ein existierendes Thema veschoben: Kommerzialisierung und Investoren

Ich will Eure Diskussion nicht stören…

Aber was haben Investoren und Geld primär und in der Fokussierung mit “Kultur” zu tun?!

Ich hatte es auch schon zweimal angebracht, dass die Diskussion den eigentlichen Diskussionsgegenstand längst verlassen hat. Letztendlich geht’s meistens ums Geld.

Dann greife ich das eigentliche Thema nochmal auf und frage @Albulipe und @wechselgeruecht, welchen Beitrag Investoren, Mäzene und Konzerne leisten, um zu einer vielseitigen Fußballkultur beizutragen. Oder müssen wir Geldgeber davon vollkommen freisprechen, da es nicht ihre Aufgabe ist?

Meine Motivation war ursprünglich darauf hinzusweisen (ist mir scheinbar nicht gelungen das deutlich zu machen), dass die in der Diskussion im Podacast gemachte Grundannahme, Kommerzialisierung sei per se schlecht, ein Grundkonsens unter vielen Fans zu sein scheint, den ich nicht gut finde. Habe auch immer versucht zu diesem Thema zurückzukehren, die Investorensache hängt damit zusammen und bricht daher immer wieder hervor (again: Büchse der Pandora).
Tja, die Sache mit der Kultur. Was ist das denn überhaupt? Ist nicht so einfach zu definieren und in einem kommerzialisierten Sport sind Investoren, Mäzen oder Konzerne einfach Teil dieser Kultur, ob uns das gefällt oder nicht ist da zweitrangig. Was genau sie dazu beitragen, kann ich nicht beurteilen, dazu müsste man sich eben die Verädnerungen der Kultur zu Zeiten anschauen als es sie im Fußball nicht gab.